Strategien von IGM-Ärzt:innen zur Verhinderung von Intersex-Menschenrechten
By seelenlos on Saturday, January 25 2025, 20:46 - Forderungen - Permalink
Seit Menschenrechts- und Ethikgremien Intersex-Genitalverstümmelungen (IGM) zunehmend als schwerwiegende Menschenrechtsverletzung kritisieren und erste Staaten formelle (wenn auch bisher ungenügende) Verbote von IGM-Praktiken verabschiedet haben, können IGM-Praktizierende die jahrzehntelange Kritik von Betroffenen und ihren Organisationen nicht mehr länger einfach ignorieren. Längst sind sie dazu übergegangen, Bestrebungen für einen wirksamen Schutz von Intersex-Kindern verdeckt oder mittlerweile auch offen zu bekämpfen, um Intersex-Menschenrechte möglichst zu verhindern oder wieder rückgängig zu machen, und haben dazu Strategien entwickelt, die sich international immer wieder beobachten lassen. Nachfolgend ein Abschnitt dazu aus dem Bericht an den UNO-Hochkommissar für Menschenrechte (S. 9-10) in deutscher Übersetzung:
7. IGM-Praktiken sind Gewalt, NICHT "medizinische Versorgung",
"Diskriminierung" oder "Geschlechtsidentität"Obwohl die Mindestanforderungen für eine wirksame Bekämpfung von IGM-Praktiken und ihre Unabdingbarkeit unter internationalem Recht sehr klar sind (siehe oben, S. 6-8), betreiben IGM-Ärzt:innen und ihre Organisationen in den letzten zehn Jahren hinter den Kulissen zunehmend Kampagnen, um die Menschenrechte von gefährdeten Intersex-Kindern von einer Frage der Gewalt zu einer Frage der "medizinischen Versorgung", "Diskriminierung" oder "Geschlechtsidentität" umzudeuten und herabzustufen [67], um zu verhindern, dass durch gesetzgeberische Initiativen die Mindestanforderungen zum Schutz gefährdeter Intersex-Kinder durchsetzbares Recht werden.
Dort, wo es aufgrund von öffentlichem und politischem Druck nicht mehr praktikabel ist auf jegliche Regulierung zu verzichten, fördern IGM-Ärzt:innen und ihnen nahestehende Akteur:innen anstelle von wirksamen Maßnahmen oft folgendes (in der Reihenfolge ihrer Präferenz):
- "Selbstregulierung" durch die Täter:innen mittels unverbindlicher "medizinischer Leitlinien" [68] [69] [70]
- ministerielle Aufsicht, die bestenfalls (die meisten) IGM-Praktiken quasi legalisiert [71]
- gerichtliche Aufsicht, vorzugsweise durch Familiengerichte, die IGM-Ärzt:innen zu auszuhebeln wissen [72]
- ein zahnloses "Verbot" ohne Sanktionen und Zugang zur Justiz für IGM-Überlebende [73]
- ein nicht durchgesetztes "Verbot", das die häufigsten IGM-Praktiken ausschließt und/oder de facto legalisiert [74]
Wiederholt benutzten Gesundheitsministerien auch abschließende Bemerkungen von UNO-Komitees, die keine ausdrückliche Empfehlung für ein ausdrückliches Verbot von IGM einschließlich Kriminalisierung oder angemessene Sanktionierung enthalten, als Ausrede für die Förderung der "Selbstregulierung", die es erlaubt, staatlich geförderte IGM-Praktiken ungestraft fortzusetzen. [75] [76] [77]
Eine weitere häufig vorkommende schädliche Falschdarstellung von Intersex-Menschenrechten ist die Behauptung, Intersex-Menschen seien dasselbe wie LGBT (Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transmenschen) oder SOGI (Sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität) oder eine Untergruppe davon, oft aufgrund mangelnden Bewusstseins, als Instrumentalisierung von Intersex-Menschen durch Gruppen Dritter als Mittel zum Zweck für ihre eigene Agenda [78] [79] oder durch Vertragsstaaten, die versuchen, von Kritik an IGM-Praktiken abzulenken.
Intersex-Menschen und ihre Organisationen sprechen sich klar gegen die Instrumentalisierung oder falsche Darstellung von Intersex-Themen aus [80] und halten fest: IGM-Praktiken sind ein eigenständiges und spezifisches Problem und erhebliche Menschenrechtsverletzungen, die sich von denen unterscheiden, welchen die LGBT-Gemeinschaft ausgesetzt ist, und die daher in einem separaten Abschnitt als spezifische Intersex-Themen angemessen behandelt werden müssen.
