Wie das Kaninchen vor der Schlange - Zwangsoperierte und (ehemalige) TäterInnen
By nella on Sunday, August 2 2009, 17:16 - Trauma, Opferrolle, Befreiung - Permalink
Wenn ich als Kind zum Arzt musste, wurde mir schon Stunden vorher übel, ich hatte kalte Hände, mein Körper versteifte sich. Dort angekommen war ich ganz starr vor Unbehagen und Angst, mein Herz klopfte laut, ich konnte nicht mehr denken und mich nicht mehr bewegen. Ich habe mich tot gestellt. Was für ein vernünftiges und folgsames Kind, dachten die wohl.
Heute, Jahrzehnte später, trete ich an die Öffentlichkeit, benenne das Unbenannte, setze mich für die Menschenrechte von Zwittern ein. Dabei komme ich immer wieder in Kontakt mit Medizinern und anderen, die von Berufswegen über Kinderschicksale entscheiden, sei es an Tagungen, in Gesprächen, Verhandlungen, Mails oder Telefonaten, überall dort, wo ich mich als (ehemaliges) Opfer 'zeige' und (ehemalige wie auch unverbesserliche) Täter mich 'anschauen'.
Dabei werde ich auch heute von den Gefühlen überwältigt, die ich als Kind hatte: Scham, Ekel, unterdrückte Wut, mein Körper reagiert ohne mein Zutun. Wenn ein Mediziner nur schon vor mir steht und mit mir redet, fühle ich mich körperlich in die Enge getrieben. Das zentrale Gefühl ist traurigerweise Selbstekel, als hätte ich das alles selber zu verschulden, was mir angetan wurde. Dieses verinnerlichte Gefühl, keine Grenzen zu haben, alle können mit mir machen, was sie wollen. Scham, Ekel, unterdrückte Wut.
Sogar bei einem ehemaligen Mediziner, der sich seiner Schuld bewusst ist und mich im Kampf gegen Zwangsoperationen unterstützen will, komme ich in diesen Zustand. In meinem Kopf laufen Bilder ab, die ich nur mit Mühe abschütteln kann. Ich bin zwar kein hilfloses Kind mehr, kann mich wehren, und dieser Mensch will mir nichts Böses, er bereut sogar und will helfen. Trotzdem möchte ich weglaufen, vor diesen Gefühlen, die wie ein Gift in meinem Magen rumoren, möchte aufhören mit all diesen Kontakten und mich dorthin verkriechen, wo es keine Blicke gibt. Aber dort wird sich nie etwas ändern, weder für mich noch für andere.
Es ist nicht einfach, von der eigenen Vergangenheit, dem eigenen Leiden zu abstrahieren. Wir müssen mit diesem Spannungsfeld leben, wenn wir uns mit Medizinern gemeinsam an einen Tisch setzen, um diese menschenunwürdige Situation zu verändern, sei es, um in Verhandlungen mit uneinsichtigen Medizinern Druck aufzubauen, um sie von Zwangsoperationen künftig möglichst abzuhalten, sei es, um mit den wenigen einsichtigen Medizinern zusammen zu arbeiten, die uns in unserem Kampf unterstützen wollen.
Weder wir noch diejenigen, bisher allzu seltenen, Mediziner, die uns unterstützen wollen, dürfen dabei ausser Acht lassen, dass die Vergangenheit ihren Schatten auf diesen Tisch wirft: das ehemalige Opfer wird sein Leben lang darunter leiden, was ihm angetan wurde. Die Jahrzehnte, in denen der ehemalige Täter dazu beitrug, diese Opfer zu schaffen, kann man nicht ungeschehen machen.
Ein Folteropfer wird ein Leben zusammenzucken, wenn es eine Uniform sieht. Ein Leben lang. So geht es auch Zwittern, die in diese gnadenlose Maschinerie geraten sind, wenn sie denen begegnen, die diese Maschinerie am Laufen halten oder einst hielten.
Trotzdem: Ohne die Auseinandersetzung mit (einsichtigen wie uneinsichtigen) Medizinern werden wir die Zwangsoperationen nicht abschaffen können.
Siehe auch:
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Rede 5. Treffen Netzwerk Intersexualität Kiel 6.9.2008
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