"Heimliche Versuche am Menschen" - Beobachter 7/2010

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Menschenrechte auch für Zwitter!>>> Ein überaus interessanter, auch online zugänglicher Artikel von Otto Hofstettler in der aktuellen Ausgabe der schweizer Zeitschrift Beobachter bringt Klartext über die auch schon auf diesem Blog kritisierten Schwachstellen des kürzlich angenommenen Verfassungsartikels "Forschung am Menschen". Nämlich die nicht verbindlich verankerte Bewilligungspflicht für so genannte "Einzelexperimente" , "Humanexperimente" oder "Heilversuche", d.h. in der Regel serienmässig durchgeführte Humanexperimente, die aber nicht Teil einer kontrollierten Studie sind, wie z.B. die genitalen Zwangsoperationen und sonstige, an Zwittern seit über 50 Jahren systematisch durchgeführten, medizinisch nicht notwendige Zwangsbehandlungen.

Diese werden im Artikel konkret zwar nicht angesprochen, sondern es geht ausschliesslich um andere Fälle, z.B. experimentelle Behandlungen mit nicht zugelassenen sowie Off-Label-Medikamenten und um "experimentelle Operationsmethoden" bei Brustkrebs und Darmerkrankungen. Und wie die Medizyner dabei regelmässig von Schlupflöchern im Gesetz profitieren, die nach Ansicht des Bundesamts für Gesundheit (BAG) auch mit dem aufgrund des Auftrags im Verfassungsartikel neu zu schaffenden Humanforschungsgesetz beklagenswerterweise weiterhin sperrangelweit offen bleiben sollen. Obwohl genau dieser Schwachpunkt in der Vernehmlassung von verschiedenen Organisationen kritisiert wurde, nämlich von Dachverband Schweizerischer Patientenstellen, Forum Gesundheitsrecht, Schweizerische Patienten- und Versicherten Organisation, pro mente sana, Insieme - Vereinigung für Menschen mit geistiger Behinderung, Anthrosona - Verein für anthroposophisch erweitertes Heilwesen sowie Sozialdemokratische Partei (vgl. Bericht zum Vernehmlassungsverfahren (PDF) -> S. 16: Hauptargumente im Zusammenhang mit einem zu engen Geltungsbereich, b) Gruppe 5).

(Zu den im Beobachter-Artikel behandelten Fällen siehe auch: Franziska Sprecher: "Patientenschutz ade? Verschiedene Massstäbe beim Patientenschutz bei individuellen Heilversuchen im Vergleich zu systematischen klinischen Studien?", Sicherheit & Recht 1 (2009), Nr. 2, S. 76-80 >>> PDF; Überblick über Publikationen und Gerichtsverfahren von Margrit Kessler, Präsidentin Schweizerische Patienten- und Versicherten Organisation)

Einziger Lichtblick unter den im Beobachter-Artikel berichteten Fakten sind die deutlichen Aussagen der Rechtsanwältin Monika Gattiker, welche die mangelnde Kontrolle von sog. "Einzelexperimenten" oder "Heilversuchen" im Entwurf des Humanforschungsgesetzes schon mehrfach kritisierte.

(Siehe u.a. Monika Gattiker: "Heilversuche dienen nicht nur dem Patienten – Ein gravierender Mangel im Entwurf des Humanforschungsgesetzes", NZZ 22.6.2006, enthalten in diesem PDF -> S. 27-28; Monika Gattiker "Das Humanforschungsgesetz (HFG) : ein Gesetzesentwurf mit Lücken!", Aktuelle juristische Praxis 15 (2006), H. 12, S. 1535-1545.)

Auch im Beobachter-Artikel redet Monika Gattiker Klartext:

Die Zürcher Rechtsanwältin und Ärztehaftpflichtspezialistin Monika Gattiker spricht von «offensichtlichen Lücken» im neuen Humanforschungsgesetz. Deshalb veröffentlichte sie eine detaillierte juristische Analyse mit Vorschlägen, wie sämtliche Heilversuche gesetzlich geregelt werden könnten, ohne die Arbeit der Ärzte zu erschweren. Gattiker: «Die Therapiefreiheit ist gut und recht, aber ein Patient muss es wissen, wenn er an einem Versuch teilnimmt.» Deshalb fordert sie ein schriftliches Aufklärungsprotokoll und schriftliche Einwilligung der Patienten bei allen Heilversuchen. 

Ebenso Margrit Kessler, Präsidentin der Schweizerischen Patienten- und Versicherten Organisation (SPO):

Zum neuen Humanforschungsgesetz spart die Patientenschützerin nicht mit deutlichen Worten: «Es ist stossend, dass für Patienten, die von einem Heilversuch betroffen sind, das Gesetz nicht gelten soll.» Kessler ist überzeugt: «Experimentelle Operationsmethoden werden mit dem neuen Gesetz einfach unter dem Deckmantel ‹Heilversuche› laufen.» Und sagt: «In der Schweiz haben vor allem die Ärzte Rechte und nicht die Patienten.»

Weiter belegt der Artikel die Ausreden des Bundesamts für Gesundheit (BAG) und die fehlende PatientInnenvertretung bei der schweizerischen Zulassungsbehörde Swissmedic.

>>> http://www.beobachter.ch/leben-gesundheit/medizin-krankheit/artikel/forschung_heimliche-versuche-am-menschen/

Siehe auch:
- Verfassungsartikel Forschung am Menschen – Chance im Kampf gegen genitale Zwangsoperationen und sonstige experimentelle Zwangsbehandlungen an Zwittern