IGM2025 > Intersex-Genitalverstümmelung in der Schweiz (1)
By seelenlos on Sunday, April 13 2025, 21:24 - Die Mediziner - Permalink
Seit über 30 Jahren klagen Betroffene Intersex-Genitalverstümmelungen (IGM) als schwere Menschenrechtsverletzung an, seit bald 20 Jahren auch in der Schweiz. 2012 kritisierte die Nationale Ethikkommission (NEK-CNE) IGM als "mit den Grund- und Menschenrechten nicht vereinbar" und anerkannte das dadurch verursachte Leid. Seit 2015 verurteilten UNO-Komitees die Schweiz bereits acht mal wegen IGM. Trotzdem werden in Schweizer Kinderspitälern weiterhin jedes Jahr mehrere hundert Intersex-Kinder genitalverstümmelt, bezahlt von der Schweizerischen "Invalidenversicherung (IV)", während die Verantwortlichen die Verstümmelungen immer dreister leugnen. In der neuen Serie #IGM2025 beleuchtet Zwischengeschlecht.info die aktuelle IGM-Praxis in der Schweiz, nennt Ross und Reiter, Tatorte, Täter:innen und Mittäter:innen.
1. Überblick: Intersex-Genitalverstümmelung (IGM) in Schweizer Kinderspitälern
a) IGM-Praktiken werden weiterhin ungestraft praktiziert
Alle Formen von IGM-Praktiken sind in der Schweiz nach wie vor weit verbreitet und werden vom Staat über die Eidgenössische Invalidenversicherung (IV) gefördert, ermöglicht und finanziert gemäss der sogenannten IV-Liste der Geburtsgebrechen, die Genitaloperationen an Intersex-Kindern bis zum Alter von 20 Jahren übernimmt, nicht aber Eingriffe an einwilligungsfähigen Erwachsenen. Von Eingriffen im Kindesalter betroffene haben wegen der Verjährung nach wie vor keine juristische Möglichkeit zu klagen.
b) Von der Schweiz übernommene internationale Leitlinien, die IGM vorschreiben, weiterhin in Kraft
Die Schweizerische Gesellschaft für Urologie anerkennt die Leitlinien 2024 der European Association of Urology (EAU), die IGM-Praktiken empfehlen, insbesondere IGM 3: "Hodenentfernung", IGM 2: Teilamputation der Klitoris bei Kleinkindern aufgrund "sozialer und emotionaler Kriterien" und stellvertretende Entscheidungsfindung durch "Eltern und Betreuer, die implizit im besten Interesse ihrer Kinder handeln", und IGM 1: "Das Alter bei der Operation zur Korrektur der primären Hypospadie beträgt in der Regel 6-18 (24) Monate."
c) Geheime nationale DSD-Richtlinien, die IGM empfehlen, bleiben in Kraft
Die "Schweizweite Einigung der DSD-Behandlungsteams" von 2019, die IGM-Praktiken vorsieht, wenn "die Eltern die 'Schande' nicht ertragen können", ein Intersex-Kind zu haben, bleibt in Kraft. Während die Vereinbarung weiterhin geheim bleibt und nicht veröffentlicht wird, geht aus der Pressemitteilung und den öffentlichen Interviews von Ärzt:innen anlässlich ihrer Einführung klar hervor, dass sie IGM verschreibt.
d) "Multidisziplinäre DSD-Teams" weiterhin von Chirurg:innen und Endokrinolog:innen dominiert
Gemäss einem von Mitgliedern der "Arbeitsgruppe DSD der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie (AG DSD SGPED)" an der 57. Jahrestagung der Europäischen Gesellschaft für Pädiatrische Endokrinologie (ESPE 2018) präsentierten Poster werden die Schweizer "Multidisziplinären DSD-Teams" weiterhin von Kinderchirurg:innen/-urolog:innen und pädiatrischen Endokrinolog:innen dominiert. Das Poster räumt ausserdem ein, dass "spezialisierte DSD-Psychologen und DSD-Spezialisten für Erwachsene [fehlen]".
e) "Multidisziplinäre DSD-Teams" bevorzugen und praktizieren nach wie IGM in Kleinkindesalter
Laut einer Präsentation an der Jahrestagung Europäischen Gesellschaft für Pädiatrische Endokrinologie (ESPE) 2019, die von einer Ärztin des Universitätskinderspitals Insel in Bern mitverfasst wurde, bevorzugen und praktizieren die "Multidisziplinären DSD-Teams" nach wie vor frühe "feminisierende Genitalkorrekturen" (IGM 2).
f) Schweizer Universitäts- und Kantonsspitäler praktizieren IGM ungestraft weiter
"SwissPedNet – das Schweizer Netzwerk der pädiatrischen Forschungszentren" ist die offizielle klinische Forschungsstation der "Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie (SGP/SSP)" und umfasst mittlerweile 6 Universitätskinderspitäler und 4 kantonale Kinderspitäler, die jedes Jahr hunderte von Intersex-Kinden genitalverstümmeln (allein das Kispi Zürich jährlich 85-135). Alle diese 10 Kliniken praktizieren weiterhin IGM:
- Universitätskinderspital beider Basel (UKBB)
- Universitätskinderspital Bern (Inselspital)
- Universitätskinderspital Freiburg
- Universitätskinderspital Genf (HUG)
- Universitätskinderspital Lausanne (CHUV)
- Universitätskinderspital Zürich (Kispi Zürich)
- Kinderspital Aarau
- Kinderspital Luzern
- Ostschweizer Kinderspital
- Kinderspital Tessin EOC
Dazu kommen weitere private Kliniken, die ebenfalls IGM praktizieren, namentlich IGM 1: Hypospadie"korrekturen".
(Ausserdem: All diese Kliniken praktizieren weiterhin auch unnötige, nicht-eingewilligte Vorhautamputationen an männlichen Säuglingen.)
Quellen: Vgl. StopIGM.org / Zwischengeschlecht.org, Intersex.ch und SI Selbsthilfe Intersexualität (2022): Swiss CRPD NGO Report, S. 6-23 (englisch: PDF / DOCX).
Fortsetzung folgt ...
Intersex-Genitalverstümmelung und akademische (Mit-)Täterinnenschaft
Präsentation @
Feministisches Hochschulkollektiv Zürich, 8.11.23
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