Dresden, Ort von Genitalverstümmelungen – Internationale Konferenz ohne Betroffene

Friedliche Mahnwache der Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org vor der '11th EMBL/EMBO Science and Society Conference: The Difference between the Sexes – From Biology to Behaviour', 06.11.2010Bild: Friedliche Mahnwache + Offener Brief "11th EMBL/EMBO Conference", 06.11.2010

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Pressemitteilung von Zwischengeschlecht.org vom 20.01.2012:

>>> Offener Brief von Zwischengeschlecht.org an die Tagung



Diagnose "auffälliges Genitale"

Laut einem Fachbuch aus Halle "Intersexualität bei Kindern" (2008) kommt jedes 1000. Kind mit "unfertigen" oder "fehlgebildeten" Geschlechtsorganen auf die Welt.

90% dieser Kinder werden laut BMBF-finanzierten Studien umgehend "korrigierenden" kosmetischen Genitaloperationen unterworfen – auch in Kinderkliniken der Technischen Universität Dresden. Ohne Einwilligung der Betroffenen, welche die Operationen seit langem als "westliche Genitalverstümmelungen" ohne medizinische Notwendigkeit anprangern.

In Dresden widmete sich nun diese Woche eine internationale Gender-Konferenz dem Thema, organisiert von – der Technischen Universität Dresden. Betroffene wurden dazu nicht eingeladen, kritisieren Interessen- und Selbsthilfegruppen. Die Organisatoren der Konferenz schweigen dazu.


"Intersex-Tagung": Eigenwerbung und Wirklichkeit

"Betroffenen Gehör zu verschaffen" und die "sozialen, politischen und rechtlichen Dimensionen" des Themas nicht zu vergessen, hatte die heute zu Ende gehende internationale "Tagung zu Transgender und Intersex" im Vorfeld angekündigt.

Weder "Intersexuelle Menschen e.V." noch die Selbsthilfegruppe "xy-frauen" hätten die Veranstalter an der Konferenz dabei haben wollen, hieß es dagegen zu Beginn der Konferenz von Betroffenenseite: "Die Herrschaften reden lieber über uns als mit uns."

Auch die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org, die sich seit Jahren für ein Verbot medizinisch nicht notwendiger Genitaloperationen an Kindern einsetzt, kritisierte in einem Offenen Brief, Überlebende von Genitaloperationen im Kindesalter seien "an der Konferenz nicht angemessen vertreten" – obwohl Betroffene das Ausschlachten von Intersex für Wissenschaft und Politik bei gleichzeitigem Ausblenden der täglichen Verstümmelungen seit langem "als schädlich, unzulässig und vereinnahmend kritisieren".


Lange Liste der Genitalverstümmler

Weiter warf Zwischengeschlecht.org den Verantwortlichen vor, innerhalb praktisch aller an der Konferenz beteiligten akademischen Institutionen würden Genitalverstümmelungen an Kindern mit "atypischen" Genitalien praktiziert und öffentlich angepriesen, und nannte als Beispiele:

- TU Dresden
- Humboldt-Universität Berlin
- Freie Universität Berlin
- Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
- Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
- Justus-Liebig-Universität Gießen
- University of London
- University of Leeds


Organisatoren der Konferenz schweigen sich aus

"Im Namen von durch uneingewilligte kosmetische Genitaloperationen im Kindesalter Betroffenen oder Bedrohten"
hatte Zwischengeschlecht.org im Offenen Brief die Organisatoren, Referenten und Teilnehmer der Konferenz um Rückmeldungen gebeten.

Von einzelnen Referenten kamen darauf positive Stellungnahmen. Die Verantwortlichen der Tagung dagegen blieben bisher jegliche Antwort schuldig.

Fazit: Offenbar sind Betroffene von chirurgischen Genitalverstümmelungen in der (Trans-)Genderforschung ebenso wie in der Kinderheilkunde hauptsächlich als "wissenschaftliches Material" gefragt, und nicht als Dialogpartner auf Augenhöhe.


Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org fordert ein Verbot von kosmetischen Genitaloperationen an Kindern und Jugendlichen sowie "Menschenrechte auch für Zwitter!".

Betroffene sollen später selber darüber entscheiden, ob sie Operationen wollen oder nicht, und wenn ja, welche.



Freundliche Grüße

n e l l a
Daniela Truffer
Gründungsmitglied Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org

Mobile +41 (0) 76 398 06 50
presse_at_zwischengeschlecht.info

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Regelmäßige Updates: http://zwischengeschlecht.info

>>> Offener Brief von Zwischengeschlecht.org an die Dresdener Tagung



A N H A N G :
AKTUELLE STELLUNGNAHMEN VON MENSCHENRECHTSORGANISATIONEN

Deutscher Ethikrat: "Recht der Betroffenen auf körperliche Unversehrtheit"


Auf Februar 2012 erarbeitet aktuell der Deutschen Ethikrat im Auftrag der Bundesregierung eine Stellungnahme zur Problematik. In einer ersten Einschätzung vom 15. Juni hielt der Deutsche Ethikrat u.a. fest: "Ein zentraler Punkt ist das Recht der Betroffenen auf körperliche Unversehrtheit. [...] Hier findet das Elternrecht seine Grenzen und auch dies spricht dafür, mit solchen Eingriffen so lange wie möglich zu warten, damit die betroffenen Intersexuellen selbst entscheiden können."

