IGM2025 > Geschlechter-Aktivist:innen als Mittäter:innen bei IGM

Dass Intersex-Genitalverstümmelungen (IGM) nach über 30 Jahren Kampf von Betroffenen und Verurteilungen durch Menschenrechts- und Ethikgremien 2025 auch in der Schweiz immer noch ungestraft weiterpraktiziert werden können, ist nur möglich, weil es neben den Täter:innen auch eine ganze Reihe von Mittäter:innen gibt, die IGM, das dadurch verursachte lebenslange Leid und die Proteste der Betroffenen konstant vereinnahmen, verharmlosen, ignorieren, ausblenden und unsichtbar machen. Oft genug sind diese Mittäter:innen ausgerechnet diejenigen, welche das Thema "im Namen der Betroffenen" in der Öffentlichkeit und in der Politik ausbreiten und womöglich buchstäblich besetzen (was von Betroffenen und Verbündeten seit mehr als 20 Jahren als "Kolonialisierung" verurteilt wird).

Leider gibt es unter diesen Mittäter:innen auch Intersex-Menschen, meist selbst keine IGM-Überlebenden, die sich vor allem für Geschlechterpolitik interessieren, dabei aber Intersex als Mittel zum Zweck benutzen und öffentlich unwahre Behauptungen verbreiten, die Intersex-Kindern und Intersex-Menschenrechten massiv schaden.

Z.B. Urs Vanessa Sager (OII/InterAction Suisse).

Öffentliche Behauptung (1): "In den grossen Universitäts- und Kantonsspitälern mit 'interdisziplinären Teams' werden Intersex-Kinder nicht mehr genitalverstümmelt"

Urs Vanessa Sager: "Diese Motion haben wir gestartet, weil diese Operationen eben nach wie vor gemacht werden an gewissen Orten in der Schweiz. Es gibt - in gewissen Spitälern gibt es interdisziplinäre Teams, aber eben nicht in allen Spitälern. Das heisst für intergeschlechtliche Kinder oder Menschen oder Eltern, die intergeschlechtliche Kinder bekommen ganz einfach, entweder ich habe Glück und ich bin in der Nähe eines solchen Spitals, das das interdisziplinäre Team hat und das uns richtig informiert und begleitet, oder – ich habe dieses Glück einfach nicht."
Quelle: SRF Einstein "Körperlich weder Mann noch Frau", 16.02.2023

Tatsache (1): In den grossen Spitälern wird im Gegenteil am meisten operiert, genau die "interdisziplinären Teams" verordnen die Verstümmelungen und führen sie durch (z.B. im Kispi Zürich jedes Jahr 85-135 Genital-OPs an Intersex-Kindern). Die einzigen Intersex-Kinder, die "Glück" haben, sind diejenigen, deren Eltern nicht-notwendige OPs standhaft verweigern.

Öffentliche Behauptung (2): "Nur die wenigsten Intersex-Kinder werden genitalverstümmelt"

"Die umstrittenen Operationen betreffen hingegen nur einen kleinen Teil von intergeschlechtlichen Personen. Sager betont: In den meisten Fällen machen sich Geschlechtsvariationen erst mit der Pubertät bemerkbar – oder sogar erst durch Zufallsbefunde, wenn beispielsweise im Unterleib operiert wird."
Quelle: NZZ, "Tausende Menschen in der Schweiz haben weibliche und männliche Geschlechtsmerkmale. Wünschen sie sich einen dritten Geschlechtseintrag?", 25.05.2024

Tatsache (2): Die hauptsächlichen Intersex-Diagnosen, bei denen auch am meisten verstümmelt wird, u.a. "Hypospadie", "Adrenogenitales Syndrom (AGS)" und "Androgenresistenz (AIS)", werden heute in der Regel pränatal oder bei der Geburt erkannt – und die Kinder werden dann abgetrieben oder in den ersten Lebensjahren verstümmelt.

Öffentliche Behauptung (3): "2% aller Menschen sind Intersex"

Quelle: Fausto-Sterling, The Five Sexes (2000)

"Die Uno geht davon aus, dass 0,05 bis 1,7 Prozent der Menschen betroffen sind. Der Verein Interaction, dem Urs Vanessa Sager vorsteht, geht sogar von 1 bis 2 Prozent aus. […] Sager geht davon aus, dass viele Betroffene gar nicht von ihrer Intergeschlechtlichkeit wissen. «Und selbst wenn, dann sieht man es den meisten nicht an, weil sie zu einem Geschlecht tendieren», sagt Sager."
Quelle: NZZ, "Tausende Menschen in der Schweiz haben weibliche und männliche Geschlechtsmerkmale. Wünschen sie sich einen dritten Geschlechtseintrag?", 25.05.2024

Tatsache (3): Die hauptsächlichen Intersex-Diagnosen, u.a. "Hypospadie", "Adrenogenitales Syndrom (AGS)", "Androgenresistenz (AIS)" und mehr, bei denen meist verstümmelt wird, und bei denen Ärzt:innen, Eltern wie auch die Betroffenen selbst am eigenen Körper sehr wohl merken, dass sie intersex sind, betreffen ca. 0.2% (genaue Statistiken werden nirgends erhoben).

Bei der oft herumgebotenen Zahl von 1,7% (siehe Bild) wurden zu den genannten 0.2% dann noch 1.5% mit der Diagnose "late onset AGS" dazugerechnet. Diese sind bei der Geburt tatsächlich per Definition unauffällig, und viele merken ihr Leben lang nichts oder wenig, dass ihr Testosteronspiegel leicht ansteigt.

Die erste Gruppe von ca. 0.2%, die mehrheitlich schwersten Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind, weil sie Intersex sind, mit den anderen 1.5%, die mehrheitlich (wie Sager selbst andeutet) "gar nicht wissen", dass sie intersex sein sollen und die keine vergleichbaren Folgen davontragen, in einen Topf zu werfen und zu vereinnahmen sowie IGM zu relativieren und zu verharmlosen, ist unsolidarisch, unmoralisch und Mittäter:innenschaft bei Intersex-Genitalverstümmelungen.

Wir wehren uns gegen solche Unsichtbarmachung, Verharmlosung und Vereinnahmung von Intersex und IGM!

Siehe auch:
100 UNO-Rügen wegen IGM!
Intersex-Genitalverstümmelung in der Schweiz

Intersex-Genitalverstümmelung und akademische (Mit-)Täterinnenschaft
Präsentation @
Feministisches Hochschulkollektiv Zürich, 8.11.23

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Video: Teil 1 | Teil 2 | Teil 3

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