Bundestag: Grüne fordern Menschenrechte für Zwitter!

Gestern 19.06.2008 beriet der Bundestag in erster Lesung über einen Antrag der Grünen (pdf-Download), der (in der scheinbar gottgegebenen Reihenfolge) "Verstärktes Engagement Deutschlands für die Anerkennung der Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und Intersexuellen" fordert. Der 18-Punkte-Antrag bezieht sich auf die Yogyakarta-Prinzipien, einem "Katalog von Richtlinien zur Wahrung der Menschenrechte von Menschen mit einer anderen als der heterogenen Geschlechtsidentität"  (mehr Infos / pdf-Download auf Deutsch).

Ein Abschnitt in der Einleitung befasst sich exklusiv mit den medizinischen Verbrechen an Zwittern:

Die Menschenrechte von Intersexuellen (Menschen, die von der Medizin als geschlechtsuneindeutig eingestuft werden) werden durch die rechtlich erzwungene Zuordnung männlich/weiblich verletzt. Dies führt in vielen Ländern – so auch in Deutschland - sofort nach der Geburt zu medizinisch nicht notwendigen Eingriffen an gesunden Körpern. Diese sozialen Präventionsmaßnahmen, die dazu dienen sollen, Intersexuellen die Erfüllung einer geschlechtlichen Rolle zu erleichtern, stehen in keinem Verhältnis zu den dadurch auftretenden Traumata und zur Zerstörung der persönlichen und körperlichen Identität.

Geschlechtsidentitätsfixiertheit der Antragsteller hin oder her: Da sag ich doch Danke!!! -- und mach gleich noch was auf ... :-) :-) :-)

Und hoffe erst recht, dass der Antrag gutgeheissen wird -- und ihm auch konkrete Taten folgen!

Denn "die Bundesregierung" (die in Sachen "Menschenrechte auch für Zwitter" bisher ausnahmslos durch ignorante und inkompetente bis grob verletzende Statements unangenehm auffiel!) hatte nämlich schon am 23.01.2008 in einer Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion zu den Yogyakarta-Prinzipien u.a. frech behauptet:

Die Bundesregierung, die nach eigener Aussage auf internationaler Ebene seit Jahren konsequent gegen Diskriminierung sexueller Minderheiten eintritt, betrachtet die Yogyakarta-Prinzipien als einen wichtigen Beitrag der Zivilgesellschaft.

Liebe Bundesregierung: Nun habt ihr ja die Gelegenheit, diesen schönen Worten auch Taten folgen zu lassen! Denn wie heisst's: Schön reden kost nix -- aber Taten sprechen lauter als Worte!!

(Gefunden via Intersex-Feed des genderfree-blogs.)

Nachtrag: Siehe auch die Diskussionen hier in den Blog-Kommentaren, im öffentlichen Bereich des IS-Menschen Forums und im geschlossenen Bereich des Hermaphroditforums.

Nachtrag 23.6.: Der Verein Intersexuelle Menschen e.V. hat inzwischen reagiert und eine Stellungnahme an den Bundestag und die Öffentlichkeit versandt.

Nachtrag 9.3.09: Bundestag lehnt Yogyakarta-Vorstoss der Grünen ab

Comments

1. On Friday, June 20 2008, 06:56 by Lucie

Löblich, dass die Grünen versuchen auf diese Weise das Thema Intersexelle Menschen auf die Tagesordnung zu bringen. Die Yogyakarta-Prinzipien in ihrer Aussage schließen die Probleme der zwischengeschlechtlichen menschen nicht mit ein. Es geht um gleichgeschlechtliche Liebe, Lebenspartnerschaften und Menschenrechtgewährung beifür Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender. Sie wurden im November 2006 von namhaften internationalen Menschenrechtsexpertinnen und -experten auf einer
Konferenz im indonesischen Yogyakarta entwickelt. Die
Hirschfeld-Eddy-Stiftung in Köln hat sie nun auf deutsch veröffentlicht.

Ich kann nicht an einen Schutz intersexuellen Lebens auf Grund dieser Initiative glauben. Ganz im Gegenteil: Solange breite Teile der Bevölkerung und des Parlamentes nicht verstanden haben, dass es sich bei der Zwischengeschlechtlichkeit, der sogenannten Intersexualität, nicht um Wandlung und geschlechtlicher Orientierung handelt, sondern um eine menschliche Geschlechtvariante, um einen SEINS- Zustand, solange wird es keinen wirksamen Schutz geben. Dieser Antrag ehrt die Grünen, aber er zeigt Gleichzeitig, dass ohne die Einbeziehung von Spezialisten, wie die Vertreter der Selbsthilfeorganisation und der Vereine dort kein Wandel abzeichnet.

Mir ist bewusst, dass ich hier wahrscheinlich eine Diskussion wegen des Begriffes Transgender auslösen könnte. Als Bio- Zwitter bezeichne ich mich als deutschsprachiger Mensch nicht als transgender, sonder als Zwanstranssexualisiert und als Opfer eines Menschenversuchs. Man sollte da nichts durcheinander bringen.

Schade, dass die Grünen keinen Kontakt zu uns aufnehmen mögen...

