Genitalverstümmelungen an Zwittern
Rundmail von Zwischengeschlecht.org vom 9.5.2010.
Ein entsprechendes
Mail inkl. einer Bitte um Rückmeldung ging zusätzlich an diverse
Meschenrechts- und Frauenorganisationen (darunter Frauenrat, Terre des Femmes,
Amnesty Deutschland, Deutscher
Ethikrat,
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, Ethikbeirat des
Bundestags,
LSVD,
GenderKompetenzZentrum, u.s.w.), sowie an alle Mitglieder des
Bundestags.
Liebe Freund_innen der Zwitterbewegung
Mit grosser Freude haben wir erfahren, dass der Gesetzesentwurf "Strafbarkeit der Verstümmelung weiblicher Genitalien" an den Deutschen Bundestag überwiesen wurde, und dass in der Begründung unmissverständlich festgehalten wird, dass weibliche Genitalverstümmelungen ein "schwerwiegender Verstoß gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Opfers" darstellen. Sowie, dass auch Bundesrat und Bundesregierung beide unterstützend bestätigen, dass es sich bei weiblicher Genitalverstümmelung "um eine schwerwiegende Grund- und Menschenrechtsverletzung handelt".
Gleichzeitig sind wir aber bitter enttäuscht und zutiefst empört darüber,
dass die
Genitalverstümmelungen bzw. kosmetischen Genitaloperationen an Kindern mit
"uneindeutigen" körperlichen Geschlechtsmerkmalen (sogenannte
Zwitter / Hermaphroditen / Intersexuelle) unseres Wissens nach in der ganzen
Diskussion um den Gesetzesentwurf nirgends zur Sprache kamen, und insbesondere,
dass bisher keine Frauen- oder Menschenrechtsorganisation dieses sträfliche
Versäumnis lautstark reklamierte.
Und wir fragen: Warum ist das so?
Haben Zwitterkinder weniger Recht auf körperliche Unversehrtheit als Mädchen
oder Frauen? Sind bei Zwittern Genitalverstümmelungen eine weniger schwere
Grund- und Menschenrechtsverletzung als bei Frauen? Kann bei Zwitterkindern –
im Gegensatz zu Frauen – tatsächlich einfach weggeschaut und auf eindeutige
Signale gegen Genitalverstümmelungen verzichtet werden? Und, statt die Barbarei
vor der eigenen Haustüre ebenfalls energisch zu bekämpfen, diese vielmehr
billigend toleriert werden?
Warum schweigen die Menschenrechts- und Frauenorganisationen – und
nehmen nicht längst laut und unmissverständlich Stellung gegen diese
himmelschreiende Ungerechtigkeit?!
Wie lange noch?!
Umso mehr enttäuscht und empört sind wir über das Schweigen der Frauen- und Menschenrechtsorganisationen, weil namhafte ExpertInnen seit Jahren immer wieder bestätigen, dass die Genitalverstümmelungen an Zwittern durchaus mit der weiblichen Genitalverstümmelung vergleichbar sind. Dies sowohl betreffend ihren Folgen an Leib und Seele für die unschuldigen Opfer, wie auch in Bezug auf die theoretischen "Begründungen" namentlich durch die ausführenden MedizinerInnen (vgl. dazu z.B. Hanny Lightfoot-Klein 1992 und 2003 oder Antke Engel 1997). Übereinstimmungen, die von deutschsprachigen organisierten Zwittern seit über 14 Jahren öffentlich angeprangert werden (eins / zwei).
Umso unverständlicher erscheint uns dieses Schweigen weiter, als 2008/2009 eine Vielzahl von Frauen- und Menschenrechtsorganisationen verbal ihre Solidarität kundtaten im Zusammenhang mit dem von der Allianz der Frauenorganisationen unterstützten CEDAW-Schattenbericht zum Thema kosmetische Genitaloperationen und weitere medizinisch nicht notwendige Zwangsbehandlungen an Zwitterkindern, die durch die Beschneidungen mehrheitlich zu "eindeutigen Frauen" zurechtgestutzt werden, sowie mit der anschliessenden Rüge des CEDAW-Ausschusses an die Bundesregierung, jetzt aber anscheinend keine Taten folgen lassen wollen.
