Offener Brief von Claudia Kreuzer an das Netzwerk Intersexualität

Querkreuzer (Claudia & Frances Kreuzer)

Trier den 4. September 2007

Sehr geehrte Damen,
sehr geehrte Herren des „Netzwerk Intersexualität“

Lassen Sie mich bei den letzten Minuten des letzten Treffens vor der Tür beginnen.
Dort kündigte ich Frau Prof. Dr. med Thyen meinen baldigen Austritt aus dem Netzwerk an. Ich denke das wird kein großer Verlust für mich wie auch für Sie, möglicherweise jedoch Einer für die Betroffenen sein. Ich erlaube mir, mir deshalb noch etwas Bedenkzeit für meinen Austritt zu lassen. Andere Betroffene möchten noch vorher darüber mit mir sprechen.
Aber vielleicht brauche ich dies, nach den folgenden Worten, ja noch nicht einmal mehr selbst zu tun.

Ich möchte Ihnen, im Vorfeld meiner anstehenden Entscheidung, noch ein paar sehr persönliche Zeilen aus meinem Erleben des Netzwerkes, der beteiligten Personen und des Themas unterbreiten.

Am Freitag Abend hatte ich wieder mal eine „freundschaftliche Diskussion“ mit Wissenschaftlern des Netzwerkes über die persönliche Anrede untereinander. Das Ergebnis war, dass von Seiten der an der Diskussion beteiligten Mediziner der Vorschlag kam „ ...dass es das einfachste wäre sich mit „Du“ und Vornamen anzureden“.
Diese Diskussion hatte ich, wie gesagt, schon mehrfach mit verschiedenen Personen des Netzwerks, aber „Sorry“, ich kann einfach nicht über meinen Schatten springen und Sie, verehrte Damen und Herren mit „Du“ anreden. Obwohl ich doch die überwiegende Zahl anderer Mediziner, die ich seit Jahren und Jahrzehnten aus anderen Zusammenhängen kenne, „Duze“.
Vielleicht liegt dies an meiner frühen Kindheitsgeschichte, nehme ich doch wahr, dass es Ihre beruflichen Vorgängergenerationen waren, die sich berufen fühlten an mir und meinesgleichen Korrekturen vorzunehmen.
Wie dem auch immer sei, ich habe es bisher generell vermieden, mit Ausnahme von Meinesgleichen, irgend jemanden im Netzwerk zu Duzen.

Mit gutem Grund, wie sich am Samstag, im Verlaufe des Vortrages von Frau Prof. Dr. med Thyen zu den Ergebnissen der Studie und während des Vortrages von Frances zeigte. Sie verzeihen mir Frau Prof. Thyen, ich habe ein ganz schlechtes Gefühl für die Betroffenen dabei. Aber davon später.

Was mich emotional am meisten aufregte war jedoch der Tumult der während des Vortrages von Frances entstand.
Sie denken nun sicher das Falsche. Es war sicher weniger das Verhalten und die Reaktionen von Herrn Prof. Dr. med. Westenfelder. Sie werden es kaum glauben, ich schätze seine und Frau PD Dr. med. Kreges Fähigkeiten, hinsichtlich ihrer Operationstechniken, sehr hoch ein. Das nicht zuletzt aufgrund der Vorträge von Herrn Prof. Dr. med. Westenfelder und Frau PD Dr. med. Krege, zuletzt in Hamburg mit einem glänzenden Vortrag. Für die, - die operiert werden wollen-, sicher eine gute Wahl.
Zudem bin ich Herrn Prof. Dr. med. Westenfelder sogar ein wenig dankbar für seine gezeigte Reaktion. Sie war überhaupt die erste öffentliche Reaktion eines Mediziners aus dem Netzwerk auf Aktivitäten Betroffener. Den einzigen Vorwurf den man ihm, wie aber auch allen übrigen Teilnehmern, machen könnte wäre der, dass sich, in dem entstehenden Tumult und seinen ausufernden, aus unserer Sicht unbegründeten, Spekulationen, niemand mehr dafür interessierte, warum wir die Sammlung von Rechtsgrundlagen so schnell und kommentarlos abspulten.
Es ist halt immer – chronisch- sehr wenig Zeit für die Betroffenen, um die es ja eigentlich geht. Es wäre für Sie und Ihre Arbeit im Hinblick auf die Studie sicher interessant gewesen, die Konsequenzen dieser Rechtstexte, unser nicht zum Zuge gekommenes Resümee, auf die soziale Lebenssituation und damit auf die –zukünftige- „Zufriedenheit“ der Betroffenen, kennen zu lernen.
Aber das fand ja leider nicht mehr statt.

