Activist Trauma Support

Geschlecht: ZwangsoperiertIn Unterschied etwa zu GlobalisierungsgegnerInnen oder FriedensaktivistInnen sind die meisten Zwitter von von klein an stark traumatisiert. Deshalb kann für Zwangsoperierte jeder Akt der Auflehnung gegen ihre früheren PeinigerInnen die Gefahr einer (Re-)Traumatisierung beinhalten. Erst recht potentielle direkte Konfrontationen beispielsweise durch Teilnahme an einem öffentlichen Protest. Die meisten Zwitter bleiben kaum zufällig prinzipiell am liebsten gut versteckt und wollen keinesfalls, dass ihre persönliche Existenz und Geschichte als solche überhaupt öffentlich wahrgenommen wird, wurden ihnen doch Schweigegebote und Bloss-nichts-merken-Lassen oft von Anfang an krass eingetrichtert bis buchstäblich in den Körper geschnitten.

GlobalisierungsgegnerInnen etc. werden demgegenüber oft zum ersten Mal überhaupt traumatisiert, wenn sie im Zusammenhang mit einer Aktion Opfer von massiver körperlicher Gewalt werden oder zusehen müssen, wie andere neben ihnen verletzt werden, und haben prinzipiell weniger Angst, sich öffentlich zu zeigen, ja, sind manchmal gar erstaunt, wenn das auch für sie soziale Folgen haben kann (z.B. am Arbeitsplatz).

Aus diesen Gründen braucht es für traumatisierte Zwitter ein Vielfaches von Mut, um überhaupt physisch und öffentlich gegen die VerstümmlerInnen Stellung zu beziehen.

Und ist es m.E. doppelt wichtig, dass Zwitter-Proteste unbedingt friedlich und explizit auf Vermeidung physischer Konfrontationen angelegt sind, weil die Konfrontation auf der ideellen Ebene für Zwangsoperierte schon problematisch genug ist.

(Ohnehin ist m.E. das Mittel der gewaltfreien Aktion nach dem Vorbild der "klassischen" sozialen Bewegungen im Kampf gegen die Zwangsoperateure und für "Menschenrechte auch für Zwitter!" letztlich am wirkungsvollsten).

Ebenso müsste eine Unterstützung für Zwitter beim Bewältigen drohender "Nebeneffekte" des friedlichen Einstehens für die eigenen Rechte und gegen die GenitalabschneiderInnen auch anders aussehen als bei entsprechenden Selbsthilfegruppen für "herkömmliche Polit-AktivistInnen".

Trotzdem kann m.E. ein "Blick über den eigenen Tellerrand hinaus" auf die noch junge Tradition "herkömmlicher" AktivistInnen Trauma Selbsthilfe auch für Zwitter-Aktivist_innen interessant sein:

Die Bilder zeigen die Bergung des Globalisierungskritikers Martin Shaw, der 2003 bei einer G8-Blockadeaktion über 20 Meter in die Tiefe stürzte, als ein Polizeibeamter kurzerhand das Seil durchschnitt, an dem er knapp unterhalb der Brücke hing. Martin Shaw überlebte den Sturz in den seichten Fluss wie durch ein Wunder mit zerschmettertem Fuss, zerschmetterter Hüfte und einer Rückgratverletzung. Und konnte wie durch ein weiteres Wunder nach mehr als einem halben Jahr schliesslich wieder stehen und laufen. Seine seelischen Verletzungen heilten jedoch bedeutend langsamer. Ebenso bei seiner Kollegin Gesine Wenzel, die auf der anderen Seite der Brücke von HelferInnen im letzten Moment noch am durchgeschnittenen Seil gehalten werden konnte. Beide brauchten lange, bis sie sich eingestehen konnten, dass sie dieses Erlebnis nicht "einfach so" verarbeiten konnten. Und mussten die Erfahrung machen, dass ihre persönliche Umgebung zum Teil ebenfalls überfordert war, gerade, als sie die Unterstützung am nötigsten gehabt hätten, und nicht verstehen konnte, warum sie "nicht endlich einfach weitermachten".

U.a. dieser konkrete Vorfall war der Anlass zur Gründung des englischen Gruppe Activist Trauma Support. Auf deren Homepage gibt's viele nützliche Informationen "auch für den alltäglichen Wahnsinn" (Nella), z.B. ein kritischer Artikel über Risiken und Nebenwirkungen der Psycho-Industrie für Trauma-Hilfesuchende (englisch), persönliche Geschichten (englisch), Links auf ähnliche Gruppen sowie ein Infoflugblatt auf Deutsch (PDF).

Mit Out Of Action gibt es inzwischen in Berlin auch eine deutschsprachige Gruppe; am potentiell interessantesten für Zwitteraktivist_innen fand ich auf dieser Homepage die Diskussionsprotokolle "Traumatisierung und Widerstand" und "Trauma zur Waffe machen?" einer Veranstaltungsreihe.

Siehe auch:
- Menschenrechtsverbrechen: Wer schweigt, macht sich mitschuldig 
- "Was wollt ihr?" - "Gerechtigkeit!" - "Wann wollt ihr sie?" - "Jetzt!"
- Vom Mut der Opfer sexualisierter Gewalt lernen (1)
- 16. "Aktion T4"-Gedenkdemo, Berlin 2.5.10
- "Monsanto – mit Gift und Genen"   
- 30 Jahre Irren-Offensive
- "Dürfen Missbrauchsopfer stören?" - Vom Mut der Betroffenen von sexualisierter Gewalt lernen (2)
- "Sexueller Missbrauch": Justizministerin fordert Entschädigungen auch "in den Fällen, in denen die rechtliche Verjährung eingetreten ist"
- Prozesse wegen sexuellem Kindesmissbrauch: "Die Lawine rollt" - Südwest Presse, 20.2.10
- "Give Peace a Chance" – Stop Genozid