"Sexuelle Identität", "psychosexuell Entwicklungsgestörte", "Sexualstraftäter" und, äh, "Intersexuelle" - Tagung in Göttingen 20.11.09

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Kann ein Zwitter Sünde sein?>>> "Weiblich, männlich, intersexuell?" Pressemeldung zur Veranstaltung
>>> Ankündigung Homepage Zentrum für Medizinrecht
>>> Offizielles Programm (doc)  

Kommentar: Natürlich ist vermehrte (auch wissenschaftliche) Aufarbeitung der aktuellen Rechtssituation zwischengeschlechtlicher Menschen dringend notwendig. Insbesondere, wie Zwittern elementarste Grundrechte nach wie vor vorenthalten werden, wie auch das Strafrecht als Garant ihrer Menschenrechte z.B. auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung bisher stets sträflich versagte, und was dagegen künftig dringend zu tun wäre. Ausserdem beginnt das Thema "Intersexualität und Recht" langsam aber sicher auch eine (meist schockierte und empörte) breitere Öffentlichkeit zu erreichen.

Letzteres hat offensichtlich auch schon die Uni Göttingen bemerkt und deshalb das Stichwort "intersexuell" prominent in den Titel ihrer Medienmitteilung eingebaut. Im Kleingedruckten zum "Workshop" ("Zielgruppe: Journalisten, Wissenschaftler") sieht's dann allerdings weniger erfreulich aus: Unter den im Programm und Ankündigungen versammelten Stichworten (für eine Auswahl vgl. den Titel dieses Posts) wird kaum Relevantes dazu herauskommen.

Zu befürchten ist im Gegenteil eine Veranstaltung nach den Bedürfnissen bzw. zur Rechtfertigung der Täterinnen, sprich Zwangsoperateure plus Zulieferer aus Sexologie, Endokrinolgie und Psychiatrie, sowie nicht zu vergessen die Eugenik-Nachfolgedisziplin Humangenetik, wohl kaum zufällig Co-Veranstalterin dieses Workshops – obwohl einzelne Referentinnen schon positiver auffielen (Konstanze Plett - PDF, Katinka Schweizer).

Dass die TäterInnen allerdings in letzter Zeit spürbar erhöhten Rechfertigungsbedarf haben, ist demgegenüber ja nun wirklich nur positiv zu bewerten ...

Nachfolgend dokumentieren wir Pressemitteilung, Ankündigung und Programm:


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PRESSEMELDUNG >>> http://idw-online.de/pages/de/event29510

Weiblich, männlich, intersexuell?

Veranstaltungsort: 

Institut für Humangenetik
Heinrich-Düker-Weg 12
37073 Göttingen
Niedersachsen
Deutschland


Zielgruppe: Journalisten, Wissenschaftler
Kontakt: duttge@gwdg.de
Kategorie: überregional
Biologie, Gesellschaft, Medizin, Recht
Eintrag: 17.11.2009
Dr. Bernd Ebeling, Presse, Kommunikation und Marketing
Georg-August-Universität Göttingen 

Das Spannungsfeld zwischen der sexuellen Identität eines Menschen und den Normen und Erwartungen unserer Gesellschaft ist Thema eines öffentlichen Workshops am Freitag, 20. November 2009, an der Universität Göttingen. Aktuelle Ergebnisse der Forschung in den Neurowissenschaften, den Sozialwissenschaften und der Biologie werden hier der Entwicklung im deutschen Strafrecht gegenübergestellt.
Workshop zu sexueller Identität und gesellschaftlichen Normen

(pug) Das Spannungsfeld zwischen der sexuellen Identität eines Menschen und den Normen und Erwartungen unserer Gesellschaft ist Thema eines öffentlichen Workshops am Freitag, 20. November 2009, an der Universität Göttingen. Aktuelle Ergebnisse der Forschung in den Neurowissenschaften, den Sozialwissenschaften und der Biologie werden hier der Entwicklung im deutschen Strafrecht gegenübergestellt. Veranstalter sind das Zentrum für Medizinrecht der Juristischen Fakultät und das Institut für Humangenetik der Universitätsmedizin Göttingen. Der Workshop "Sexuelle Identität und gesellschaftliche Norm" beginnt um 12.30 Uhr im Institut für Humangenetik am Heinrich-Düker-Weg 12.

