Georg Klauda: "Krankheitsbilder", Vortrag vom 5.6.2002 (Medizin und Verbrechen)

Schluss mit genitalen Zwangsoperationen![Dokumentation der AGGPG-Seite]

Krankheitsbilder

Die medizinische Fotografie als Todesengel für Menschen des dritten Geschlechts

von Georg Klauda

Vortrag, gehalten im Rahmen der Reihe "Beiträge zur Biotechnologie- und Medizinkritik", Themenabend "Medizin und Verbrechen", FU Berlin, 05.06.2002.

Teratologie als Beruf

Als Hermaphroditen vergöttlicht, als Intersexuelle medikalisiert und als Zwitter für unwert erklärt, können Menschen mit uneindeutigem Geschlecht seit den 50er Jahren im Alltag als "verschwunden" gelten. Ähnlich wie in den Monsterbüchern der Frühen Neuzeit tauchen sie statt dessen in teratologischen Abhandlungen auf, d.h. in Medizinwerken, die den menschlichen Missbildungen gewidmet sind. Die dort abgebildeten Fotografien zeigen Kinder, die an Händen und Füßen gewaltsam festgehalten werden, während die Kamera mit einem Zoomobjektiv auf ihre Genitalien fokussiert und sie so zu einem Stück unappetitlichen Fleisches macht, zum Torso zerstückelt und ihres Subjektseins beraubt. Es gibt sogar einen Berufsstand, den des Teratologen nämlich, der sich allein mit der Produktion solcher menschenverachtender Bilder befasst. Herstellung von Kinderpornos heißt deshalb einer der Vorwürfe, die von der Lobby für Menschenrechte gegen den klinischen Umgang mit Hermaphroditen erhoben werden. Doch ÄrztInnen sehen darin nichts anderes als die wertfreie Dokumentation von medizinischen Befunden. Ihre mögliche Verhinderung durch ein paar dahergelaufene Spinner erscheint ihnen als hinterwäldlerische Maschinenstürmerei. Sich selbst betrachten sie hingegen als neutrale Instanz, allein dem wissenschaftlichen Fortschritt verpflichtet und unkorrumpiert von kulturellen Konstruktionen.

Dass dem nicht so ist, hat Maurice Florence in seinem kurzen Beitrag hinreichend deutlich gemacht, indem er den Status des Priesters im Mittelalter mit dem des Arztes in der Neuzeit verglich. Das Bild des Arztes, der das Kranke und Abnorme aus dem individuellen wie aus dem Volkskörper herausschneidet, ist kein unschuldiges, neutrales oder gar notwendiges. Vielmehr gehört es zu den perfiden Metaphoriken, die die nationalsozialistische Menschenvernichtung angetrieben haben. Dabei erfährt der Begriff der Krankheit selbst eine charakteristische Umbildung. In einem lebensweltlichen Horizont bezeichnet man jemanden als krank, wenn er einen Schnupfen hat, an Fieber leidet oder gar von einer Lungenentzündung dahingerafft zu werden droht. Es ist ein missliches Schicksal, das ihm von außen widerfährt und das er doch niemals mit seiner Existenz als solcher gleichsetzen wird. Dieser sinnlich greifbare Krankheitsbegriff wird jedoch von MedizinerInnen spätestens seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert in einer völlig neuen Weise metaphorisiert. Als "krank" gelten nun Homosexuelle - ein Wort, das übrigens genau wie Intersexuelle aus dem Schatzkästlein der Sexualmedizin stammt -, als "krank" gelten Irre, Manisch-Depressive und Behinderte. Es ist nicht mehr ein temporärer Zustand, der ihren Köper befällt, sondern sie selbst sind es, die "krank" sind. Ihr Sosein ist es, das eine Gefährdung der Volksgesundheit nach sich zieht, und sie sind es, die, wenn die Gemeinschaft keinen Schaden erleiden will, entfernt werden müssen. Sei es durch Einsperrung in Kliniken, Psychiatrien und Konzentrationslagern, sei es durch ihre Aussperrung aus dem Genpool künftiger Generationen.