Dass es auch anders ginge, zeigt das Beispiel von Terre des Femmes Schweiz, Amnesty Schweiz und Grüne Schweiz, die sich letztes Jahr in der Vernehmlassung zu einem entsprechenden Gesetzesentwurf in der Schweiz klar und deutlich dafür aussprachen, dass auch die Genitalverstümmelungen an Zwittern mit einbezogen werden müssten, und ihre stillschweigende Ausklammerung im Schweizer Gesetzesentwurf unmissverständlich kritisierten.
Zwar gibt es auch zumindest einen klaren Unterschied zwischen weiblicher Genitalverstümmelung und den Verstümmelungen an Zwittern, nämlich, dass Zwitterorganisationen (im Gegensatz zu Organisationen betroffener Frauen) sich darüber einig sind, dass bei Zwittern lediglich uneingewilligte Eingriffe an wehrlosen Kindern verboten gehören, während erwachsene Zwitter selbst darüber bestimmen können sollen, ob sie als Erwachsene solche Eingriffe wollen oder nicht, und wenn ja, welche.
Abgesehen von diesem klaren Unterschied gibt es aber hauptsächlich
weitgehende Übereinstimmungen, z.B. die lebenslangen
körperlichen und seelischen Folgen der Verstümmelungen, die
schwerwiegende Verletzung des Menschenrechts auf körperliche
Unversehrtheit und Selbstbestimmung, sowie auch die grundlegende
juristische Problematik, dass verstümmelte Zwitter im Gegensatz zu
verstümmelten Frauen noch weniger die Möglichkeit haben, später straf- und
zivilrechtlich gegen das ihnen angetane Unrecht vorzugehen, da sie in der Regel
noch früher verstümmelt werden, nämlich meist in den ersten zwei Lebensjahren,
und so wegen der damit einhergehenden Traumatisierungen kaum je
erfolgreich vor Ablauf der Verjährungsfrist Anzeige machen können.
(Ausnahmen bestätigen die Regel: Christiane Völling, die bisher einzige
Intersexuelle, die
ihren Peiniger wenigstens noch zivilrechtlich erfolgreich belangen konnte,
wurde erst im Alter von 18 Jahren zwangsoperiert. Sämtliche anderen Anzeigen
von Betroffenen blieben bisher erfolglos.)
Wir bitten euch deshalb im Zusammenhang mit der kommenden Bundestagsdebatte um eure Solidarität!
Schweigt nicht weiter, während gleichzeitig TÄGLICH wehrlose Zwitterkinder genitalverstümmelt werden!
Macht euren Einfluss geltend, dass das unteilbare Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit auch für Kinder mit "uneindeutigen" körperlichen Geschlechtsmerkmalen gilt!
Damit künftig auch Zwitterkinder mit unversehrten Genitalien aufwachsen können.
Vielen Dank für euren Einsatz für die Menschenrechte!
Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org fordert ein Verbot von
kosmetischen Genitaloperationen an Kindern und "Menschenrechte auch für
Zwitter!".
Freundliche Grüsse
n e l l a
Daniela Truffer
Gründungsmitglied Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org
Gründungsmitglied Schweizerische Selbsthilfegruppe Inters*x.ch
Mitglied Inters*xuelle Menschen e.V.
Mitglied XY-Frauen
Mobile +41 (0) 76 398 06 50
presse_at_zwischengeschlecht.info
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- Schweiz: Terre des Femmes, Amnesty und Grüne gegen Zwangsoperationen an Zwittern
- "Genitalverstümmelung ein afrikanisches Problem?"
- Genitale Zwangsoperationen an Zwittern vergleichbar mit weiblicher Genitalverstümmelung (Lightfoot-Klein: "Der Beschneidungsskandal")
- Zwangsoperationen an Zwittern: Bundesregierung beugt Grundgesetz Art. 2 (Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit)
- Kosmetische Genitaloperationen an Kindern: Gesetzgeber gefordert
- Bundestag: "Weibliche Genitalverstümmelung ahnden" - aber die Zwitter verstümmelt nur ruhig weiter ...
- Internationaler Tag gegen Mädchenbeschneidung (aber die Zwitter operiert nur ruhig weiter, sind ja keine Frauen, äh, Menschen ...)
- Bundesärztekammer gegen genitale "Zwangsoperationen" – natürlich nur bei "Mädchen und Frauen" ...
Published on Sunday, May 9 2010 by nella