"Kampf gegen Genitalverstümmelung - öhm, Geschlechtszwang" - Zentralschweiz am Sonntag, 3.4.11

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«Kampf gegen Genitalverstümmelung, öhm, Geschlechterzwang» - Zentralschweiz am Sonntag, 3.4.11Gelungener Artikel von Eva Novak in der überregionalen innerschweizer Sonntagszeitung, der knapp aber umfassend über die von Zwischengeschlecht.org initiierten Vorstösse im Nationalrat berichtet, und worin Daniela "Nella" Truffer Klartext redet auch über die reichlich unschönen Misstöne dabei.
Dafür der Autorin ein herzliches Danke! 

Schade nur, dass die Überschrift dann die im Artikel geschilderte Vereinnahmung gleich noch einmal wiederholt ...

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>>> Schweiz: Invalidenversicherung (IV) bezahlt Genitalverstümmelungen
>>> 2x Zwitter-Vorstoss im Nationalrat: Von knapp vorbei bis voll daneben

Comments

1. On Monday, April 4 2011, 03:38 by seelenlos

Nachfolgend als Dokumentation der Artikeltext:

Kampf gegen Geschlechtszwang Genitalverstümmelung

INTERSEXUELL
In der Schweiz werden jedes Jahr 40 Kinder ohne eindeutiges Geschlecht geboren. Sie sollen nicht länger zwangsoperiert werden.

EVA NOVAK, BERN
eva.novak_at_luzernerzeitung.ch

«Ich war abartig, musste mich verstecken, man musste meinen Körper korrigieren. Ich war innerlich wie gelähmt, machte mich so unsichtbar wie möglich.» So schildert Daniela Truffer, heute 45, ihre Kindheit. Denn sie wurde als intersexuelles Kind geboren: weder Mädchen noch Bub, sondern etwas dazwischen. Als Säugling wurde sie kastriert, im Kindergartenalter dann auch äusserlich zum Mädchen operiert. Erfahrungen, die sie in jahrelanger Psychotherapie verarbeiten musste.

Vorstoss eingereicht
Daniela Truffer ist bei weitem kein Einzelfall: «Jedes 2000. Neugeborene kommt mit nicht eindeutigen Geschlechtsmerkmalen auf die Welt», schreibt die Luzerner CVP-Nationalrätin Ida Glanzmann in einem von Parlamentarierinnen aller grossen Parteien unterzeichneten Vorstoss zu «Kosmetischen Genitaloperationen bei Kindern mit uneindeutigen körperlichen Geschlechtsmerkmalen».
In der Schweiz betrifft dies 40 Kinder pro Jahr, von denen die meisten aus kosmetischen Gründen zwangsoperiert und viele auch noch kastriert werden. Mit der Folge, dass sie ihr Leben lang Hormone einnehmen müssen. Der chirurgischen Einfachheit halber werden sie meist zu Mädchen gemacht. Und das meist ohne jede medizinische Indikation.

Ein Leben lang Leid
Glanzmann weist in ihrer Interpellation darauf hin, dass die meisten Opfer massive psychische und physische Schäden davontragen, unter denen sie ein Leben lang leiden. Vom Bundesrat möchte die Luzerner Christdemokratin wissen, wie viele Behandlungen von der IV übernommen wurden. Und ob ihm bekannt sei, dass eine Vielzahl von erwachsenen Behandelten die an ihnen im Kindes- und Jugendalter vorgenommenen Eingriffe kritisiere.
Das ist zurückhaltend ausgedrückt. Daniela Truffer spricht vielmehr von «massiven Menschenrechtsverletzungen». Die Mitbegründerin der Selbsthilfegruppe Intersex.ch und Präsidentin der Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org kämpft denn auch für ein Verbot solcher Genitalverstümmelungen gegen den Willen der Betroffenen. Sie begrüsst, dass diese Frage dank Ida Glanzmann erstmals national aufs Tapet kommt, und dann erst noch überparteilich abgestützt: «Das ist eine Premiere», freut sich Truffer.
Allerdings fürchtet die Kämpferin wider die kosmetischen Verstümmelungen, dass der Bund ausweichend antworten wird. Denn in Glanzmanns Interpellation fehlt die Auflistung der genauen Ziffern und Diagnosen auf der Liste der Geburtsgebrechen. Diese sind zwar in einer weiteren Interpellation aufgeführt, welche von der Berner SP-Nationalrätin Margret Kiener Nellen eingereicht und von Ida Glanzmann ebenfalls mitunterzeichnet wurde. Doch regt die Rechtsanwältin auch eine Änderung der Zivilstandsverordnung an, damit das Geschlecht von intersexuellen Kindern nötigenfalls erst eingetragen werden kann, wenn diese volljährig werden.

Ziel ist ein Verbot
Sehr zum Ärger von Truffer, welche dies nicht für das wirkliche Problem hält. Das Zivilstandsrecht abzuändern, schütze nicht vor Genitalverstümmelungen, argumentiert sie. Und weist darauf hin, dass solche juristischen Möglichkeiten so lange nichts nützen, als Eltern ihr Kind nicht akzeptieren können. «Wir wollen nicht das Zweigeschlechtersystem in Frage stellen, sondern die Öffentlichkeit auf Genitalverstümmelungen aufmerksam machen und politisch deren Verbot erreichen», sagt Truffer. Konkret sollen also Kinder mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen so aufwachsen, wie sie geboren wurden, und erst nach Erreichen der Volljährigkeit selbständig über ihr weiteres Schicksal entscheiden können.

Luzerner Kantonsrätin spurt vor
Ein Meilenstein auf dem weiten Weg dahin ist immerhin erreicht: Durch die beiden überparteilichen Vorstösse werden die kosmetischen Genitaleingriffe an Intersexuellen erstmals zum breit abgestützten Thema in einem nationalen Parlament. «Das gabs auf der ganzen Welt noch nie», frohlockt Truffer auf ihrer Webseite. Und verweist darauf, dass der erste Schritt ebenfalls von einer Christdemokratin im Kanton Luzern getätigt wurde.
Erna Müller-KIeeb hatte im November eine ähnliche Anfrage wie Glanzmann eingereicht. Ein Viertel des Kantonsrats quer durch alle Parteien hat den Vorstoss unterzeichnet, der Transparenz über kosmetische Genitaloperationen an Kindern verlangt. Die Regierung wird zwar voraussichtlich erst im Juni Stellung beziehen. Doch Truffer und ihre Mitstreiterinnen sind bereits überzeugt, dass die Innerschweiz allen von kosmetischen Zwangsoperationen Betroffenen oder Bedrohten einen historischen Tag beschert hat.