UN-Ausschuss gegen Folter verurteilt kosmetische Genitaloperationen an Zwitterkindern als "Verstümmelung", "Zwangsoperationen" und "nicht notwendige Operationen"

 >>> Nachtrag 8.11. - Antworten der Bundesregierung

>>> Friedlicher Protest vor der UNO, Genf 26.01.2009

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Zwischengeschlecht.org «Körperliche Unversehrtheit auch für Zwitter!» (Bild: NZZ Format/SF1)

Letzten Freitag 4. November tagte in Genf das UN-Committee against Torture in seiner 47. Session über die Einhaltung des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (CAT) in Deutschland und stellte den VerteterInnen der Bundesrepublik diesbezüglich mehrere kritische Fragen auch betreffend kosmetische Genitaloperationen in Kinderkliniken. Eine weitere Beratung dazu ist auf nächsten Dienstag ab 15 Uhr angesetzt, danach folgen schriftliche Empfehlungen. Anlass dazu war ein >>> Schattenbericht von Intersexuelle Menschen e.V. (Berichterstatterin: Lucie Veith) in Kooperation mit der Humboldt Law Clinic.

Über die Beratungen vom 4. November liegt nun eine höchst erfreuliche
>>> englischsprachige UN-Pressemitteilung vor. Darin werden kosmetische Genitaloperationen in Kinderkliniken von den UN-ExpertInnen Claudio Grossmann und Myrna Kleopas gleich mehrfach kritisch erwähnt, und zwar zum Teil sowohl "vermännlichende" wie auch "verweiblichende" OPs, und wiederholt mit deutlichen Worten!

Bereits in den einleitenden Abschnitten ist die Rede von "Zwangsoperationen an Intersex-Kindern" ("forced surgery on inter-sex children").

Im Abschnitt "Fragen von Ausschuss-ExpertInnen" wird Komitee-Experte Claudio Grossmann u.a. zitiert wie folgt:

Er sagte, diese Kinder würden oft gezwungen sich Operationen zu unterziehen, um ihre Genitalien entweder männlichen oder weiblichen Genitalien übereinstimmend zu machen, was oft Entfernung oder Verstümmelung beispielsweise der Klitoris oder der Gonaden beinhalte. Sowohl die Kinder wie auch die Eltern würden nicht angemessen über die damit einhergehenden Massnahmen informiert. Würden medizinische Kräfte geschult zu sexueller und körperlicher Vielfalt, ebenso wie über die Notwendigkeit, Eltern über die Folgen nicht notwendiger Operationen an den Genitalien ihrer Kinder?

(Englischer Originalwortlaut: He said that those children were often forced to undergo surgery on their genitals to make them conform to either male or female genitalia, often involving removal or mutilation of, for example, the clitoris or gonads. Both the children and their parents were not properly informed of the procedures involved. Were medical persons being trained on sexual and physical diversity, as well as the need to inform parents of the consequences of unnecessary surgery on their children’s genitalia?)

Weiter unten wurde die Komitee-Expertin Myrna Kleopas zum Thema zitiert wie folgt:

Bestünden irgendwelche Pläne, die medizinische Praxis der frühzeitigen Geschlechtsbestimmung von Intersex-Kindern zu überarbeiten, zu diskutieren und zu analysieren? Die gängige Praxis basiere auf der Abhilfe der Errichtung einer identität, dass, wenn ein Kind chirurgisch verändert würde, um wie ein Mädchen auszuschauen, es sich auch zu einem Mädchen entwickeln würde. Neue Forschung hätte ergeben, dass dies nicht notwendigerweise der Fall sei. Weiter, was begründet Zustimmung im Deutschen Recht, speziell in medizinischen Fällen, die Operationen an Geschlechtsorganen von Personen beinhalten?

(Englischer Originalwortlaut: Were there any plans to revise, discuss and analyse the medical practice of early determination of sex in inter-sex children? The current practice was based on the relief of establishing an identity, that if a child was surgically changed to look like a girl, she would then develop into a girl. New research has established that that was not necessarily the case. Furthermore, what constituted consent in German law, particularly in medical cases involving surgery to an individual’s sexual organs?)

Dieser Blog bleibt gespannt auf die weiteren Beratungen des Komitees am nächsten Dienstagnachmittag, ebenso auf die schriftlichen Empfehlungen. Schon jetzt dürfte sich aber abzeichnen, dass der Druck auf GenitalverstümmlerInnen und Zwangsoperateure nicht nur in Deutschen Kinderkliniken weiter wachsen wird – ebenso auf ihre HelfershelferInnen in Politik und Justiz ... Dafür allen Beteiligten ein herzliches Dankeschön!

(Dank an Marion Böker für den Hinweis!)

Nachtrag 8.11.2011:

Heute Nachmittag beantwortete eine Delegation der Bundesregierung die Fragen des Komitees – zumindest bezüglich Intersex allerdings ziemlich ausweichend, inkl. peinlichen Fettnäpfchen ("Leute, die sich als Intersex identifizieren") und mit den üblichen Ausreden ("Operationen an Kleinkindern erst seit einigen Jahren bekannt" – tatsächlich gibt's schon seit 15 Jahren parlamentarische Anfragen dazu und Proteste Betroffener). Alles in allem wird alles auf den Ethikrat abgeschoben, das Problem der Verjährung ausgelassen.
>>> Englische UN-Pressemitteilung zur Fragestunde
>>> Videomitschnitt der Fragestunde (--> 28.-34. Minute, Dank an Simon für den Hinweis!)

>>> GenitalOPs in Kinderkliniken: "Westliche Form der Genitalverstümmelung" 
>>> 150 Jahre Menschenversuche ohne Ethik und Gewissen
>>> Genitalverstümmelungen in Kinderkliniken – eine Genealogie der Täter

>>> Zwangs-Genital-OPs: Ausklammerung von "vermännlichenden" OPs unethisch
>>> IMeV-Schattenbericht CAT 2011: Häufigste Genitalverstümmelungen ausgeblendet