"À qui appartiennent nos corps?" - Vereinnahmung auf Französisch

Am 8. Mai 2008 fand am Zentrum für Gender Studies an der Universität Lausanne ein thematischer Abend zu Intersexualität statt, zu dem ich freundlicherweise eingeladen wurde. Die bedeutende, 1981 unter anderem von Simone de Beauvoir gegründete Zeitschrift "Nouvelles Questions Féministes" lud anlässlich ihrer neuesten Ausgabe mit dem Titel "À qui appartiennent nos corps? Féminisme et luttes intersexes" (Wem gehören unsere Körper? Feminismus und Intersexbewegung) zu einem Podiumsgespräch ein.

Neben mir waren zwei Zwischengeschlechtliche aus Frankreich anwesend. Wir sassen zu dritt vor einer interessierten StudentInnenschar und erzählten aus unserem Leben und unserer Arbeit als 'intersexuelle' Aktivisten. Zu gegebenem Anlass thematisierte ich wieder einmal die leidige Vereinnahmung von 'Intersexuellen' durch Transgender, Transsexuelle und LGTB und schlug betreffend der offenbar angenommenen Übereinstimmungen zwischen Feminismus und Intersexbewegung kritische Töne an, sah als "convergence" in erster Linie John Moneys Gendertheorie, die für Frauen die Befreiung bedeutete, auf deren Grundlage jedoch Zwitter bis heute zwangsoperiert werden. Wider Erwarten stiess ich auf wenig Einwände, im Gegenteil. Was mich hoffen liess, dass die Instrumentalisierung von Zwischengeschlechtlichen in Frankreich und der französischen Schweiz offenbar weniger gravierend ist. Leider hatte ich erst nach der Veranstaltung die Gelegenheit, die 168 Seiten umfassende Zeitschrift durchzublättern, sonst hätte ich nämlich feststellen können, dass auch bei den Frankophonen die Vereinnahmung von Zwittern an der Tagesordnung ist.

Im Editorial (pdf-Download) zur Zeitschrift wird von einem "gemeinsamen Kampf von Feministinnen, Trans' und Intersexuellen" gegen "les inégalités, les discriminations, les violences et les normes hétérocentristes du système de genre" (die Ungleichheiten, die Diskriminierungen, die Gewalt und die heterozentristischen Normen des Geschlechtersystems) ausgegangen, der nicht nur auf den gemeinsamen Feind zurück zu führen sei, sondern auch darauf, dass die "Übereinstimmung unserer Kämpfe" eine "Geschichte" habe. Und diese "geteilte Geschichte" wird zum Beispiel in der "medizinischen Betreuung" und der "Verschränkung der Pathologien" gesehen: der weibliche Körper sei seit der Antike bis zur heutigen modernen Sexualbiologie ein kranker Körper und "sein unvollendetes Geschlecht der Grund allen Übels und seiner natürliche Minderwertigkeit". Medizinisch gesehen werde auch der intersexuelle Körper als geschlechtlich unvollendet definiert. Und die Tendenz der Mediziner, den Zwitterkörper meistens zum Frauenkörper zu vollenden, offenbare auf "doppelte Weise" den "Androzentrismus". Das böse Patriarchat. Ein Schelm, der da noch von kleinlichen Menschenrechtsverletzungen reden will ...

Und wo Feministinnen an zwangsoperierte zwischengeschlechtliche Körper gelehnt ihre eigene Identität reflektieren, sind leider auch Transgender und Transsexuelle nicht weit, wie auch diese Publikation zeigt. Wenig tröstlich ist da der Umstand, dass es sich gemäss den verantwortlichen Genderfrauen bei vorliegender Zeitschrift um die erste wissenschaftliche Publikation in französischer Sprache handle, deren Autoren mehrheitlich 'intersexuell' seien. Denn einmal mehr werden Zwischengeschlechtliche von Gruppierungen vereinnahmt, die die Auflösung von Geschlechtergrenzen befürworten.

Exemplarisch lässt sich dies an einem längeren Artikel einer FTM-Transsexuellen zeigen (wo 'intersex' drauf steht, ist bei näherem Hinsehen oft eben doch wieder 'trans' drin). Unter dem Titel "Die Neuerfindung der Sexualität bei den Intersexuellen" geht es wie üblich natürlich nicht um die Anliegen von 'Intersexuellen' (Zwangsoperationen und Menschenrechtsverletzungen sind einmal mehr kein Thema), sondern um die sexuelle Identität einer transsexuellen Person, die ihren Körper freiwillig mittels Testosteroneinnahme verändert hat und detailliert darüber berichtet, wie sich die Form und Grösse ihrer Klitoris veränderte, erektions- und sogar penetrationsfähig wurde, wie sich die Lust veränderte und wuchs, wie sie ihre Masturbationstechniken dem wachsenden Lustorgan anpassen musste, und so weiter und so fort. Und - wer hätte das gedacht: Die Quintessenz des Artikels ist natürlich die Frage, welchen Stellenwert die männliche Penetration in unserer Gesellschaft hat und ob eine Penetration auch mit einem Mikropenis – quatsch: einer Klitoris möglich ist, die unter Einfluss von Testosteron erheblich gewachsen ist. Auflösung von Geschlechtergrenzen eben.

Und es bleibt wieder einmal nichts mehr hinzu zu fügen, wenn in einer feministischen Publikation über Intersexualität allen Ernstes (in der üblichen Reihenfolge) von den Verstümmelungen und der Pathologisierung "der Transsexuellen und der Intersexuellen" gesprochen wird, und davon, dass sich diese "in der Gewalt und Stigmatisierung gegenüber Schwulen, Lesben oder Bisexuellen, aber auch in der Gewalt von Frauen sich selber gegenüber (Enthaarung, plastische Chirurgie und so weiter) widerspiegelt". Und danach wird gerne auch über den angeblich gemeinsamen Wunsch theoretisiert, "le sexe ou les identités de genre" (Geschlecht oder Geschlechtsidentitäten) zu "denaturalisieren".

Zu dieser unreflektierten Sicht durch die eigene Brille passt auch das letzte Kapitel von "À qui appartiennent nos corps? Féminisme et luttes intersexes", in dem die Ausgangsfrage der Zeitschrift beantwortet wird, jedoch nicht von denen, um die es in dieser Publikation vordergründig geht und die vor allem am meisten Grund hätten, diese Frage zu stellen. Nein, der Abschluss bildet bezeichnenderweise ein "Manifeste Trans': Notre corps nous appartient", das mit den Worten beginnt: "In Frankreich fangen jedes Jahr Hunderte von Trans'-Menschen eine Hormontherapie an und/oder erleiden einen chirurgischen Eingriff." Und bezeichnenderweise steht jetzt 'Körper' im Singular, und von 'Intersexuellen' ist gar nicht mehr erst die Rede ...

Nella