Genitale Zwangsoperationen: Hamburger Senat nicht gewachsen
PRESSEMITTEILUNG von Zwischengeschlecht.org vom 02.03.2009
Von der Hamburgischen Bürgerschaft sind in den letzten 4 Monaten insgesamt 3
Kleine Anfragen (19/1238, 19/1678, 19/1964) sowie mittlerweile 2 Grosse
Anfragen (19/1993) eingereicht worden zum Thema menschenrechts- und
verfassungswidrige genitale Zwangsoperationen, Zwangskastrationen,
Zwangshormontherapien und weitere medizinisch nicht notwendige Zwangseingriffe,
wie sie an Zwittern seit 50 Jahren auch in Hamburg systematisch durchgeführt
werden.
Damit betritt Hamburg Neuland: Noch nie waren die gravierenden
Menschenrechtsverletzungen an Zwittern derart konkret thematisiert und eine für
die Zwangseingriffe politisch verantwortliche Regierung derart detaillert um
Rechenschaft angegangen worden. Mittlerweile liegen die Antwort des Senats auf
die Kleinen Anfragen sowie auf die historische erste Grosse Anfrage vor. Diese
Antworten werden nicht nur von Opfern der Zwangseingriffe stark
kritisiert.
Auch die Hamburgische Bürgerschaft will es genauer wissen: Vor Kurzem wurde
eine zweite Grosse Anfrage eingereicht, welche u.a. konkret auf mit
Bundesgeldern finanzierte, umfangreiche Studien Bezug nimmt, welche die
verheerenden Folgen der genitalen Zwangsoperationen, Zwangskastrationen usw. an
Zwittern klipp und klar bestätigen, und die den Senat hartnäckig auf seine
früheren Nicht-Antworten behaftet. Noch im alten Jahr wurde zudem auf Dienstag
28. April 2009 eine Expertenanhörung zum Thema festgesetzt.
Leugnen, wegschauen, schweigen
Leider zeigte sich der Senat mit seinen bisherigen Antworten der Problematik
alles andere als gewachsen. Statt sich schützend vor die Opfer der
Zwangsoperationen zu stellen, stellte sich der Senat konsequent vor die
TäterInnen. Statt Format zu beweisen und sich um inhaltliche Antworten zu
bemühen, drückt sich der Senat durchgehend und macht sich so aus der Sicht
vieler empörter Zwangsoperierter zum Mittäter.
"Offensichtlich hat jedes Haustier mehr Rechte als ein Hamburger Zwitter", so
etwa ein Kommentar zur Behauptung des Senats, zwangsoperierte Zwitterkinder
hätten nicht einmal ein Recht auf Aufklärung über ihr wahres Geschlecht sowie
Eltern einen Freipass für Zwangsoperationen.
Sauer stiess betreffend der Grossen Anfrage 19/1993 auch nicht nur Betroffenen
auf, dass der Senat in seinen Antworten je nach Bedarf sich diametral
widersprechende Thesen vertritt: Einmal ist über die unmenschlichen
Behandlungsrichtlinien so wenig bekannt, dass angeblich nur schon das genaue
Ausmass der Zwangsbehandlungen "statistisch nicht erfasst" werden kann –
andererseits sei eine Überprüfung der Zwangsbehandlungen überflüssig, weil
alles schon zur Genüge bekannt sei: "Wenn in der internationalen Literatur
hinreichend aussagekräftige Studien zu einer Thematik vorliegen, werden diese
Erkenntnisse nicht erneut lokal überprüft."
Ebenso willkürlich halte es der Senat mit dem Datenschutz: Während Mediziner
Akten inklusive entwürdigenden Fotos scheinbar nach Belieben weiterverbreiten
dürfen, ist der Senat angeblich "aus Gründen der Schweigepflicht und des
Datenschutzes" nicht einmal in der Lage, Angaben über die Zahl der in Hamburg
verübten Zwangsbehandlungen zu machen.
Vielsagend auch die Antwort, was der Senat zu tun gedenke, um den Opfern
wenigstens so weit wie noch möglich zu ihrem Recht zu verhelfen: "Damit hat
sich der Senat nicht befasst."
UNO kritisert mangelnde Menschenrechte für Zwitter in
Deutschland
Allein in Deutschland leben ca. 80'000 bis 120'000 Zwitter. Die medizinisch
nicht notwendigen, aber systematisch praktizierten genitalen Zwangsoperationen
und sonstigen nicht-eingewilligten Zwangseingriffe an Zwittern sind nach
Ansicht von Betroffenenorganisationen sowohl zahlenmässig wie auch von der
Schwere her wohl die schwerwiegendste Menschenrechtsverletzung in den
westlichen Demokratien seit dem 2. Weltkrieg.
Auch wenn der Senat sich offensichtlich sträubt, der unbequemen Wahrheit ins
Auge zu sehen, das unliebige Thema bleibt auf der Traktandenliste. Nicht nur,
weil soeben eine weitere Grosse Anfrage eingereicht wurde, und wegen der auf
28.4. 2009 vorgesehenen Expertenanhörung.
Am 13. Februar 2009 hatte auch das UN-Komitee CEDAW die Bundesrepublik gerügt,
dass sie die Menschenrechte von Zwittern nicht schütze. Innerhalb von zwei
Jahren muss die Bundesregierung nun dazu einen Zwischenbericht abliefern – und
wird dazu auch den Hamburger Senat erneut anschreiben ...
Siehe auch:
- Zwischengeschlecht.info: Weltweit größte Zwitter-Studie straft
Bundesregierung Lügen https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2008/12/04/Weltweit-grosste-Zwitter-Studie-straft-Bundesregierung-Lugen
- Rechtsanwalt Oliver Tolmein: "Deutschland gerügt: Menschenrechte von Zwittern
nicht geschützt"
http://faz-community.faz.net/blogs/biopolitik/archive/2009/02/20/deutschland-ger-252-gt-menschenrechte-von-zwittern-werden-ignoriert.aspx
- Rechtsprofessorin Konstanze Plett: Zwangskastrationen rechtlich nicht
zulässig
http://www.lobby-fuer-menschenrechte.de/Intersexualitaet.php
Freundliche Grüsse
n e l l a
Daniela Truffer
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Published on Monday, March 2 2009 by seelenlos