"À qui appartiennent nos corps?" - Vereinnahmung auf Französisch
By nella on Friday, May 16 2008, 21:55 - Die anderen - Permalink
Am 8. Mai 2008 fand am Zentrum für
Gender Studies an der Universität Lausanne ein thematischer Abend zu
Intersexualität statt, zu dem ich freundlicherweise eingeladen wurde. Die
bedeutende, 1981 unter anderem von Simone de Beauvoir gegründete Zeitschrift
"Nouvelles Questions Féministes" lud anlässlich ihrer neuesten Ausgabe
mit dem Titel "À qui appartiennent
nos corps? Féminisme et luttes intersexes" (Wem gehören unsere Körper?
Feminismus und Intersexbewegung) zu einem Podiumsgespräch ein.
Neben mir waren zwei Zwischengeschlechtliche aus Frankreich anwesend. Wir
sassen zu dritt vor einer interessierten StudentInnenschar und erzählten aus
unserem Leben und unserer Arbeit als 'intersexuelle' Aktivisten. Zu gegebenem
Anlass thematisierte ich wieder einmal die leidige
Vereinnahmung von 'Intersexuellen' durch Transgender, Transsexuelle und
LGTB und schlug betreffend der offenbar angenommenen Übereinstimmungen
zwischen Feminismus und Intersexbewegung kritische Töne an, sah als
"convergence" in erster Linie
John Moneys Gendertheorie, die für Frauen die Befreiung bedeutete, auf
deren Grundlage jedoch Zwitter bis heute zwangsoperiert werden. Wider Erwarten
stiess ich auf wenig Einwände, im Gegenteil. Was mich hoffen liess, dass die
Instrumentalisierung von Zwischengeschlechtlichen in Frankreich und der
französischen Schweiz offenbar weniger gravierend ist. Leider hatte ich erst
nach der Veranstaltung die Gelegenheit, die 168 Seiten umfassende Zeitschrift
durchzublättern, sonst hätte ich nämlich feststellen können, dass auch bei den
Frankophonen die Vereinnahmung von Zwittern an der Tagesordnung ist.
Im Editorial (pdf-Download) zur Zeitschrift wird von einem
"gemeinsamen Kampf von Feministinnen, Trans' und Intersexuellen" gegen
"les inégalités, les discriminations, les violences et les normes
hétérocentristes du système de genre" (die Ungleichheiten, die
Diskriminierungen, die Gewalt und die heterozentristischen Normen des
Geschlechtersystems) ausgegangen, der nicht nur auf den gemeinsamen Feind
zurück zu führen sei, sondern auch darauf, dass die "Übereinstimmung
unserer Kämpfe" eine "Geschichte" habe. Und diese "geteilte
Geschichte" wird zum Beispiel in der "medizinischen Betreuung"
und der "Verschränkung der Pathologien" gesehen: der weibliche Körper
sei seit der Antike bis zur heutigen modernen Sexualbiologie ein kranker Körper
und "sein unvollendetes Geschlecht der Grund allen Übels und seiner
natürliche Minderwertigkeit". Medizinisch gesehen werde auch der
intersexuelle Körper als geschlechtlich unvollendet definiert. Und die Tendenz
der Mediziner, den Zwitterkörper meistens zum Frauenkörper zu vollenden,
offenbare auf "doppelte Weise" den "Androzentrismus". Das
böse Patriarchat. Ein Schelm, der da noch von kleinlichen
Menschenrechtsverletzungen reden will ...
Und wo Feministinnen an zwangsoperierte zwischengeschlechtliche Körper gelehnt
ihre eigene Identität reflektieren, sind leider auch Transgender und
Transsexuelle nicht weit, wie auch diese Publikation zeigt. Wenig tröstlich ist
da der Umstand, dass es sich gemäss den verantwortlichen Genderfrauen bei
vorliegender Zeitschrift um die erste wissenschaftliche Publikation in
französischer Sprache handle, deren Autoren mehrheitlich 'intersexuell' seien.
Denn einmal mehr werden Zwischengeschlechtliche von Gruppierungen vereinnahmt,
die die Auflösung von Geschlechtergrenzen befürworten.
Exemplarisch lässt sich dies an einem längeren Artikel einer FTM-Transsexuellen
zeigen (wo 'intersex' drauf steht, ist bei näherem Hinsehen oft eben doch
wieder 'trans' drin). Unter dem Titel "Die Neuerfindung der Sexualität bei
den Intersexuellen" geht es wie üblich natürlich nicht um die Anliegen von
'Intersexuellen' (Zwangsoperationen und Menschenrechtsverletzungen sind einmal
mehr kein Thema), sondern um die sexuelle Identität einer transsexuellen
Person, die ihren Körper freiwillig mittels Testosteroneinnahme verändert hat
und detailliert darüber berichtet, wie sich die Form und Grösse ihrer Klitoris
veränderte, erektions- und sogar penetrationsfähig wurde, wie sich die Lust
veränderte und wuchs, wie sie ihre Masturbationstechniken dem wachsenden
Lustorgan anpassen musste, und so weiter und so fort. Und - wer hätte das
gedacht: Die Quintessenz des Artikels ist natürlich die Frage, welchen
Stellenwert die männliche Penetration in unserer Gesellschaft hat und ob eine
Penetration auch mit einem Mikropenis – quatsch: einer Klitoris möglich ist,
die unter Einfluss von Testosteron erheblich gewachsen ist. Auflösung von
Geschlechtergrenzen eben.
Und es bleibt wieder einmal nichts mehr hinzu zu fügen, wenn in einer
feministischen Publikation über Intersexualität allen Ernstes (in der üblichen
Reihenfolge) von den Verstümmelungen und der Pathologisierung "der
Transsexuellen und der Intersexuellen" gesprochen wird, und davon, dass
sich diese "in der Gewalt und Stigmatisierung gegenüber Schwulen, Lesben
oder Bisexuellen, aber auch in der Gewalt von Frauen sich selber gegenüber
(Enthaarung, plastische Chirurgie und so weiter) widerspiegelt". Und
danach wird gerne auch über den angeblich gemeinsamen Wunsch theoretisiert,
"le sexe ou les identités de genre" (Geschlecht oder
Geschlechtsidentitäten) zu "denaturalisieren".
Zu dieser unreflektierten Sicht durch die eigene Brille passt auch das letzte
Kapitel von "À qui appartiennent nos corps? Féminisme et luttes
intersexes", in dem die Ausgangsfrage der Zeitschrift beantwortet wird,
jedoch nicht von denen, um die es in dieser Publikation vordergründig geht und
die vor allem am meisten Grund hätten, diese Frage zu stellen. Nein, der
Abschluss bildet bezeichnenderweise ein "Manifeste Trans': Notre
corps nous appartient", das mit den Worten beginnt: "In
Frankreich fangen jedes Jahr Hunderte von Trans'-Menschen eine Hormontherapie
an und/oder erleiden einen chirurgischen Eingriff." Und bezeichnenderweise
steht jetzt 'Körper' im Singular, und von 'Intersexuellen' ist gar nicht mehr
erst die Rede ...
Nella