Umbettungen hinter Anstaltstüren

Zum Blick auf Hermaphroditen als "krank" und "missgebildet", als "Störung" und "Syndrom", der insbesondere in der teratologischen Fotografie inszeniert wird, gesellt sich die Praxis der Verstümmelung (das Herausschneiden uneindeutiger Genitalien), der Vergewaltigung (die jahrelange Bougierung, d.h. Dehnung der künstlich angelegten Neovagina) und schließlich die Konspiration des Schweigens, derer sich die Eltern als angeblich wohlmeinende MittäterInnen schuldig machen. Die Sprache ist die der technokratischen VollstreckerInnen, denen selbst die schlimmsten Gräuel lediglich unter dem Blickwinkel ihrer handwerklichen Perfektionierung vor die Linse geraten. Allein an einer einzigen Patientin können dabei bis zu einer viertel Million Euro umgesetzt werden. Da jedes zweitausendste Kind dieser Behandlung unterzogen wird, kann man sich leicht die Profitabilität dieses milliardenschweren Industriezweigs ausmalen. Es ist daher unwahrscheinlich, dass er jemals freiwillig, aus besserer Einsicht, einfach aufgegeben wird.

Schon eher verlagert er sich aufgrund der mittlerweile in den Mainstream-Medien aufbrandenden Kritik in andere Sparten des medizinischen Betriebs, wird entweder durch Pränataltherapie und eugenische Selektion vorverlegt oder in die Psychiatrie umgebettet. Die ProtagonistInnen für beide Möglichkeiten finden sich schon heute. So Prof. Helmuth-Günther Dörr aus Erlangen, der auf dem Magdeburger Endokrinologen-Kongress im März 2001 die Möglichkeiten einer pränatalen Dexamethason-Therapie vorführte. Mit dieser soll die Herausbildung eines sog. androgenitalen Syndroms (AGS) verhindert werden, bei dem ein Kind mit XX-Chromosomensatz vermännlichte Genitalien entwickelt. Jedoch sind die Nebenwirkungen der Behandlung drastisch: die Schwangeren klagen über Gewichtszunahmen bis zu 30 Kilogramm; bei Abbruch der Therapie kommt es zu einer Abort-Rate von 5 Prozent. Bei mehr als der Hälfte der Fälle handelt es sich zudem um eine Fehldiagnose von AGS. Deshalb scheint der Weg der Psychiatrisierung unter Umständen aussichtsreicher. Sog. Geschlechtsidentitätsstörungen können dabei schon heute im medizinischen Abrechnungskatalog ICD unter den Codes F64 und F65 gebucht werden. Notwendig ist dafür eine Psychiatrisierung von Hermaphroditen, wie sie etwa die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung verfolgt, wenn sie erklärt, dass "die medizinische Praxis in der Vergangenheit bei vielen Intersexuellen zu erheblichen Problemen in ihrer psychosexuellen Entwicklung geführt" hat.

Als repräsentativ kann dabei auch das Auftreten des Psychotherapeuten Knut Werner-Rosen bei einem Fachgespräch der grünen Bundestagsfraktion zur "Situation intersexueller Menschen" gelten, das am 27. Februar diesen Jahres stattfand. Seit einigen Jahren arbeitet der Seelenklempner Werner-Rosen mit der Serienverstümmlerin Prof. Annette Grütters an der Virchow-Klinik zusammen. Seine Aufgabe besteht darin, den Eltern des verstümmelten Kindes eine Gehirnwäsche zu verpassen: Sie sollen die Behandlung und das neue Geschlecht ihres Kindes unter keinen Umständen in Zweifel ziehen. Trotzdem interessierte sich Werner-Rosen auf dem Fachgespräch nicht im geringsten für die Frage, ob medizinische Eingriffe nun notwendig seien oder nicht. Vielmehr ging es ihm an diesem Tag allein darum, die psychotherapeutische Behandlung künftig regulär bei den Krankenkassen abrechnen zu können, ob mit oder ohne Verstümmelung.

Das Thema seines Vortrags "Kann die Gesellschaft Intersexualität verkraften?" begann er deshalb mit dem ungeheuerlichen Satz, das Verkraften beginne ja schon damit, dass er durch die Teilnahme an diesem Fachgespräch auf 300 Euro Honorar verzichte. Kein Zweifel: So jemand wie Werner-Rosen wird auch nach der Abschaffung der Zwangsverstümmelungen an Hermaphroditen sein Geschäft machen.

