"Aufklären, aufklären, aufklären!" (una cara amica)


Guten Abend

Ich absolviere die 2. FMS in Liestal und schreibe eine Arbeit über Intersexualität. Darum habe ich ein paar Fragen an Sie, und ich wäre sehr froh, wenn Sie mir diese möglichst schnell (...) beantworten können.

1. Als Sie noch ein Kind waren, hatten Sie das Gefühl anders zu sein, oder sich zu unterscheiden zu Mädchen/Jungen?
ich wusste immer, dass etwas anders war. kein wunder, man ist immer wieder beim arzt, der schaut einem zwischen die beine, niemand redet mit einem. die mutter ist einmal verzweifelt, dann wieder peinlich berührt, die ärzte schauen drein, als müsste man gleich sterben. ich habe schon als kleines kind gemerkt: die wissen die antworten nicht, also frage ich nicht, weil sonst gibt's so unangenehme gefühle dabei.
das wurde immer alles verheimlicht, das habe ich dann auch übernommen, dieses verheimlichen. das ging soweit, dass ich meinen körper verdrängt habe und die gedanken einfach unbetrachtet und unverarbeitet vorbeiziehen liess. ich war irgendwie leer und dumpf und gar nicht da. ich war oft gar nicht da, vor allem wenn ich beim arzt war.
es ist schlimm, immer dieses vage gefühl, dass man etwas verbergen muss, sonst findet das jemand heraus und dann wird's ganz schlimm, die leute spucken dich an, lachen dich aus, man ist das monster. immer diese angst, dass jemand es sieht, dass die menschen doch noch einen rest dessen sehen, was man mir weggeschnitten, wegradiert, weggenommen hat. ich war immer allein, seit ich denken kann.

2. Wie und wann haben Sie erfahren, dass Sie intersexuell sind und wie haben Sie reagiert?
ich wusste immer, dass etwas anders ist, wusste aber nie genau was. es hatte etwas mit meinen genitalien zu tun, das wusste ich, und schämte mich. ich war irgendwie grusig, so fühlte ich mich.
danach habe ich schritt für schritt etwas mehr rausgefunden, irgend eine bemerkung eines arztes, ein bericht in der zeitung, ein medizinisches wörterbuch. am schluss in der selbsthilfegruppe habe ich dann die 'einfache' antwort erfahren: ich hätte ein bub werden sollen, aber mein körper ist teilweise resistent auf die männlichen hormone, deshalb habe ich mich nicht ganz zum mann entwickelt, bin irgendwie in der mitte stehen geblieben.

3. Waren Sie gut in ihre Schulklasse integriert, oder wollten sie keinen Kontakt mit anderen aufbauen?
ich war eher ein einzelgänger, aber glaub noch ne lustige zwischendurch, irgendwie habe ich in erinnerung, dass man mich mochte, akzeptierte, in ruhe liess. ich war ein einzelgänger mit gruppenanschluss, irgendwie so. in der primarschule war ich ne wilde, die sich mit den knaben prügelte und den mädchen mit langbeinigen spinnen angst machte, und das total lustig fand. ich glaub ich war irgendwie beliebt, habe mich nicht als armes kind in erinnerung, das ständig aufs dach kriegt (das kriegte ich ja sonst schon genug).
dann kippte es: in der sekundarschule war ich mit meiner schwester in der klasse, weil ich ein jahr älter und zuerst ein jahr real und dann in die sek. das war glaub die zeit, wo ich angefangen habe, weibliche hormone zu nehmen. in der sek war ich immer total ruhig, verschlossen, allein (obwohl mit meiner schwester zusammen, aber wir waren sehr verschieden und sie hatte auch ihre sorgen).

4. Wusste der Bekanntenkreis, dass Sie intersexuell sind?
nein, das wusste niemand ausser meine eltern und eine cousine meines vaters, die mich mal hüten musste, weil meine eltern wo hin mussten.

5. War es schwierig für Sie, mit dieser Situation als Intersexueller umzugehen?
es ist schwierig mit dem gefühl umzugehen, dass es einen eigentlich gar nicht geben darf. man hat mich operiert und psychisch unter druck gesetzt, damit ich jemand anders werde. die logische schlussfolgerung: so, wie ich war, war ich nicht richtig. deshalb mussten sie mich ja verändern. dieses gefühl bestimmt das ganze leben, macht vieles kaputt. für immer. auch wenn man es schafft, zum beispiel wie ich in jahre langer psychotherapie, die lebensqualität zu steigern, weniger angst zu haben, mehr freude zu empfinden, einfach zu leben, sicher zu sein, ein gutes körpergefühl zu entwickeln, sich gerne zu haben.

6. Wie war es, als Sie in die Pubertät kamen?
da war gar nichts ausser einer grossen scham. da ich schon als baby kastriert worden bin (hoden raus: hormonproduktion futsch), kam ich gar nie richtig in die pubertät. ich musste ab zwölf jahren weibliche hormone nehmen, damit mein busen wachse und meine hüften sich runden.

Mit freundlichen Grüssen und vielen Dank im Voraus

Sandra Kirchhofer

Siehe auch Ich bin etwas anders und dennoch ziemlich gleich