LSVD und Zwittersolidarität: 1 Schritt vor, 3 Schritte zurück?

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Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) kann für sich in Anspruch nehmen, die erste deutschsprachige LGB-Organisation zu sein, die Zwitter konkret politisch unterstützte:

2009 verabschiedete die Verbandstagung einstimmig (!) u.a. einen sensationellen Wahlprüfstein "9. Menschenrechtsverletzungen an Intersexuellen bekämpfen!", der Klartext brachte und Zwitter für einmal nicht vereinnahmte, sondern explizit den "erheblichen Verstoß gegen das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde" durch kosmetische Genitaloperationen und weitere "Zwangsbehandlungen" anprangerte. Mit eindeutigem Ergebnis: In den Antworten sprachen sich darauf 4 von 5 Bundestagsparteien gegen genitale Zwangsoperationen aus!

(Ok, zwar lediglich unverbindlich als papierenes Wahlversprechen, was aber im Vergleich zum sonstigen Schweigen oder gar aktiver Unterstützung der Zwangsoperateure durch die allermeisten Parteien schon mal eine gute Falle machte.)

Das solidarische Eintreten des LSVD machte eine kurze Zeit gar Schule: So schrieb sich z.B. der CSD Konstanz und Kreuzlingen 2009 ebenfalls auf die Fahnen, "Selbstbestimmung" und "das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit auch intersexuellen Menschen nicht mehr länger zu verweigern".

Leider, leider scheint dieses vorbildliche solidarische Eintreten des LSVD für die nach wie vor fehlenden, elementarsten Menschenrechte auch für Zwitter im neuen Jahr längst Schnee von gestern zu sein, und im Gegenteil die altbekannte Vereinnahmung wieder Trumpf:

Schon im Herbst 2009 wurden im Rahmen der Standesinitiative zur Aufnahme von "sexuelle Identität" ins Grundgesetz die Zwitter wieder als blosses Mittel zum Zweck verbraten, unter Missachtung ihrer eigenen, spezifischen Anliegen. Zwar ging da zunächst die vereinnahmenden Statements von den Galionsfiguren der Standesinitiative aus, nämlich den schwulen Bürgermeistern der einreichenden Stadtstaaten (die gleichzeitig zulassen, dass in ihren Spitälern nach wie vor serienweise Zwitterkinder genitalverstümmelt werden!).

Nach der politischen Niederlage der Standesinitiative konterten LSVD, Grüne und SPD mit einem Gesetzesentwurf zu Handen des Bundestags, gekoppelt mit einer 2010 gestarteten Petition, die auch vom LSVD vorbehaltslos unterstützt wurde.

Allen drei Vorstössen gemeinsam: Ein Zwitter vereinnahmender Grundsatztext, in dem die Leiden Zwangsoperierten nach altbekanntem Muster einmal mehr bagatellisiert, hintenangestellt, "mitgemeint" und als blosses Kanonenfutter für LGB(T)-Anliegen instrumentalisiert werden! Und aus dem ganzen deutschen LGB(T)-Spektrum nicht ein einziges kritisches Wort dazu!

Auch wenn LGB(T) zur Zeit nicht nur in Deutschland politisch ein rauher Wind ins Gesicht bläst – deshalb einfach die Nächstschwächeren für die eigenen Anliegen auszubeuten, kann doch die Antwort darauf nicht sein!

Erst recht nicht, so lange WEITERHIN TÄGLICH WEHRLOSE ZWITTERKINDER GENITALVERSTÜMMELT WERDEN!

Zum Vergleich: In der Schweiz wurde der vereinnahmende Petitionstext prompt nur leicht abgewandelt, um eine – in der Sache völlig andere – Amnesty-Petition zu bewerben. Erfreulicherweise gab's in diesem Fall jedoch von einer Queer-Interessengruppe solidarische und deutliche Worte gegen die Zwitter-Instrumentalisierung – es geht eben doch!

Warum also nicht auch beim LSVD?

Würden von den versammelten VereinnahmerInnen in Grünen und SPD (und anscheinend auch LSVD) nur schon ein paar wenige mal an den eigenen Geschlechtsteilen etwas genital zwangsoperiert, hätten sie bestimmt ziemlich schnell (wieder) andere Parolen – wetten?!

Gonade um Gonade, Lustorgan um Lustorgan!

Siehe auch:
- Zwitter und progressive LGBTs gegen Vereinnahmung