"Baustelle Intimbereich" - SonntagsZeitung 14.6.2009
Von Achim Wüsthof
Im Wartezimmer einer Zürcher Frauenarztpraxis taucht auf einem grossen Flachbildschirm in regelmässigen Abständen ein auf Hochglanz polierter Apfel vor einem nackten weiblichen Hinterteil auf. Darunter prangt der Hinweis, dass Enthaarung wichtig für die Berührung sei. Das Video rät weiter zur Straffung der Brust, um das Selbstbewusstsein der Frau zu stärken. Und es wäre nicht verwunderlich, wenn demnächst dort auch noch die operativen Korrekturmöglichkeiten im Intimbereich beworben würden.
Die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper führt dazu, dass Frauen und Männer zunehmend die Hilfe von Chirurgen in Anspruch nehmen. Und zwar nicht nur um Falten, Tränensäcke oder Fettpolster loszuwerden, sondern um auch «unten herum» vermeintlich normaler oder schöner zu werden. Nicht zuletzt durch die voll- oder teilrasierte Scham merken manche Frauen überhaupt erst, dass zum Beispiel ihre kleinen Schamlippen weiter hervorstehen als bei anderen. Die kleine Abweichung von der Norm wird schnell als störend empfunden, auch wenn es sich dabei meist um eine Variante der Natur handelt.
Der auch von den Medien geschürte Leidensdruck treibt dann verunsicherte Frauen in die Arme von Chirurgen, die nicht nur Schamlippen verkleinern (siehe Grafik) oder vergrössern, sondern auch die Scheide verengen, Fett am Schamhügel absaugen, die Klitorisvorhaut reduzieren, Kollagen unter den G-Punkt spritzen und das Jungfernhäutchen rekonstruieren. Dabei rechtfertigen sich Patientinnen und Ärzte gleichermassen, es gehe ihnen nicht nur ums Aussehen, sondern um eine Verbesserung der Sexualität.
Resultat der Operation waren zerstückelte Schamlippen
Gemäss der amerikanischen Gesellschaft für plastische Chirurgie liegt die jährliche Steigerungsrate bei diesen Eingriffen bei etwa 30 Prozent. In Deutschland werden jährlich mindestens 1000 Schamlippenstraffungen aus kosmetischen Gründen durchgeführt, Tendenz ebenfalls steigend. Selbst im staatlichen englischen National Health Service hat sich die Zahl dieses Eingriffs innerhalb von vier Jahren verdoppelt. Da die Mehrzahl dieser Operationen wahrscheinlich in Privatkliniken stattfindet, dürfte die Dunkelziffer wesentlich höher liegen.
Für die Schweiz liegen keine genauen Zahlen vor. Immerhin: Das unabhängige Beratungszentrum für Plastische Chirurgie Acredis hatte 2007 noch keine Anfragen zu diesem Thema, im vergangenen Jahr waren es 31, und dieses Jahr scheint sich die Zahl der Ratsuchenden zu verdoppeln. Auch immer häufiger lassen sich Männer den Penis operativ verlängern. Die Website eines plastischen Chirurgen wirbt damit, dass die sichtbare Penisvergrösserung zu mehr «Selbstsicherheit, Zufriedenheit und Lebensglück» führt.
So ähnlich hatte sich auch Sandra T. die Auswirkung einer Genitaloperation vorgestellt. Seit ihrer Jugend schämt sie sich wegen ihrer ausgeprägten Schamlippen, die sie beim Tragen eines Bikinis oder in engen Jeans stören. Jahrelang traut sie sich nicht, das Problem bei ihrem Frauenarzt anzusprechen. Als sie dann schliesslich bei einer Vertretungsärztin den Mut fasst, sich über ihre «überdimensional grossen Lappen» zu beklagen, wird sie umgehend zu einem Spezialisten überwiesen.
Doch sie landet in einer Klinik, in der die Ärzte wenig Erfahrung mit den Operationstechniken haben. Der Eingriff misslingt. Die Studentin hat hinterher zerstückelte und sogar durchlöcherte Schamlippen, sodass nachoperiert werden muss. Abgesehen von der damit verbundenen Aufregung ist auch das kosmetische Ergebnis unbefriedigend, eine weitere plastische Operation steht noch an. In ihrem Bericht, den das Fachblatt «Frauenheilkunde Aktuell» abdruckt, schreibt Sandra T.: «Ich würde mich sehr freuen, wenn ich helfen kann, dass mein Fall sich nicht so oft wiederholen wird.»