Die sexuelle Identität eines Menschen ist nicht nur biologisch bestimmt, sondern auch neurologisch, psychologisch und durch äußere Einflüsse geprägt. Daraus ergibt sich eine Abstufung und Variabilität, die das deutsche Strafrecht, das Familien- und das Personenstandsrecht mit den eindeutigen Kategorien "weiblich" und "männlich" bislang nicht widerspiegeln. "Die geschlechtlichen Zwischenstufen jenseits des binären Codes übersieht unser Recht bislang", sagt Prof. Dr. Gunnar Duttge, Geschäftsführender Direktor des Zentrums für Medizinrecht. Vorträge des Workshops behandeln unter anderem die Grundlagen der psychosexuellen Entwicklung, den Einfluss der sozialen Umgebung auf die sexuelle Identität sowie die Diagnose und Schuldfähigkeitsbeurteilung von Sexualstraftätern. Darüber hinaus spielen die persönliche Willensfreiheit und strafrechtliche Sanktionen sexueller Abweichungen eine Rolle. Das gesamte Programm ist im Internet unter www.jura.uni-goettingen.de/medizinrecht abrufbar.

Hinweis an die Redaktionen:
Journalisten sind zu dem Workshop herzlich eingeladen.

Kontaktadresse:
Prof. Dr. Gunnar Duttge
Georg-August-Universität Göttingen
Zentrum für Medizinrecht
Goßlerstraße 19, 37073 Göttingen
Telefon (0551) 39-7435, Fax (0551) 39-9240
Weitere Informationen:
http://www.jura.uni-goettingen.de/medizinrecht

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ANKÜNDIGUNG >>> http://www.uni-goettingen.de/de/122696.html
 
Workshop "Sexuelle Identität und gesellschaftliche Norm"

Veranstalter: Institut für Humangenetik und Zentrum für Medizinrecht
Datum: 20.11.2009

Die sexuelle „Identität“ ist keineswegs nur biologisch, sondern in erheblichem, wenngleich noch nicht hinreichend erfasstem Maße auch neurologisch, psychologisch sowie durch Umweltbedingungen determiniert und infolgedessen gradualisiert. Die Gesellschaft und ihr Recht ignorieren diese Variabilitäten jenseits der natürlichen Geschlechtlichkeit jedoch aufgrund der bestehenden Orientierungsbedürfnisse weitgehend: Familien- und personenstandsrechtliche Zuschreibungen müssen eindeutig sein, Veränderungen des biologischen Geschlechts kommen nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht, die gesellschaftlichen Vorstellungen über den Freiraum an „sexueller Selbstbestimmung“ werden an den Grenzen strafrechtlich abgesichert und jene, die sich nicht daran halten, gelten in der Rechtspraxis entweder als schuldfähig oder haben mit u.U. langjährigem Freiheitsentzug im Rahmen der Sicherungsverwahrung zu rechnen. Dieses Spannungsfeld zwischen individueller Disposition und gesellschaftlicher Erwartung will der Göttinger Workshop, gemeinsam veranstaltet vom Institut für Humangenetik (Medizinische Fakultät) und vom Zentrum für Medizinrecht (Juristische Fakultät), näher beleuchten; der nötige interdisziplinäre Dialog wird durch Experten/Innen aus der Humangenetik, der Sexualforschung, der Soziologie, der Rechtswissenschaft und der forensischen Psychiatrie befruchtet. ---------------------------------------------------

PROGRAMM >>> http://www.uni-goettingen.de/de/127503.html

Sexuelle Identität
und gesellschaftliche Norm

Programm

12.30 Uhr     Come together

13.00 Uhr    Begrüßung
Prof. Dr. med. Dr. h. c. Wolfgang Engel
   
Biologie und Sexualforschung
Moderation: Prof. Dr. med. Barbara Zoll

13.10 Uhr    Entwicklung der somatischen Identität
    und ihrer Abweichungen
    Prof. Dr. med. Pit Wieacker,
    Münster

13.45 Uhr    Grundlagen der psychosexuellen Entwicklung
    und ihrer Störungen   
Dipl. Psych. Katinka Schweizer, MSc
Hamburg

14.20 Uhr    Kaffeepause


Recht und Sozialwissenschaften
Moderation:    Prof. Dr. jur. Gunnar Duttge

14.40 Uhr    Soziale Umwelt und sexuelle
    Identitätsbildung
    PD Dr. med. Andreas Hill, Hamburg

15.15 Uhr    Begrenzte Toleranz individueller sexueller
    Identität durch das Recht
    Prof. Dr. jur. Konstanze Plett, Bremen

