"Entstellte" Sarah: «Meine Muttermale haben mich zu dem sensiblen, empathischen, sozialen, aber auch starken Menschen gemacht, der ich heute bin.»

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Ein weiterer "Blick über den eigenen Tellerrand hinaus":

[ Bild: "Sarah wurde wegen ihrer Muttermale selten gehänselt: Keck blickt sie in die Kamera des Schulfotografen." ]

>>> Hochinteressanter Artikel über eine Frau mit Muttermalen, die froh ist, dass ihre Eltern sie selbst entscheiden liessen, ein >>> Interview mit einem Kinderchirurgen, der Muttermale am liebsten an Kleinkindern "korrigiert", sowie >>> ebendort in der Box ein Audiobeitrag mit der Familie eines 2.-Klässlers, dessen Familie ihn sein Muttermal ebenfalls behalten liess, alle von Noemi Landolt auf Tamedia/Newsnet. Dieser Blog sagt der portraitierten Sarah und allen anderen Beteiligen Danke für ihren Mut und wünscht weiterhin viel Kraft!

Auf den ersten Blick ist deren Situation eine ganz andere:

Menschen mit Muttermalen, vor allem im Gesicht, fallen im Unterschied zu Intersexen in der Öffentlichkeit unvermeidlich blitzschnell auf – sehen sich aber im Alltag in der Regel nicht speziell mit all den üblichen Komplexen, Fantasien, Schambeladenheiten usw. im Zusammenhang mit Genitalien und "Geschlächt" konfrontiert.

Bei allen Unterschieden sind die Gemeinsamkeiten frappierend:

  • die Schuldgefühle der Mütter
  • pädo-chirurgische "Korrekturen" am gesunden Kind
  • fehlende Evidenz
  • "vor allem aus kosmetischen Gründen"
  • das angeblich "sehr hohe" Krebsrisiko
  • die terminal operationsgeilen Kinderchirurgen ("[...] in der Regel mehrere Eingriffe nötig [...] Die Haut ist im Kleinkindalter noch elastischer [...]"), für welche neumodisches Beigemüse wie Psychologen und andere nicht-operierende KollegInnen sowie "zahlreiche Gespräche" mit den Eltern primär dazu dienen, die Durchsetzung von Zwangsoperationen am gesunden Kind ("[Die Eltern] müssen es wirklich wollen") gegen aussen und innen abzusichern: 

    "Wir Chirurgen sind Macher und sind überzeugt, dass wir gut sind. Vor allem bei komplizierteren Fällen, bei denen wir gerne operieren würden, ist es nicht einfach, sich zurückzuhalten. Da müssen uns die Psychologen und Dermatologen, die nicht operieren, manchmal etwas bremsen. Aber wenn sich die Eltern nach zahlreichen Gesprächen mit uns allen für eine Operation entscheiden, haben am Ende auch wir ein besseres Gefühl."

  • die übertrieben Fantasien der Medzyner über einen "sozialen Super-GAU" ohne frühe "Korrektur"
  • die praktischen Gegenbeispiele unversehrt aufwachsender Kinder
  • die überragende Wichtigkeit des Kontakts zu anderen Betroffenen (statt zu OP-geilen MedizynerInnen) und des Zugangs zu Selbsthilfegruppen

Meine 2 Cent: Wie u.a. die medizynische "Behandlung" vom Menschen mit mehr als 10 Fingern zeigt auch der medizynische Umgang mit Menschen mit Muttermalen, dass Intersex-Genitalverstümmelungen als gesamtmedizynisches Menschenrechts-Problem (und der Pädiatrie im Speziellen) begriffen und analysiert werden muss (und NICHT durch die "Geschlechter-Konstruktions-Brille"), um die strukturellen Gegebenheiten und traditionellen Ausreden der TäterInnen auch als solche zu entlarven, und ebenso die historische Entwicklung der Intersex-Verstümmelungen inkl. die Verbindungen zur NS-Medizyn, um letztlich (nicht nur) den Intersex-GenitalabschneiderInnen hier und heute wirksam Paroli bieten zu können.

Siehe auch:
- Gewalt und Pharma-Experimente in CH-Kinderheimen: Aufarbeitung gefordert
- Weiße Kittel mit braunen Kragen, reloaded
- Alle Posts zu "Blick über den eigenen Tellerrand hinaus"