Verquere Verbindungen

Werner-Rosen steht dabei in Verbindung zu dem Studiengang Gender Studies an der Humboldt-Universität Berlin, an dessen Praxistag er den Studierenden sein Berufsfeld vorstellte. Unübersehbar gibt es auch sonst eine enge Zusammenarbeit zwischen den hauptamtlichen Gender-DekonstrukteurInnen in der Sexualmedizin und der nicht minder professionalisierten Variante derselben Spezies in den Kulturwissenschaften. Beide Sparten des Betriebs sind nicht nur in einem Studiengang vereinigt, sondern stützen sich auch inhaltlich gleichermaßen auf radikalkonstruktivistische Prämissen, nämlich auf die Behauptung, dass Menschen bei Geburt ein "unbeschriebenes Blatt" seien, denen man nach Belieben und chirurgischer Machbarkeit eine Männer- oder Frauenrolle zuweisen könne. Ein natürliches Geschlecht dahinter gebe es nicht.

Zwar sehen das die zahlreichen Opfer des auf diesen Annahmen ruhenden Menschenversuchs mitunter ganz anders. Doch das scheint nicht weiter zu stören. Denn von Anfang an basierte dieser unerschütterliche Glaube eher auf axiomatischen Setzungen denn auf irgendwelchen Erfahrung. John Money, der die Praxis der Geschlechtsneuzuweisungen in den 50er Jahren in Gang setzte, ließ sogar seine eigene Dissertation im Archiv verschwinden, weil sie nachwies, dass eine medizinische Behandlung von Hermaphroditen überflüssig sei. Unverstümmelte Erwachsene kämen mit ihrer Geschlechts-Uneindeutigkeit nämlich sehr gut zurecht und entwickelten eine starke Persönlichkeit. Doch nicht nur das musste Money verheimlichen, er vertuschte auch den katastrophalen Ausgang seines berühmtesten Zwillingsexperiments, bei dem ein kleiner Junge, der bei einer Vorhautbeschneidung seinen Penis verloren hatte, zu einem Mädchen umoperiert wurde. Nach vielen traumatischen Jahren, in denen der junge Bruce, alias Brenda, alias David Reimer durch die Hölle ging, kehrte er schließlich mit 14 in sein männliches Geschlecht zurück. Noch heute wirkt er zutiefst verstört und versucht seine Erinnerungen so gut es geht in seinem Gedächtnis zu begraben.

Der Quacksalber als Hohepriester

Weil die Intersex-Chirurgie mittlerweile in arge Bedrängnis durch die Medien geraten ist, wurden nun Studien in Auftrag gegeben, die, so unglaublich das klingt, von niemand anderem als den behandelnden ÄrztInnen selbst durchgeführt werden. Aufgrund des Ergebnisses einer interkulturell vergleichenden Studie zwischen Deutschland und Malaysia rückte Prof. Ursula Kuhnle von der Universität München zwar mittlerweile von der medizinischen Praxis der Geschlechtszuweisungen ab. Prof. Meyer-Bahlburg aus New York ist da jedoch etwas pragmatischer. Während er in Magdeburg als Ergebnis seiner Studie referierte, dass die Geschlechtsidentität sich statistisch unabhängig von der ärztlichen Entscheidung und der späteren kindlichen Sozialisation entwickle, gab er in einem Dokumentarfilm auf N3 bekannt, die meisten Hermaphroditen würden auch heute noch in dem ihnen zugewiesenen Geschlecht leben. So publikumsgebunden kann wissenschaftliche Forschung manchmal sein! Nicht auszuschließen, dass zwischenzeitlich einige Dollars den Besitzer gewechselt haben, die des Wissenschaftlers Ansichten ins glatte Gegenteil verkehrten.