UN-Ausschuss gegen Folter: "Verstümmelung", "Zwangsoperationen an Intersex-Kindern", "nicht notwendige Operationen"

Am 04.11.2011 befasste sich in Genf der UN-Ausschuss gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (CAT) zum ersten Mal mit Genitaloperationen in Kinderkliniken – und fand dabei deutliche Worte. Weiter rügte er in seinen schriftlichen Empfehlungen Verstoß gegen die Konvention.

Amnesty Deutschland: "fundamentaler Verstoß gegen körperliche Unversehrtheit"

2010 verabschiedete die Deutsche Sektion von Amnesty International eine Motion und wertete darin "die medizinische Praxis [...] als fundamentaler Verstoß gegen die Menschenrechte (Recht auf körperliche Unversehrtheit, auf Selbstbestimmung und Würde und auf Nicht-Diskriminierung)".

Amnesty Schweiz: "schweres Verbrechen gegen Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit"

"Wir erachten genitale Zwangsoperationen für ein schweres Verbrechen, das gegen die Menschenrechte auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde verstösst. Genitale Zwangsoperationen sind schwere medizinische Eingriffe an Kindern mit gesunden, aber sogenannten nicht eindeutigen Geschlechtsmerkmalen, die ohne die Einwilligung der Betroffenen vorgenommen werden. Die Folgen von chirurgischen und medikamentösen Eingriffen werden von den Betroffenen oft als Verstümmelungen wahrgenommen." (Aus der Begründung einer 2010 einstimmig überwiesenen Motion von Amnesty Schweiz)

Terre des Femmes: "gleich schädlich wie weibliche Genitalverstümmelung"

2004 kam ein Artikel in der TDF-Zeitschrift "Menschenrechte für die Frau" zu folgendem Ergebnis, auf welches die Terre des Femmes bis heute verweist: Genitalverstümmelungen an Zwittern sind als körperlich vergleichbar schädlich einzustufen wie Genitalverstümmelungen an Frauen; Zwitter leiden außerdem im Vergleich noch an zusätzlichen seelischen (Folge-)Schäden.

Eine Einschätzung, die seit längerem von immer mehr FGM-ExpertInnen geteilt wird, darunter Marion Hulverscheidt (2000), Hanny Lightfoot-Klein (2003/2007) und Fana Asefaw (2005).

OLG Köln: "Selbstbestimmungsrecht in ganz erheblichem Maße verletzt"

2007 gelang es Christiane Völling, die als Ausnahme erst im Alter von 18 Jahren operiert wurde, als erster und bisher immer noch einziger Betroffener, ihren ehemaligen Chirurgen zu verklagen, unmittelbar vor Eintritt der absoluten Verjährung. 2008 erkannte das OLG Köln letztinstanzlich das "Selbstbestimmungsrecht [...] in ganz erheblichem Maße verletzt" (5 U 51/08).


Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org fordert ein Verbot von kosmetischen Genitaloperationen an Kindern und Jugendlichen sowie "Menschenrechte auch für Zwitter!".

Betroffene sollen später selber darüber entscheiden, ob sie Operationen wollen oder nicht, und wenn ja, welche.

>>> Offener Brief von Zwischengeschlecht.org an die Tagung 18.1.12      
>>> Antwort von Tagungs-Referent Heinz-Jürgen Voß 18.1.12    
>>>
Antwort von Tagungs-Organisator Stefan Horlacher 22.1.12 (PDF)

>>> Unethische Forscher als Zulieferer der Genitalabschneider 
>>>
"STOP Genitalverstümmelung als 'Rohmaterial' für die Geschlechterforschung!" 

Siehe auch:

- Genitalverstümmler und Zwangsoperateure in Baden-Württemberg
- Kinderkliniken: € 8175,12 Reingewinn pro Genitalverstümmelung
- "Genitalkorrekturen in Deutschland in der Regel im ersten Lebensjahr" (DGKJ/APE/DGE)
- "Weder Evidenz noch medizinische Indikation" (Dr. med. Jörg Woweries)
- "Ethik als Freifahrtschein für operieren auf Teufel komm raus" - Claudia Wiesemann
- "EuroDSD"-Chef Olaf Hiort: "Intersexuelle" nur ein Bruchteil aller chirurgischen Genitalverstümmelungen in deutschen Kinderkliniken 
- Genitalverstümmelungen in westlichen Kinderkliniken – eine Genealogie der TäterInnen
- Amnesty Deutschland: "fundamentaler Verstoß gegen die Menschenrechte"
- Genitale Zwangsoperationen an Zwittern vergleichbar mit weiblicher Genitalverstümmelung
- Genitale Verstümmelung & Folgeschäden - AGGPG 1998
- Alice Dreger über EthikerInnen als MittäterInnen
- Anliegen von Zwischengeschlecht.org an den Deutschen Ethikrat 2010 
- "Netzwerk DSD/Intersexualität": Ethik-Empfehlungen als Feigenblatt für Zwangsoperateure
- Wer sind die Täter? Was soll mit ihnen geschehen?

Published on Friday, January 20 2012 by nella