Auch Menschenrechtsexperten warnen zunehmend vor der schädlichen Vermischung von Intersex und LGBT. [81] [82]
Nichtsdestotrotz, insbesondere von Vertragsstaaten während Staatenprüfungen durch UNO-Komitees werden Intersex und IGM immer wieder fälschlicherweise als Frage der "sexuellen Orientierung" oder "Geschlechtsidentität" dargestellt, um so von der Kritik an den schweren Menschenrechtsverletzungen durch IGM-Praktiken abzulenken. [83]
Ein damit zusammenhängendes Ablenkungsmanöver von Vertragsstaaten und Mediziner:innen ist die zunehmende Falschdarstellung von IGM als "Diskriminierung" statt als schwerwiegende Verletzung nicht verhandelbarer Menschenrechte, oft in Kombination mit der Falschdarstellung von Intersex-Menschenrechtsverteidiger:innen als "Randgruppen" und ihrer legitimen Forderungen und Kritik an einer solchen Herabstufung und Verharmlosung von IGM als "extreme Ansichten". [84]
[64] CRC/C/PRT/CO/5-6, CCPR/C/PRT/CO/5, CCPR/C/DEU/CO/7, CRPD/C/DEU/CO/2-3, CCPR/C/ISL/CO/6
[65] CRC/C/ISL/CO/5-6, CRC/C/DEU/CO/5-6
[66] CRC/C/MLT/CO/3-6, CRC/C/GRC/CO/4-6
[67] Siehe 2024 CAT Finnland NGO-Bericht (INT/CAT/NGO/FIN/57888), S. 26-27, https://intersex.shadowreport.org/public/2024-CAT-Finland-NGO-Intersex-StopIGM.pdf
[68] Beispiel Amnesty (2017), siehe [englisch] https://stopigm.org/post/Amnesty-Report-fails-Intersex-Children-and-IGM-Survivors
[69] Zum Beispiel FRA (2015), siehe [englisch] Präsentation OHCHR Expert Meeting (2015), Folie 8, https://stopigm.org/public/S3_Zwischengeschlecht_UN-Expert-Meeting-2015_web.pdf
[70] Zum Beispiel CEDAW Italien (2017), siehe [englisch] https://stopigm.org/post/Major-Setback-for-Intersex-Human-Rights-at-the-UN
[71] Zum Beispiel Gesundheitsministerium Chile (2016), siehe [englisch] https://stopigm.org/post/Circular-7-step-back-for-intersex-human-rights-in-Chile
[72] Zum Beispiel in Deutschland und Australien, siehe oben Fussnote 61
[73] Zum Beispiel in Portugal, Island und Spanien, siehe oben Fussnoten 58, 59, 61, und 62
[74] Malta und Griechenland, siehe oben Fussnoten 57 und 62
[75] Zum Beispiel Gesundheitsministerium Chile (2016), siehe [englisch]
https://stopigm.org/post/Circular-7-step-back-for-intersex-human-rights-in-Chile
[76] Zum Beispiel Gesundheitsministerium Frankreich (2018), siehe [englisch] 2020 CRC Intersex NGO-Bericht (für LOIPR), S. 19,
https://intersex.shadowreport.org/public/2020-CRC-France-LOIPR-NGO-Intersex-IGM.pdf
[77] Zum Beispiel Gesundheitsministerium Österreich (2019), siehe [englisch] 2019 CRC Intersex NGO-Bericht (für Session), S. 4-5,
https://intersex.shadowreport.org/public/2019-CRC-Austria-NGO-Zwischengeschlecht-Intersex-IGM.pdf
[78] CRC67 Dänemark, [englisch] https://stopigm.org/post/CRC67-Intersex-children-used-as-cannon-fodder-LGBT-Denmark
[79] CEDAW66 Ukraine, [englisch] https://stopigm.org/post/Ukraine-Instrumentalising-Intersex-and-IGM-for-LGBT-and-Gender-Politics
[80] [Für Quellen auf deutsch, siehe https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2009/08/23/Zwitter-und-progressive-LGBTs-gegen-Vereinnahmung]
Für [englische] Quellen, siehe 2016 CEDAW Frankreich NGO-Bericht, S. 45
https://intersex.shadowreport.org/public/2016-CEDAW-France-NGO-Zwischengeschlecht-Intersex-IGM.pdf
[81] Zum Beispiel ACHPR Kommissionsmitglied Lawrence Murugu Mute, siehe [englisch]
https://stopigm.org/post/ACHPR-African-Commissioner-warns-Stop-conflating-intersex-and-LGB
[82] 2018 Bericht der Nationalen Menschenrechtskommission Kenias (KNCHR), S. 15, [englisch] https://www.knchr.org/Portals/0/GroupRightsReports/Equal%20In%20Dignity%20and%20Rights_Promoting%20The%20Rights%20Of%20Intersex%20Persons%20In%20Kenya.pdf?ver=2018-06-06-161118-323
[83] Siehe [englisch] 2024 CAT Finnland NGO-Bericht (INT/CAT/NGO/FIN/57888), S. 26-27, https://intersex.shadowreport.org/public/2024-CAT-Finland-NGO-Intersex-StopIGM.pdf
[84] Siehe [englisch] 2019 CCPR Belgien NGO-Bericht (INT/CCPR/CSS/BEL/37123), S. 28, http://intersex.shadowreport.org/public/2019-CCPR-Belgium-NGO-Intersex-StopIGM.pdf