In den Kliniken, die sich auf die vaginale Schönheitschirurgie spezialisiert haben, werden die Risiken naturgemäss heruntergespielt. Die Angst vor Komplikationen könnte sich geschäftsschädigend auswirken. An einer Schamlippenkorrektur lässt sich gut verdienen - der Eingriff kostet zwischen 4500 und 6000 Franken.
Auf der Homepage der Frauenärztin Martine Fankhauser in Lausanne beispielsweise erfahren potenzielle Kundinnen lediglich, dass die Eingriffe zu einem Bluterguss und in seltenen Fällen zu einer Infektion, einer Gewebsschädigung oder einem asymmetrischen Ergebnis führen können.
Viele hoffen, sexuelle Probleme liessen sich wegoperieren
Doch häufig sind es Narben und Verwachsungen, die im sensiblen Bereich Probleme machen können - auch später bei der Geburt eines Kindes. «Wir haben schon Patientinnen mit chronischen Schmerzen nach einer solchen Operation gesehen; auch Nervenschädigungen sind möglich, sodass es zu Taubheitsgefühlen und damit verbundenen sexuellen Funktionsstörungen kommen kann», sagt Daniel Fink, Chefarzt der Abteilung für Gynäkologie am Universitätsspital Zürich. Er findet, dass Operationen an den Genitalien eigentlich nur beim Vorliegen eines Tumors oder bei Verletzungen gerechtfertigt sind. Auch die Fachgesellschaft der nordamerikanischen Frauenärzte warnte bereits 2007 in einer Veröffentlichung vor ästhetischen Eingriffen im Genitalbereich, da es keine soliden wissenschaftlichen Daten über deren Effektivität und Sicherheit gebe.
Wieso wollen aber viele Patientinnen so etwas gar nicht hören und lassen an sich herumschnippeln, teilweise auch noch von gering qualifizierten Ärzten? «Viele Menschen hoffen, dass sich ihre sexuellen und seelischen Probleme einfach wegoperieren lassen und so das grosse Glück beginnen kann», sagt Ada Borkenhagen von der Abteilung für Medizinische Psychologie und Soziologie der Universität Leipzig. In unserer Gesellschaft sei der Erwartungsdruck sehr gross, beim Sex stets einen Orgasmus zu erreichen.
Wenn das nicht so funktioniert, werden zum Teil die Geschlechtsorgane dafür verantwortlich gemacht. In der Regel ist dies ein Trugschluss, denn die Beschaffenheit der Genitalien hat mit sexueller Lust meist rein gar nichts zu tun. Genauso wenig wie die Penisgrösse mit Erektionsstörungen oder vorzeitigem Samenerguss. Auch das Einspritzen von Kollagen in der Region des G-Punktes - um die Orgasmusfähigkeit zu steigern - ist mehr als umstritten.
Frauen schieben oft praktische Gründe bei Operationen vor
Aus kulturell-religiösen Gründen wiederum hat das Jungfernhäutchen eine besondere Bedeutung, da hauptsächlich von muslimischen Frauen erwartet wird, dass sie «rein» ihre Ehe beginnen. Wenn sie allerdings schon sexuelle Erfahrungen hatten, dann können Ärzte ihre Gewissensnöte durchaus mithilfe von Nahtmaterial heilen.
Auch bei den anderen Genitaloperationen schieben Frauen oft praktische Gründe vor, weshalb sie etwa ihre üppigen Schamlippen loswerden wollen. Für die Psychologin Borkenhagen offenbart sich hier ein Geschlechterunterschied: «Kein Mann würde auf die Idee kommen, seinen Penis operativ verkleinern zu lassen, nur weil er beim Velofahren drückt.»
Publiziert am 14.06.2009
© SonntagsZeitung
Siehe auch:
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Medien: Warnung vor (weiblichen) Genitaloperationen
Published on Sunday, June 21 2009 by seelenlos