UN-Ausschuss gegen Folter: Deutschland soll Intersex-Genitalverstümmelungen untersuchen und Überlebende gesetzlich entschädigen (CAT/C/DEU/CO/5)
By seelenlos on Wednesday, August 22 2012, 00:07 - Forderungen - Permalink
Im Anschluss an den letztjährigen >>> Schattenbericht zur Anti-Folterkonvention (CAT) von Intersexuelle Menschen e.V. und Humboldt Law Clinic: Grund- und Menschenrechte kam das Komitee gegen Folter in seinen Abschliessenden Bemerkungen zu den bisher deutlichsten Aussagen eines UN-Gremiums zum Thema kosmetische Genitaloperationen an Kindern mit "atypischen" körperlichen Geschlechtsmerkmalen.
Zum Vergleich: 2009 hatte der >>> Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (CEDAW) die Bundesregierung lediglich unbestimmt aufgefordert, "in einen Dialog mit Nichtregierungsorganisationen von intersexuellen [...] Menschen einzutreten" und "wirksame Maßnahmen zum Schutz ihrer Menschenrechte zu ergreifen". Im Frühjahr 2011 hatte der Ausschuss über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR) die Zwitter nicht einmal als eigenständige Gruppe wahrgenommen, sondern sie mit Transsexuellen gleichgesetzt und in den Empfehlungen lediglich bei deren Anliegen hinten mit angehängt, ohne auf die Problematik der frühkindlichen kosmetischen Genitaloperationen überhaupt einzutreten.
Umso erfreulicher, dass der Ausschuss gegen Folter (CAT) kurz vor Neujahr 2012 in seinen Abschliessenden Bemerkungen >>> Englisch (PDF) >>> Deutsch (nichtamtliche Übersetzung, PDF) endlich etwas konkreter wurde, indem er gesetzgeberischen Bedarf unterstreicht und Entschädigung für Überlebende fordert. Dafür allen Beteilgten ein herzliches Dankeschön!
Allerdings werden im einleitenden Abschnitt der Abschliessenden Bemerkungen konkret mal wieder "nur" die Folgen von Kastrationen angesprochen, nicht jedoch z.B. Verminderung oder Verlust der sexuellen Empfindungsfähigkeit durch die ungleich häufiger praktizierten kosmetischen Lustorganverstümmelungen (>>> "Klitorisreduktionen" und "Hypospadiekorrekturen") – kein Wunder, waren doch Letztere >>> im Schattenbericht leider nicht angemessen berücksichtigt, ja z.T. nicht einmal konkret angeführt, geschweige denn deren Folgen konkretisiert worden.
Bleibt zu hoffen, dass diesbezüglich in künftigen IMeV-Schattenberichten endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden! Kommenden Herbst steht ja der deutsche Schattenbericht zur Kinderrechtskonvention (CRC) an – dito übrigens auch in der Schweiz. Dort wird das Thema kosmetische Genitaloperationen an Kindern zudem als Bestandteil des Schattenberichts einer NGO-Koalition ab Ende Oktober >>> bei der Universellen Menschenrechtsprüfung des UN-Menschenrechtsrats angesprochen werden. Fortsetzung folgt ...
Nochfolgend dokumentiert dieser Blog die entsprechenden Passagen der Abschliessenden Bemerkungen des UN-Komitees gegen Folter zu "Intersex" aus der nichtamtlichen Übersetzung des Deutschen Instituts für Menschenreche (PDF S. 6-7):
Intersexuelle Menschen
20. Der Ausschuss nimmt die während des Dialogs erhaltenen Informationen zur Kenntnis, denen zufolge sich der Ethikrat verpflichtet hat, Berichten über die gängige Praxis chirurgischer Anpassungseingriffe an Kindern, die mit nicht klar als männlich oder weiblich klassifizierbaren Geschlechtsorganen geboren wurden – und die auch als intersexuelle Menschen bezeichnet werden – nachzugehen, damit eine Evaluierung und möglicherweise eine Umgestaltung der gegenwärtigen Praxis stattfinden kann. Dennoch bleibt der Ausschuss besorgt angesichts von Fällen, in denen die Gonaden entnommen und kosmetische Operationen an den Fortpflanzungsorganen vorgenommen wurden, was eine lebenslange Hormontherapie nach sich zieht, ohne dass die Betroffenen oder ihre gesetzlichen Vertreter nach Aufklärung wirksam zugestimmt hätten, und in denen bisher weder Ermittlungen eingeleitet noch Rechtsschutzmöglichkeiten geschaffen wurden. Ferner ist der Ausschuss nach wie vor besorgt über das Fehlen gesetzlicher Bestimmungen zu Rechtsschutzmöglichkeiten und Entschädigungen in solchen Fällen (Artikel 2, 10, 12, 14 und 16).Der Ausschuss empfiehlt dem Vertragsstaat,
(a) sicherzustellen, dass im Zusammenhang mit der medizinischen und chirurgischen Behandlung intersexueller Menschen die rechtlichen und medizinischen Standards entsprechend den Best Practices zur Einholung der aufgeklärten Einwilligung wirksam angewandt werden, einschließlich vollständiger schriftlicher und mündlicher Aufklärung über die vorgeschlagene Behandlung, deren Begründetheit und Alternativen;
(b) die Vorfälle, in denen intersexuelle Menschen ohne wirksame Einverständniserklärung chirurgisch oder anderweitig medizinisch behandelt wurden, zu untersuchen, und Rechtsvorschriften zu erlassen, die den Opfern solcher Behandlungen Rechtsschutzmöglichkeiten, einschließlich angemessener Entschädigungen, gewähren;
(c) das medizinische und psychologische Fachpersonal im Hinblick auf die Vielfalt der geschlechtlichen und damit verbundenen biologischen und physischen Erscheinungsformen zu schulen und weiterzubilden; und
(d) die Patienten und ihre Eltern ordnungsgemäß über die Folgen unnötiger chirurgischer oder sonstiger medizinischer Eingriffe an intersexuellen Menschen aufzuklären.
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