Genitalverstümmelungen in Kinderkliniken: "Täter, Mitläufer und Apologeten: Wer ist an dem Bösen Schuld?"

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Kann ein Zwitter Sünde sein?Um die Verbrechen in den Kinderkliniken endlich zu stoppen, ist es notwendig, die TäterInnen öffentlich zu benennen. Solange die TäterInnen nicht in der Öffentlichkeit blossgestellt und dadurch unmissverständlich damit konfrontiert werden, was nicht nur ihre Opfer, sondern auch die meisten MitbürgerInnen von ihren Taten halten, werden sie von ihrem schädlichen Tun offensichtlich nicht ablassen – weil sonst hätten sie es schon lange getan, seit sie durch die öffentlichen Klagen und Proteste Betroffener seit 20 Jahren wissen, dass sie ihren "Patienten" nicht das Gute tun, das sie vorgeben, aber insgesamt offensichtlich zu verstockt sind, um aus diesem durchaus vorhandenen Wissen die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.

Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, die gesellschaftliche Verantwortung von uns allen einzufordern und aufzuarbeiten, um – wie von mehreren Betroffenenorganisationen auch im Diskurs des Deutschen Ethikrates klar gefordert – anschliessend eine gesellschaftliche Aussöhnung herbeizuführen.

Ein differenziertes Instrumentarium dazu bietet ein Vortrag des Bioethikers Erich H. Loewy, gehalten anlässlich des 2. Symposions "Zur Geschichte der NS-Euthanasie in Wien" vom 8. und 9. Mai 2000 im Psychiatrischen Krankenhaus der Stadt Wien mit dem vollständigen Titel  "Täter, Mitläufer und Apologeten: Wer ist an dem Bösen Schuld? Können wir es in Zukunft verhindern?". Nachfolgend einige relevante Ausschnitte, >>> ganzen Text lesen dringend empfohlen!

[...] über Schuld oder über Verantwortung zu sprechen darf nicht zu einem Abwälzen dieser Verantwortung die wir alle tragen werden. Falls wir wirklich etwas gegen Greuel wie die, die hier geschehen sind unternehmen wollen, so ist es wichtig, daß wir uns nicht mit der Frage wer Schuld war begnügen, sondern daß wir uns auch unserer eigenen Verantwortung klar werden. Es ist deswegen wichtig den Unterschied zwischen Schuld und Verantwortung auszuarbeiten und daraus Konsequenzen zu ziehen.

Um ethisch schuldig zu sein, müssen gewisse Kriterien erfüllt werden. Leute, die wir schuldig heißen müssen: 1) was sie tun bewußt tun; 2) wissen, daß was sie tun verwerflich, oder schlecht ist und 3) die Möglichkeit, es anders zu tun haben. [...] Wenn ich etwas unwissend tue – mir nicht klar ist, daß Mord ein Verbrechen ist – so werde ich nicht für schuldig, sondern für Geisteskrank erklärt werden.

Schuld kann größer, oder kleiner sein. Wenn man unter schwerem Zwang steht, so tut man zwar was man tut wissend, aber man hat allenfalls weniger Wahl – etwas Anderes tun zu können wird erschwert. Wenn man allerdings etwas anderes hätte tun können, so hat man die Wahl – mit einer Pistole konfrontiert könnte man sich zwar weigern mitzumachen, aber wenn man es unter solchem Druck tut, so wäre es vielleicht verständlich. Allerdings wird diese “Pistole” [...] überschätzt: die Wahl war öfters nicht zwischen mittun, oder sterben, sondern zwischen mittun, oder seine Karriere nicht fördern. [...]

Falls man etwas tut, von dem man die Folge nicht wirklich weiß, wäre die Schuld eine viel kleinere. Der Mann, der die Fahrpläne für Züge nach Auschwitz gemacht hat, ohne zu wissen, wo diese Züge hingehen sollten, wäre nicht in demselben Sinne schuldig wie der Kollege, der es sehr wohl wußte. Leider aber wußten es die Meisten die die Fahrpläne machten genau, oder sie haben es absichtlich nicht wissen wollen.

