"Genitalverstümmelung ein afrikanisches Problem?"

Seit 1996 protestierte Michel Reiter immer wieder dagegen, dass Initiativen gegen rituelle Genitalverstümmelungen an Frauen wie zum Beipiel "Terre des Femmes" seltsamerweise Zwangsoperationen an Zwischengeschlechtlichen stets kategorisch ausklammerten -- aus offensichtlichen Gründen.

"Die Zusammenarbeit mit Anti-FGM-Aktivisten ist schlechter als mit allen anderen Gruppen, sogar schlechter als mit Ärzten." (pers. Mitteilung von Cheryl Chase, GründerIn der Intersex Society of North America ISNA an Michel Reiter)

Heute noch ist dieses Thema ein 'blinder Fleck' bei FeministInnen. Einzige Ausnahme dieser beschämenden Regel war Antke Engel, die sich 1997 in einem Artikel mit Michels Anliegen solidarisierte -- ihre Kritik verhallte bezeichnenderweise ungehört:

Deutlich ist jedenfalls, dass sich feministische Medien für Genitalverstümmelungen als alltäglicher medizinischer Praxis in modernen westlichen Gesellschaften nicht interessieren, während - häufig rassistisch gefärbte - Beiträge über "unzivilisierte" Praktiken der Klitorisbeschneidung und Verstümmelung in einigen afrikanischen Staaten durchaus zum bewährten Repertoire zählen.

Nachträge: 2003 schloss immerhin die internationale "Beschneidungs-Expertin" Hanny Lightfoot-Klein in ihrer 3. Buchveröffentlichung "Der Beschneidungsskandal" nebst weiteren, von der Frauenbewegung oft ausgeklammerten Formen von Beschneidung, auch genitale Zwangsoperationen an Zwittern mit ein (Rezension bei Querelles / Doppelrezension auch über Marion Hulverscheidts Buch über 'medizinische Beschneidungen' an Frauen in Europa im 19. Jahrhundert). In der Zeitschrift von Terre des Femmes "Menschenrechte für die Frau" 3/4 (2004) erschien ebenfalls von Marion Hulverschmidt ein Artikel "Genitalverstümmelung bei afrikanischen Frauen und Intersexuellen".

Nachträge (Forts.): Im Amnesty-Journal 03/2008 kritisierte Konstanze Plett beiläufig das Schweigen der westlichen BeschneidungskritikerInnen zum Thema "Genitalverstümmelung intersexuell geborener Kinder" vor der eigenen Haustüre (für Amnesty International selbst nach wie vor kein Thema). Frühjahr 2009 nahmen die Schweizer Sektionen von Terre des Femmes und Amnesty International anlässlich einer Vernehmlassung zu einer parlamentarischen Initiative gegen "weibliche Genitalverstümmelung" zum ersten Mal Stellung gegen das Auslassen Zwangsoperationen an Zwittern, Amnesty allerdings mit vereinnahmenden Untertönen (als Organisationen haben beide weiterhin keine offizielle Position zum Thema, jedoch streben sie eine solche seit 2010 immerhin aktiv an).

Schon 1998 hatte Michel Reiter rituelle Genitalverstümmelungen und genitale Zwangsoperationen gemeinsam mit "Genitale[n] 'Korrekturen' an Frauen als Schönheitsmaßnahme" (-> gleichnamiger Abschnitt) in einen weiteren Zusammenhang gestellt.

Nachträge: Im ZgT Bulletin 28 (2005, via archive.org) wurde diese Sichtweise von Vanessa Nino-Kern wieder aufgegriffen im Beitrag "Unversehrte Genitalien sind keine Selbstverständlichkeit" (PDF-Download). Ab 2005 werden diese OPs auch in Mainstreamedien zunehmend kritisiert – allerdings ohne einen Zusammenhang mit den Zwangsoperationen an Zwittern herzustellen.

Auch heute noch haben Blog-Artikel von Nicht-Zwischengeschlechtlichen, die solche Zusammenhänge thematisieren, Seltenheitswert. Umso schöner, auf eine weitere Ausnahme zu stossen (aus der auch der Titel dieses Posts stammt):

http://michas-ernährungsinfo.de/index.php?/archives/37-Verstuemmelnde-Operationen.html
(Link kopieren und oben in Browser einfügen, sonst klappt's leider nicht!)

Danke!

Siehe auch:
- Genitale Zwangsoperationen an Zwittern vergleichbar mit weiblicher Genitalverstümmelung (Lightfoot-Klein: "Der Beschneidungsskandal")
- Bundesärztekammer gegen genitale "Zwangsoperationen" – natürlich nur bei "Mädchen und Frauen" ... 
- Internationaler Tag gegen Mädchenbeschneidung (aber die Zwitter operiert nur ruhig weiter, sind ja keine Frauen, äh, Menschen ...)
- Schweiz: Terre des Femmes und Amnesty gegen Zwangsoperationen an Zwittern 
- Zwitter und Patriarchat aus feministischer Perspektive