"Intersexualität: Identität unterm Skalpell" - taz hamburg 28.4.09

Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter!

>>> Vorabbericht zur Anhörung von gestern vor dem Gesundheitsausschuss der hamburgischen Bürgerschaft.

Kommentar: Nach wie vor ist jeder Artikel, der die genitalen Zwangsoperationen und weiteren Menschenrechtsverletzungen an "Intersexuellen" überhaupt thematisiert, erstmal ein guter Artikel.

Erst recht, wenn er konkrete Fakten prominent herausstreicht, z.B.:

"Betroffene berichten von entwürdigenden und schmerzhaften Behandlungsmethoden, schildern, wie sie als medizinische Versuchsobjekte dienten und im Glauben aufwuchsen, sie seien verabscheuungswürdige Monster, ohne jemals den Grund für die Torturen zu erfahren.

Eine Studie des Hamburger Instituts für Sexualforschung aus dem Jahr 2007 bewies, dass die es bei Intersexuellen doppelt so oft zu selbstverletzendem Verhalten und Selbstmord kommt wie bei der Normalbevölkerung."

(Naja, mal abgesehen vom m.E. eher unüberlegten Einsatz des Begriffs "Normalbevölkerung". Wie dito von "Identität" im Titel – hallo, Eiken Bruhn: Bitte mal die eigene Brille einen Moment ablegen. Danke.) 

Lucie Veith, die Vorsitzende von Intersexuelle Menschen e.V., darf eine Lanze brechen für das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde – auch für junge Zwitter:

"Regelmäßig, erzählt die 53-Jährige, habe sie als Beraterin ihres Selbsthilfevereins Kontakt zu verzweifelten Eltern oder Jugendlichen, die zu ihr kämen, wenn die Operation und die Hormongaben nicht mehr rückgängig gemacht werden können. "Das sind Menschenrechtsverletzungen", sagt sie und verweist auf einen Bericht der Vereinten Nationen vom Februar, der die Bundesregierung auffordert, die Menschenrechte von Intersexuellen besser zu schützen. "

Die "SPD-Gesundheitspolitikerin" Anja Domres, Verfasserin einer der historischen Grossen Anfragen in der Bürgerschaft, relativiert bei der ersten Nennung sogleich, dass die Bürgerschaft den "Ärzten keine Vorschriften machen könnten. Sie hoffe aber, "eine breite Diskussion" anzustoßen" und propagiert "eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Personenstandrechts [...], das eine Festlegung auf eins von zwei Geschlechtern vorschreibt". Der Artikel lässt allerdings offen, worin die "Änderung des Personenstandrechts" konkret bestehen soll. Ein optionales 3. Geschlecht für Zwitter fordert aktuell Intersexuelle Menschen e.V., schon Michel Reiter klagte dieses Recht 2000 vor Gericht ein, unterlag jedoch in den beiden ersten Instanzen.

Hochgradig unerträglich wird der Artikel, wo er Medizynerlügen und -Verdrehungen unwidersprochen lässt, wenn z.B. Olaf Hirt (1. Vorsitzender "Netzwerk DSD/Intersexualität" und "Projektleiter" von "Euro-DSD") unhinterfragt behaupten darf, dass genitale Zwangsoperationen an wehrlosen Kindern doch "durchaus im Interesse der Betroffenen sein können": "Schließlich, das hat die Hamburger Intersex-Studie ergeben, gibt es erwachsene Intersexuelle, die mit ihrer damaligen Behandlung zufrieden sind." Dass diese Zufriedenen auch laut der von "EuroDSD"-Chef Olaf Hiort ins Feld geführten Hamburger Studie klar die Minderheit sind, während die grosse Mehrheit nicht nur NICHT zufrieden ist, sondern vielfach zudem körperlich und seelisch massiv geschädigt oder längst tot, davon schweigt Olaf Hiort vornehm – und auch die taz.

Oder wenn der Netzwerk-Psychologe Knut Werner-Rosen (einmal mehr) unhinterfragt "Intersex-AktivistInnen" mit Zwangsoperateuren gleichsetzen darf: "Knut Werner-Rosen warnt [...] davor, den Betroffenen jetzt mit umgekehrtem Vorzeichen vorzuschreiben, was richtig für sie sei." Sprich, die "Intersex-AktivistInnen" (Medizynerdeutsch = erwachsene zwangsoperierte Zwitter) sollen bloss den "Betroffenen" (Medizynerdeutsch = die Eltern der zu operierenden Kinder) nicht dreinreden können, wenn sie ihre Kleinkinder ohne deren Einwilligung genital zwangsoperieren lassen wollen. Obwohl die grosse Mehrzahl der Zwangsoperierten hinterher ein Leben lang nicht nur körperlich geschädigt, sondern auch massiv traumatiert sind, mit ähnlichen schweren Folgeschäden wie nach Kindesmisshandlung oder Folter. Aber davon schweigt Knut Werner-Rosen vornehm – und auch die taz hakt nicht nach.

Es ist noch ein weiter Weg ...

>>> http://www.taz.de/regional/nord/nord-aktuell/artikel/1/identitaet-unterm-skalpell/

[PS In eigener Sache: Aus verschiedenen Gründen kriegte ich leider die Kurve nicht zur Anhörung in Hamburg, weshalb aus dem angekündigten Bericht vor Ort nichts wird, sorry.]