An dieser Stelle möchte ich Schluss machen, dieses kriminelle Gewerbe weiter aus einer Innensicht zu betrachten und mich der Frage zuwenden, warum alle zuschauen, während in den Kliniken vergewaltigt, verstümmelt und gefoltert wird. Denn all dies wäre sicher nicht möglich, wenn wir der Medizin als Hohepriestertum der technokratischen Moderne nicht blindlings vertrauen würden. Doch wir glauben noch immer, nach der Euthanasie, nach Mengele, nach der Rampe von Auschwitz, nach Elektroschocktherapien und Hodentransplantationen an Homosexuellen, nach gehirnchirurgischen Eingriffen an Systemdissidenten und psychiatrischer Folter an "Irren", dass die ÄrztInnen nur unser "Heil" im Auge hätten. So setzten sich KulturwissenschaftlerInnen aus Berlin und Potsdam auf das Podium des bereits erwähnten Endokrinologen-Kongresses in Magdeburg, schauten sich Schlachthaus-Bilder an, auf denen aufgeschlitzte Unterleiber und herauspräparierte Genitalien zu sehen waren, ohne auch nur mit einem Wort zu intervenieren. Man fühlte sich schließlich nicht kompetent, all diese ethischen Fragen zu beantworten, sah sich aber immerhin geehrt, dass auch die Kulturwissenschaft auf der Ebene der Theorie ihr Scherflein beitragen könnte zur Frage, wie die Geschlechter gemacht werden.

Dabei handelt es sich doch um Mord! Denn vor nicht allzu langer Zeit nahmen die ÄrztInnen bei den von ihnen eingesetzten chirurgischen Techniken noch in Kauf, dass ein Teil ihrer "PatientInnen" auf dem Operationstisch verstarb. Und auch heute sind es noch geschätzte 30 Prozent der Zugewiesenen, die sich in Folge der traumatischen Eingriffe und ihrer systematischen Entmenschlichung durch die Sprache und Praxis der Medizin irgendwann das Leben nehmen.

Der Raum des Politischen

Wir müssen auch der Entpolitisierung dieser Fragen begegnen. Etwa, wenn diese Tatsachen allein zum Problem einer kleinen Minderheit gestempelt werden. Dieser soll endlich Recht widerfahren, um sie danach als neue identitäre Lebensweise ins multikulturelle Gewebe der kapitalistischen Gesellschaft zu integrieren. Genau dies ist das Bild, das die Massenmedien in bester zivilgesellschaftlicher Manier zu zeichnen versuchen, um einen entstandenen politischen Spalt pragmatisch zu schließen. Hermaphroditen werden als distinkte Existenzweise konstruiert, die sie nicht sind, und als Kontrastfolie missbraucht, an denen die Gesellschaftsmehrheit ihre Konstruktionen von Normalität überprüfen und beweisen kann.

Eine politische Sichtweise wäre demgegenüber, die medizinische Praxis der Geschlechtszuweisungen als symbolische Metapher für die grundlegenden Operationen der Gesellschaft und die Mythen der westlichen Kultur zu lesen. Die Reduktion von Hermaphroditen auf eine phantasierte Identität und ein gesellschaftliches Einzelinteresse ist hingegen ein technokratischer Traum, der der Gewalt noch den Hohn hinzufügt.

Für eine mögliche politische Kontextualisierung steht in jüngster Zeit etwa Carl Wiemer. Die Kritik am "Ärzteracket" liefert für ihn den Brennspiegel des Besonderen, durch den eine allgemeine Theorie der Gesellschaft hindurch muss. Anhand von zahlreichen verstreuten Fragmenten aus Max Horkheimers Werk hat er dessen Ärzte- und Medizinkritik rekonstruiert und die Versehrungen im medizinischen Apparat als Schlüssel verwendet, um das diagnostische Potential einer kritische Theorie der Gesellschaft zu demonstrieren. In seinem Buch Krankheit und Kriminalität kritisiert er dabei mit Horkheimer eine großmäulige Linke, die sich lieber mit fernen weltpolitischen Fragen befasst, an denen sie ohnehin nichts ändern wird, als mit solchen profanen Dingen wie der Situation in Psychiatrien, Spitälern und Gefängnissen. Eine Gesellschaftskritik ist auf die Versenkung ins Besondere angewiesen, wenn sie nicht mit jenem schlechten Allgemeinen im Bunde stehen will, das die Essenz der kapitalistische Gesellschaft ist. Horkheimer ist deshalb der Anwalt der bestimmten gegen die abstrakte Negation und unterscheidet sich, wie Wiemer treffend formuliert, dadurch auffällig von der "Spreu der soziologischen Weggucker", die heutzutage Luhmann- und Habermas-Seminare bevölkern.

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>>> Kommentar: Georg Klauda über Knut Werner-Rosen ("Netzwerk DSD/Intersexualität") und Psychologen als Windfahnen  

>>> Georg Klauda über Instrumentalisierung von Zwittern durch LGBT 

Published on Friday, January 29 2010 by seelenlos