Genitalverstümmelungen in Kinderkliniken: Bundesregierung beugt Grundgesetz Art. 2.2 (Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit)

Foto: Kundgebung zum 1. Prozesstag im 'Zwitterprozess' vor dem Landgericht Köln,12.12.2007.

V.l.n.r.: Elisabeth Müller, Daniela Truffer, Katrin Ann Kunze †, Christiane Völling

"Jeder hat das [...] Recht auf körperliche Unversehrtheit", steht im Deutschen Grundgesetz (Artikel 2.2).

Auch in der Schweizerischen Bundesverfassung ist das Recht auf körperliche Unversehrtheit verankert (Artikel 10.2).

In Österreich ist Recht auf körperliche Unversehrtheit kein explizites Grundrecht, aber "anerkanntes öffentliches Interesse". (Vgl. Anhang)

Genitale Zwangsoperationen an zwischengeschlechtlichen Kindern sind eine massive Menschenrechtsverletzung!

Seit 1996 verurteilen zwangsoperierte Zwitter aus Deutschland, aus der Schweiz und aus Österreich öffentlich die an ihnen begangenen Zwangseingriffe explizit als Menschenrechtsverletzung und fordern ihre sofortige Beendigung – nicht zuletzt unter Berufung auf ihr "Recht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung"  (Vgl u.a. XY-Frauen, Zwischengeschlecht.org, Intersex.ch, Intersexuelle Menschen e.V., OII Deutschland / IVIM).

Zwangsoperiert wird in diesen Länder trotzdem weiterhin ungebrochen (wie leider ja auch sonst so ziemlich überall in der "aufgeklärten Welt"). 

Als bisher einzige Regierung der drei genannten Länder musste sich die Deutsche Bundesregierung aktuell immerhin schon sieben Mal wenigstens im Parlament unbequeme Fragen gefallen lassen. Auch explizit betreffend Verfassungswidrigkeit der systematische Genitalverstümmelungen an zehntausenden, wehrlosen kleinen Zwitterkindern allein in ihrem Zuständigkeitsbereich.

Wo sie nicht schlichtwegs jede Antwort verweigerte ("derzeit keine relevanten Informationen" heisst es stereotyp auch gegenüber der UNO), propagiert die Deutsche Bundesregierung seit über 10 Jahren unbeirrt die nicht-eingewilligten genitalen Zwangsoperationen an Zwitterkindern als "medizinisch notwendig" und "am Kindeswohl aus[ge]richte[t]", eine Grundrechtsverletzung durch Zwangseingriffe sei deshalb "nicht anzunehmen":  

Deutscher Bundestag
Drucksache 14/5627 >>> PDF-Download
14. Wahlperiode, 20. 03. 2001 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vom 16. März 2001 übermittelt.
Antwort der Bundesregierung
auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Christina Schenk und der Fraktion der PDS
– Drucksache 14/5425 –
Intersexualität im Spannungsfeld zwischen tatsächlicher Existenz und rechtlicher Unmöglichkeit

[Frage:]
30. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, das medizinische Interventio-
nen zum Zwecke einer geschlechtlichen Polarisierung an nicht Einwilli-
gungsfähigen den verfassungsrechtlich zugesicherten Grundrechten auf
Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit zuwiderlaufen?
Wenn ja, sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf?
[Fettschreibung durch zwischengeschlecht.info]

[Antwort:]
Die Fragen 29 bis 31 werden zusammenfassend wie folgt beantwortet:
Die Ausübung des elterlichen Sorgerechts hat sich stets am Kindeswohl auszu-
richten (§ 1627 BGB). Deshalb dürfen die Menschenwürde und die Rechte des
Kindes auch durch eine Einwilligung der Eltern in medizinische Eingriffe nicht
verletzt werden. Eine solche Verletzung ist aber nicht anzunehmen, wenn ein
Eingriff medizinisch indiziert ist.
[Fettschreibung durch zwischengeschlecht.info]

Anmerkung 1: Kosmetische Operationen an den "uneindeutigen" Genitalien kleiner Kinder sind etwa so "medizinisch notwendig" wie eine Nasenverkleinerung für sagen wir mal Elefanten. Wetten: Würde "der Bundesregierung" nur einmal auf solche Weise ungefragt ein wenig zwischen den Beinen herumgeschnippelt (oder nur schon an der Nase) – "die Bundesregierung" würde plötzlich einiges ziemlich anders sehen ...


Anmerkung 2: Argumentationen, welchem angeblichen oder tatsächlichen gesellschaftlichen "Zweck" diese kosmetischen Zwangsoperationen von welchem Standpunkt aus gesehen jeweils dienen (z.B. "geschlechtliche Polarisierung" vs. "stabile Geschlechtsidentität", "Herstellung von Normalität", "Aufrechterhaltung des Zweigeschlechtersystems" usw.), sind wenig hilfreich zur realpolitischen Durchsetzung des Kernarguments "Beendigung der genitalen Zwangsoperationen innert nützlicher Frist".

Schluss mit Genitalverstümmelungen an Kindern! Menschenrechte auch für Zwitter!

>>> Genitalverstümmelungen in Kinderkliniken: Fakten und Zahlen
>>>
150 Jahre Menschenversuche ohne Ethik und Gewissen
>>>
Genitalverstümmelungen in Kinderkliniken – eine Genealogie der Täter

Schlussmit genitalen Zwangsoperationen!

Anhang:

"Recht auf körperliche Unversehrtheit" in der Verfassung in Deutschland, Österreich und in der Schweiz


Deutschland: >>> Grundgesetz Artikel 2 (Vgl. auch Art. 1.1, 2.1 und 2.3)

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Schweiz: >>> Bundesverfassung Artikel 10 (Vgl. auch Art 10.3)

(2) Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit.

Österreich:

In Österreich ist das Recht auf körperliche Unversehrtheit zwar "anerkanntes höchstrangiges öffentliches Interesse", aber "kein explizites Grundrecht". (Quelle)

Siehe auch:
- Amnesty D: Zwangsoperationen "fundamentaler Verstoß" gegen körperliche Unversehrtheit
- Schweiz: Amnesty International und Terre des Femmes fordern Strafbarkeit von Genitalverstümmelung auch bei Zwittern
- "Intersexualität und Recht" in Österreich - Eva Matt
- Faule Eier für "die Bundesregierung"! 
- "Weder Evidenz noch medizinische Indikation" (Dr. med. Jörg Woweries)
- Genitalverstümmelung in Kinderkliniken: Wer sind die Täter? Was soll mit ihnen geschehen?