"Aufklären, aufklären, aufklären!" (una cara amica)
By nella on Sunday, January 20 2008, 21:07 - Ich - Permalink
Guten Abend
Ich absolviere die 2. FMS in Liestal und schreibe eine Arbeit über
Intersexualität. Darum habe ich ein paar Fragen an Sie, und ich wäre sehr froh,
wenn Sie mir diese möglichst schnell (...) beantworten können.
1. Als Sie noch ein Kind waren, hatten Sie das Gefühl anders zu sein, oder
sich zu unterscheiden zu Mädchen/Jungen?
ich wusste immer, dass etwas anders war. kein wunder, man ist immer wieder beim
arzt, der schaut einem zwischen die beine, niemand redet mit einem. die mutter
ist einmal verzweifelt, dann wieder peinlich berührt, die ärzte schauen drein,
als müsste man gleich sterben. ich habe schon als kleines kind gemerkt: die
wissen die antworten nicht, also frage ich nicht, weil sonst gibt's so
unangenehme gefühle dabei.
das wurde immer alles verheimlicht, das habe ich dann auch übernommen, dieses
verheimlichen. das ging soweit, dass ich meinen körper verdrängt habe und die
gedanken einfach unbetrachtet und unverarbeitet vorbeiziehen liess. ich war
irgendwie leer und dumpf und gar nicht da. ich war oft gar nicht da, vor allem
wenn ich beim arzt war.
es ist schlimm, immer dieses vage gefühl, dass man etwas verbergen muss, sonst
findet das jemand heraus und dann wird's ganz schlimm, die leute spucken dich
an, lachen dich aus, man ist das monster. immer diese angst, dass jemand es
sieht, dass die menschen doch noch einen rest dessen sehen, was man mir
weggeschnitten, wegradiert, weggenommen hat. ich war immer allein, seit ich
denken kann.
2. Wie und wann haben Sie erfahren, dass Sie intersexuell sind und wie
haben Sie reagiert?
ich wusste immer, dass etwas anders ist, wusste aber nie genau was. es hatte
etwas mit meinen genitalien zu tun, das wusste ich, und schämte mich. ich war
irgendwie grusig, so fühlte ich mich.
danach habe ich schritt für schritt etwas mehr rausgefunden, irgend eine
bemerkung eines arztes, ein bericht in der zeitung, ein medizinisches
wörterbuch. am schluss in der selbsthilfegruppe habe ich dann die 'einfache'
antwort erfahren: ich hätte ein bub werden sollen, aber mein körper ist
teilweise resistent auf die männlichen hormone, deshalb habe ich mich nicht
ganz zum mann entwickelt, bin irgendwie in der mitte stehen geblieben.
3. Waren Sie gut in ihre Schulklasse integriert, oder wollten sie keinen
Kontakt mit anderen aufbauen?
ich war eher ein einzelgänger, aber glaub noch ne lustige zwischendurch,
irgendwie habe ich in erinnerung, dass man mich mochte, akzeptierte, in ruhe
liess. ich war ein einzelgänger mit gruppenanschluss, irgendwie so. in der
primarschule war ich ne wilde, die sich mit den knaben prügelte und den mädchen
mit langbeinigen spinnen angst machte, und das total lustig fand. ich glaub ich
war irgendwie beliebt, habe mich nicht als armes kind in erinnerung, das
ständig aufs dach kriegt (das kriegte ich ja sonst schon genug).
dann kippte es: in der sekundarschule war ich mit meiner schwester in der
klasse, weil ich ein jahr älter und zuerst ein jahr real und dann in die sek.
das war glaub die zeit, wo ich angefangen habe, weibliche hormone zu nehmen. in
der sek war ich immer total ruhig, verschlossen, allein (obwohl mit meiner
schwester zusammen, aber wir waren sehr verschieden und sie hatte auch ihre
sorgen).
4. Wusste der Bekanntenkreis, dass Sie intersexuell sind?
nein, das wusste niemand ausser meine eltern und eine cousine meines vaters,
die mich mal hüten musste, weil meine eltern wo hin mussten.
5. War es schwierig für Sie, mit dieser Situation als Intersexueller
umzugehen?
es ist schwierig mit dem gefühl umzugehen, dass es einen eigentlich gar nicht
geben darf. man hat mich operiert und psychisch unter druck gesetzt, damit ich
jemand anders werde. die logische schlussfolgerung: so, wie ich war, war ich
nicht richtig. deshalb mussten sie mich ja verändern. dieses gefühl bestimmt
das ganze leben, macht vieles kaputt. für immer. auch wenn man es schafft, zum
beispiel wie ich in jahre langer psychotherapie, die lebensqualität zu
steigern, weniger angst zu haben, mehr freude zu empfinden, einfach zu leben,
sicher zu sein, ein gutes körpergefühl zu entwickeln, sich gerne zu
haben.
6. Wie war es, als Sie in die Pubertät kamen?
da war gar nichts ausser einer grossen scham. da ich schon als baby kastriert
worden bin (hoden raus: hormonproduktion futsch), kam ich gar nie richtig in
die pubertät. ich musste ab zwölf jahren weibliche hormone nehmen, damit mein
busen wachse und meine hüften sich runden.
Mit freundlichen Grüssen und vielen Dank im Voraus
Sandra Kirchhofer