Aber der Tumult hatte auch, zumindest für mich, eine positive Erkenntnis, die an zwei, drei Stellen des Tumultes, - deutlich hörbar- von Medizinern des Netzwerks geäußert wurde:
Das war sinngemäß jener Satz: „... wir sollten doch nicht die wenigen Mediziner die auf unserer Seite seien und sich um uns bemühten mit solchen Sachen verschrecken..., ...dann ginge nachher gar nichts mehr!“ Vor etwa zwei, drei Jahren hat mir ein Mediziner, auf meinen Film mit Arte hin, ein ähnliches E- Mail geschickt, in welchem er behauptete, dass solche Aktivitäten der Betroffenen in der Öffentlichkeit letztlich nur dafür sorgten, dass die Abtreibungsraten intersexueller Kinder in die Höhe gingen......

Ich fasse die Inhalte beider Äußerungen als Drohung gegen das Leben und die Gesundheit von mir und meinesgleichen auf. Ich kann aus meiner zutiefst empfundenen Achtung vor dem Leben nur hoffen, dass sich, für die Medizin, die Mediziner und die Betroffenen, Äußerungen dieser Qualität nicht eines Tages gegen Sie selbst wenden.
Niemand von Seiten der Ärzteschaft und auch sonst Niemand hat das Recht uns mit möglichem Hilfe- und damit Behandlungsentzug zu drohen.
Nicht wir haben diese Situation geschaffen in der wir uns befinden, sondern die Medizin hat dies, in maßloser Selbstüberschätzung, verursacht.
Sie und diese Gesellschaft haben daher, für jeden Einzelnen von uns,
- die Verpflichtung-
alles Erdenkliche zu tun, damit die Behandlungsfehler der Vergangenheit in der Zukunft keine Fortsetzung finden und die bereits von Fehlbehandlung Betroffenen die erforderliche Hilfe bekommen.
Es kann nicht sein, dass ein „Netzwerk- IS“ unter der Überschrift „Betroffenen helfen zu wollen“, im letzten Jahr des monetär- staatlich geförderten Bestehens dieses Netzwerkes, zu dem Schluss kommt, dass sich bisher so gut wie keine Erwachsenen- Mediziner an der Problembehebung beteiligen.
Ich darf, in aller Bescheidenheit und sicher im Namen aller Betroffenen die u.A. hoffnungsvoll an Ihrer Studie teilnahmen, Sie, meine Damen und Herrn Wissenschaftler des „Netzwerkes- IS“ fragen:
Welche Probleme haben Sie hinsichtlich der Therapien von erwachsenen Intersexuellen erkannt und welche medizinischen Lösungen haben Sie dafür?

Ich bin mir sicher, dass ich darauf keine Antwort erhalten werde.
Das Einzige was sich sicher durch die bloße Existenz des Netzwerkes geändert hat, ist dass es erwiesen ist, dass die Verträglichkeit einer Hormonersatztherapie mit Testosteronen für XY- chromosomale IS erheblich verträglicher ist als eine Östrogentherapie. Und das ist zudem noch eine Erkenntnis die, die Betroffenen, ohne Zugriff auf „große“ millionenschwere Analysegeräte zu haben, selbst erarbeitet haben. Und sogar noch Einiges darüber hinaus.
Das lehrt uns Betroffene zudem, dass der „Erfolg“ nicht immer von der „Größe“ und dem „Vorhandensein“ des „Gerätes“ abhängig ist.
Sie dürfen also weiter gespannt sein.
Täuschen Sie sich jedoch nicht, dass wir so blauäugig sind und den Spruch „... wir wissen über IS zu wenig...“, für „bare Münze“ nehmen. Ich glaube, dass das was wir allenthalben als „neu“ „ zum Besten“ gaben, bei Ihnen schon längst bekannt ist.

Und ich persönlich befürchte, nach den Offenbarungen von Frau Prof. Thyen hinsichtlich der Modalitäten zur Auswertung der Studiendaten, dass wir auch dort wieder Interpretationen ausgeliefert sein werden.
Übrigens, so ganz nebenbei, Ihre Zahlen der Studie, wiedersprechen ganz eklatant den dem Zahlenwerk das der Bundestag neulich unter Bezugnahme auf das „Netzwerk-IS“ und Sie Frau Prof. Thyen veröffentlichte.
Ich stellte in diesem Bericht zudem fest, dass ich offensichtlich zur Gruppe derer gehöre die wohl medizingeschlechtzuweisungskonform sind.
War doch da die Rede von Betroffenen, die sich –sogar- mit eigenen Beiträgen am „Netzwerk-IS“ beteiligen und den –Anderen- „offensichtlich eine kleine Minderheit Unzufriedener“ die sich beschweren. So habe ich meine Bemühungen und die anderer Betroffener im Netzwerk bisher aber nicht aufgefasst.
Hätt` man mich doch mal gefragt!
Ich denke an dieser Stelle, dass ich mich nicht weiter, z.B. über Diagnosen der „kompletten testikulären Feminisierung“ und deren Behandlung mit Androgenrezeptorblockern o.ä. auslassen muss, um die Behandlungsqualität und damit die Gründe der Unzufriedenheit zu dokumentieren.
Vielleicht erklärt das aber u.A. auch, die gegenüber den Unmündigen erheblich geringeren Teilnehmerzahlen an Erwachsenen bei Ihrer Studie. Vielleicht ist es aber auch gerade der große Überhang der Unmündigen, der den, möglicherweise erwünschten, Spielraum der Interpretation der Studie erweitert.
Aus meiner Sicht sind es,
neben den teilweise katastrophalen Therapiefolgen,
der begründeten Angst vor möglichen Behandlungsnachteilen,
der durch die Medizin suggerierten Angst vor sozialer Ausgrenzung,
dem Bewusstsein wider besseres medizinisches Wissen zum Hormon- Junkie gemacht worden zu sein,
und der Erkenntnis der Ohnmacht gegenüber dem Kollektiv der Medizin,
die in eine physische und psychische Resignation mündet, die dafür sorgt, dass erwachsene Betroffene alles was mit Medizin zu tun hat möglichst meiden.
Auch Ihre Studie.