Obwohl Unwissen als mildernder, oder sogar entschuldigender, Umstand gelten kann, so kann Unwissen an und für sich schuldig oder unschuldig sein. “Ich wußte es nicht, weil ich es nicht hätte wissen können” ist etwas ganz anderes als “ich hätte es mehr oder weniger leicht wissen können, wollte es aber nicht wissen – um nicht zu wissen habe ich mich abgewendet.” Es ist klar daß in dem “ich wollte es nicht wissen” bereits ein Wissen oder wenigsten ein Ahnen steckt. Falls ich etwas tatsächlich nicht hätte wissen können, so wäre ich nicht schuldig – ich habe nichts bewußt getan. Falls ich es aber nicht wissen wollte so wußte ich ja bereits etwas – genug allenfalls um zu wissen daß ich davon nichts wissen will. Falls ich etwas nicht wissen will, so habe ich meinen Willen zwischen das Wissen können und das sehr wohl Wissen mit voller Absicht gestellt. Und dann bin ich allerdings schuldig – schuldig nicht nur für was geschehen ist sondern auch schuldig weil ich absichtlich Wissen abgelehnt habe. Wissen ablehenen heißt einem Willen Ausdruck geben.

Es stellt sich die Frage: was ist das was man gewußt, oder nicht gewußt hat? [...]

Verantwortung für etwas zu haben heißt, für etwas zu sorgen, für etwas zuständig zu sein. Es ist eine bestimmte Beziehung zu Anderen, zur Gesellschaft, zur Natur und zu sich selbst. Man kann das Wort verschieden verstehen. Kausalverantwortung bedeutet, daß man in die Kausalkette ohne, oder mit Schuld verstrickt ist. Kausalverantwortung kann schuldig sein – etwa “ich habe es mit voller Absicht getan”, oder “es war was geschehen ist zwar nicht meine Absicht, aber ich konnte was geschehen wird voraussehen und habe es trotzdem getan”. Andererseits kann Kausalverantwortung unschuldig sein “ich konnte es nicht verhindern (oder voraussehen), aber es ist durch mein Tun oder Lassen geschehen – meine Bremsen haben versagt und ich bin in ein anderes Auto hineingefahren.”

Andererseits kann Verantwortung eine Rollenverantwortung sein – als Lehrer oder Arzt habe ich gewisse Verantwortungen. [...] Als Arzt hat man einem Patienten gegenüber eine Verantwortung die ein Laie nicht hat. Ein Ehegatte hat Verantwortungen, die jemand anderer nicht hat.

Und vor allem haben wir als Menschen menschliche Verantwortung -- als Mensch bin ich für meine Mitmenschen verantwortlich. [...]

Schuld ist immer persönlich, Kollektivschuld ist absurd. Verantwortung kann, allerdings, eine kollektive sein. Da ich in einer gewissen Gesellschaft lebe, bin ich für das, was diese Gesellschaft tut oder läßt verantwortlich. [...]

Man kann für etwas keine Schuld haben (also nicht selbst in die Kausalkette verstrickt sein), aber trotzdem dadurch, daß etwas auch ohne sein Dazutun geschehen ist verantwortlich sein. Da ich nicht in der Sklavenzeit gelebt habe, trage ich für die Sklaverei keinerlei persönliche Schuld. Da ich, allerdings, als weißes, männliches in Amerika wohnendes Wesen täglich und ohne es zu wollen durch die Tatsache und durch die historischen Gegebenheiten bevorzugt werde, habe ich die Pflicht, Alles um die Benachteiligung, die Folge der Sklaverei ist gut zu machen – wenn ich das nicht tue, so werde ich für die weitere Benachteiligung Schuld tragen.

Als Miglied einer Gesellschaft, die Kinder, Behinderte und andere Schwache, als  “lebensunwert” deklariertes Leben ermordet hat, trage ich eine gewisse Verantwortung. [...]

Wenn wir noch immer heute Leute behaupten hören, daß entweder sie, oder ihre Eltern und Großeltern “von nichts gewußt haben”, so muß man sich fragen, was dieses “nichts” eigentlich war.

Meine 2 Cent:

Dieselben Fragen stellen sich bekanntlich z.B. auch bei Genitalabschneiderverbänden, der Bundesregierung, dem Berliner Senat, dem Bremer Gesundheits-Staatsrat u.v.a.m., die betreffend der Folgen der täglichen Genitalverstümmelungen in den Kinderkliniken für die Opfer über Jahrzehnte und zum Teil bis heute ebenfalls behaupten, von "nichts" gewusst haben zu wollen – und bei praktisch allen westlichen Gesellschaften, die diese unmenschliche Praxis seit 60 Jahren unwidersprochen in ihrer Mitte dulden ... 

>>> Wer sind die Täter? Was soll mit ihnen geschehen?
>>> Genitalverstümmelungen in Kinderkliniken – eine Genealogie der Täter 
>>> 150 Jahre Menschenversuche ohne Ethik und Gewissen