2. On Friday, June 20 2008, 16:19 by seelenlos

lucie, danke für deinen scharfsinnigen kommentar! und obwohl ich mich prinzipiell jedesmal freue, wenn irgendwo in der öffentlichkeit die stichworte "Intersexualität" und menschenrechte in einen zusammenhang gebracht werden, teile ich deine kritik und bedenken voll und ganz (deshalb schrieb ich auch von "geschlechtsidentitätsfixiertheit" und der "gottgegebenen reihenfolge").

es ist eine schande, dass für praktisch alle "normalos" die menschenrechte der zwitter wenn überhaupt, dann höchstens als anhängsel an andere "randgruppen" (wie z.b. frauen oder im vorliegenden fall LGBT) eine daseinsberechtigung in der politischen debatte haben, aber nie für sich allein. ev. wäre es an der zeit, in der öffentlichkeit vermehrt nach dem motto vorzugehen bzw. druck aufzusetzen: menschenrechte auch für zwitter -- und zwar nicht als anhängsel von irgendwas oder sonst in irgendwelche kontraproduktiven weil für zwitter unzutreffenden geschlechterdiskurse eingebunden, sondern einfach endlich menschenrechte auch für zwitter, punkt.

was die kommunikationsbereitschaft der grünen anbetrifft: nella hatte den jungen grünen nach ihrer vollmundigen forderung nach "umfassender gleichstellung intersexueller" hochoffiziell ein freundliches mail geschrieben -- anwort immer noch ausstehend ...

3. On Saturday, June 21 2008, 19:08 by chappi

die politiker tun nichts, sie lernen nichts, sie begreifen nichts. es ist absolute dummheit, uns in einen bunten topf zu werfen, aber das ist nichts neues. im netzwerk intersexualität steht unter publikationen ja auch drin, dass ts und is zusammen gehören.

wenn nicht bald etwas ganz plötzlich geschieht, passiert gar nichts mehr.

hoffentlich gehen nicht nur vereinzelt ein paar von uns auf die barikaden, sondern alle. wir haben einen verein, was macht der?

4. On Sunday, June 22 2008, 21:40 by lucie

In Berlin muss einen nichts mehr wundern. Die wollen den großen Genderpot. Das ist auch die Linie, die dort seit Jahren gefahren wird. Hier ein Beispiel :

Männlich-weiblich –menschlich?
Kurztext aus der Einladung zur Fachtagung „Trans- und Intergeschlechtlichkeit“ November 2004
Alle Menschen werden nach der Geburt dem weiblichen oder dem männlichen Geschlecht zugeordnet und dementsprechend sozialisiert. Die an die Geschlechterrollen geknüpften Erwartungen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert. Für manche Menschen ist die Zuordnung nach der Geburt und das Zwei-Geschlechtersystem nicht passend.
Transsexuelle sind Frauen und Männer, deren Geschlechtsidentität nicht mit ihrem körperlichen Geschlecht übereinstimmt. Sie haben in Deutschland seit dem Inkrafttreten des Transsexuellengesetzes 1980 die Möglichkeit, ihren Vornamen oder nach einer geschlechtsangleichenden Operation auch ihren Personenstand zu ändern.
Intersexuelle werden mit Geschlechtsmerkmalen geboren, die sich von dem unterscheiden, was für gewöhnlich als weiblich oder männlich erkennbar ist. Auch sie werden jedoch einem der zwei Geschlechter juristisch und medizinisch zugeordnet. Bei anderen wird ihr „Zwischen-den-zwei-Geschlechtern-Stehen“ erst in der Pubertät offensichtlich. Diese Kinder und ihre Eltern benötigen eine besondere Begleitung und Unterstützung.
Transgender ist ein Oberbegriff für Transsexuelle, Intersexuelle und weitere Personen, die nach Wegen suchen, anders als in den vorgegebenen Geschlechtskategorien zu leben.
Alle diese Menschen sind im Prozess der Geschlechtsidentitätsfindung und bei Schritten zur Geschlechtsanpassung oder -verdeutlichung großen Problemen durch Uninformiertheit, Tabuisierung und Vorurteile ausgesetzt. Diskriminierungen und psychische Belastungen führen nicht selten zu massiven Krisen bis hin zur Suizidgefährdung.
© Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport, Berlin, Fachbereich für gleichgeschlechtliche Lebensweisen 2004

5. On Tuesday, June 24 2008, 00:33 by seelenlos

inzwischen hat der verein ja reagiert und allen mitgliedern des bundestags und den medien eine offizielle stellungnahme zukommen lassen.

dass es nicht nur der subjektive einduck der betroffenen menschen war, sie würden einmal mehr ausgeblendet und unterschlagen, beweist die offizielle tagungsordnung des bundestags: von "intersexuellen" ist dort nirgends die schreibe, sondern ausschliesslich von "Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender":

31.a) Beratung der Großen Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zur Lage der Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender
- Drs 16/2084, 16/2800 -

31.b) Beratung BeschlEmpf u Ber (17.A)

zum Antrag BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Den 17.5. als offiziellen Tag gegen Homophobie begehen
- Drs 16/5291, 16/9366 -

ZP.10) Beratung Antrag BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender weltweit sicherstellen - Yogyakarta-Prinzipien unterstützen
- Drs 16/9603 -

bezeichnend auch, dass laut offiziellem bundestagsprotokoll (pdf-dowload, siehe s. 1095 (a) und (c)) in der betreffenden debatte das wort "intersexuelle_r" sage und schreibe zwei mal ausgesprochen wurde: beide male in der rede von holger haibach (cdu/csu), beide male als kommentarloses schlusslicht zu -- na was denn wohl?!

wen wundert's da noch, dass haibach "intersexuelle" für menschen hält, die wegen "ihrer sexuellen Orientierung" verfolgt und diskriminiert werden -- selbstverständlich nur in weit entfernten "Staaten [...], die eine andere Lebensweise haben", wie z.b. "Usbekistan und Turkmenistan" ... und niemand im ganzen bundestag klärt haibach über seinen fatalen irrtum auf ... weil wohl niemand im bundestag den irrtum überhaupt bemerkt ...

höchste zeit, auch diesen unwissenden parlamentarierInnen einmal gehörig den marsch zu blasen!