15.50 Uhr     Kaffeepause

16.10 Uhr    Strafrechtliche Sanktionen sexueller
    Abweichungen 
    Prof. Dr. jur. Tatjana Hörnle, Berlin

16.45 Uhr    Diagnose und Schuldfähigkeitsbeurteilung
    von Sexualstraftätern 
    Prof. Dr. med. Jürgen L. Müller, Göttingen

17.20 Uhr        Abschlussdebatte
    Moderation: 
    Prof. Dr. med. Dr. h. c. Wolfgang Engel

18.30 Uhr    Ausklang

Comments

1. On Wednesday, November 18 2009, 15:48 by Einhorn

Das ist ja ganz fürchterlich rückständig, was da auf den dritten Teil der Menschheit zukommt, wenn er in diesen pathologischen Diskurs eingebunden wird.
Das ist ganau die Aura des Pathologischen, die ich gemeint habe, mit der sich zwischengeschlechtliche Menschen nicht umgeben sollten. 6 Medizyner, 1 Psychologin aus dem psychopathologischen Diskurs und lediglich 3 Juristen/Innen und davon zwei mit strafrechtlichen Themen für Sexualverbrecher, nicht aber für zwischengeschlechtliche Opfer. Kurz um, eine Veranstaltung, für die mir meine Zeit zu Schade wäre.

2. On Thursday, November 19 2009, 13:36 by mystery

Das gleiche befürchte ich auch. Hier wird wiedermal die Intersexualität unter einen ganzen Pott "sexueller Abartigkeiten" reingepackt.
Bleibt zu wünschen übrig, dass sich die Veranstaltung anders gestaltet, als aufgrund der Ankündigung der Programmpunkte zu erwarten ist.

3. On Friday, November 20 2009, 19:57 by gelse

"Die sexuelle „Identität“ ist keineswegs nur biologisch, sondern in erheblichem, wenngleich noch nicht hinreichend erfasstem Maße auch neurologisch, psychologisch sowie durch Umweltbedingungen determiniert..."
Von Psychologen ganz bestimmt, und das Ausmaß können wir besser "erfassen" die Herrschaften wahrhaben wollen.
Und natürlich hams wieder eins vergessen, die identischen Herrschaften:
Bei uns auch medizynisch "determiniert"...

Da hab ich ein ganz ungutes Gefühl, wenn das neue Modewort sexuelle Identität, Genetaktik, Psychoforschung und die rechtlichen und psychiatrischen Probleme der Kinderficker in einer Spüle aufgewaschen werden.

Es sind ja Journalisten dabei.
Also wird man in den nächsten Tagen mal aufpassen müssen, was da so geschrieben wird.

4. On Thursday, March 25 2010, 13:43 by Jo

War irgendwer von euch wirklich da? Ich schon und ich finde, die Veranstaltung wird hier zu unrecht abgekanzelt. Insbesondere der Streit, der zwischen dem Mediziner und dem Juristen stattfand und sich um die körperliche Unversehrtheit der sog. 'Zwitter' drehte, war sehr, sehr erhellend. Mich persönlich hat es zum Nachdenken angeregt, was meine eigene 'sexuelle Identität' betrifft.

5. On Monday, March 29 2010, 02:50 by seelenlos

hi jo, wenn du den post und die kommentare aufmerksam liest, beantwortet sich deine frage von selbst.

ansonsten wäre es vielleicht auch nicht schlecht, einfach mal zur kenntnis zu nehmen, dass zwitter und solidarische nicht-zwitter es aus konkreten gründen alles andere als gut finden, wenn zwitter in öffentlich-wissenschaftlichen veranstaltungen "zusammen mit den übrigen perversen verwurstet werden".

wenn die veranstaltung dich persönlich zum "nachdenken" über deine "eigene 'sexuelle identität" anregt, mag das für dich persönlich ja gut und recht sein. zwangsoperierten zwittern ist damit aber kaum geholfen, und auch, dass dadurch nur ein einziges wehrloses zwitterkind weniger genital zwangsoperiert wird, darf doch eher stark bezweifelt werden, im gegenteil.

wie wär's also mit konkreten taten zur beendigung der zwangsoperationen statt "identitäts-nabelschau"?