Aus meiner Gesprächserfahrung glauben viele Betroffene Ihnen daher auch einfach nicht, dass Sie was ändern wollen. Was hat sich denn für die erwachsenen Betroffenen seit „Netzwerk-IS“ welches sich nun bereits seinem letzten Existenz- Jahr nähert geändert? Das Netzwerk war wirklich vielleicht mal eine Chance, aber die wurde aus meiner Sicht vertan.
Lassen Sie mich Ihnen, kurz vor Schluss, in diesem Zusammenhang noch eine Begebenheit mitteilen:
So habe ich mit einer Mutter mit IS- Kind, nach ihrer Teilnahme an der Studie, ein Telefonat geführt, bei welchem Sie mir ganz stolz und in dieser Reihenfolge berichtete, dass es ihr doch wohl ganz gut gelungen sei zu vermitteln, dass der behandelnde Arzt Ihres Kindes gut sei und es dem Kind dementsprechend auch gut ginge.

Ich bin jetzt etwas müde und möchte auch, um Ihre kostbare „klinische Zeit“ nicht über Gebühr in Anspruch zu nehmen, zum Schluss kommen.

Wissen Sie, egal welche Inhalte oder Fakten wir, als Betroffene, Ihnen, als Mediziner, unterbreiten würden, alles wäre als ein Affront gegen Sie und Ihre Tätigkeit an uns auslegbar.
Und wissen Sie was, solange die Medizin sich Ihre selbstgeschaffenen virtuellen Realitäten in den Rang eines Naturgesetztes erhebt, wird es dem Grunde nach auch für uns oder andere Menschen die auf die Hilfe der Medizin angewiesen sind, unüberwindbar immer so bleiben.
Die Medizin hat sicher vielen Menschen sehr viel Leid erspart und gelindert, aber daraus lässt sich nicht der ultimative Anspruch der therapeutischen Unfehlbarkeit ableiten.
Bei uns liegt es daran, dass die Medizin sich, bereits meist am ersten Tag unseres Lebens, über unsere Rechte, die Gesetze und die Natur hinweg setzt und damit diesen Widerspruch in unsere physische und psychische Existenz implementiert.
Das wird z.B. auch sicher nicht dadurch geheilt, dass man IS in TS umdeklariert und damit eine medizinisch falsch getroffene Entscheidung, wiederum zu Lasten der Betroffenen, nun als psychische Erkrankung (so das BSG) verkauft. Oder dass man sogar ein Recht auf „Nichtwissen“ u.a.m. bemüht um die Betroffenen in die Fremdentscheidung zu zwingen.

Wir sind die Karnickel eines Freilandversuches. Nicht mehr und nicht weniger.
Wir sind, wenn nötig, das schmückende Beiwerk, auf das die staatlichen Mittel sprudeln.
Nicht mehr und nicht weniger
Unsere Existenz ist überflüssig, wenn das Ergebnis bekannt ist.
Nicht mehr und nicht weniger
Ist das Ergebnis bekannt, müssen die Karnickel selbst sehen, wie es weitergeht.
War halt ein Versuch und wir sind nur Kollateralschäden .............
Nicht mehr und nicht weniger

Ich wünsche mir an dieser Stelle, dass der Hinduismus oder Buddhismus mit seinen Theorien über die, aus den im Vorleben resultierende Qualität der folgenden Wiedergeburt, zutrifft.
Vielleicht finden Sie dann, wenn Sie es mal selbst erlebt haben, auch die Erleuchtung.
So wie bisher geht es jedenfalls nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Claudia Kreuzer
Ein maßlos enttäuschtes Karnickel

Siehe auch:
- Netzwerk Intersexualität und wir Intersexuellen - Mitsprache geht anders
- Offener Brief von Lucie Veith an das Netzwerk Intersexualität