Die rassistischen Wurzeln von IGM > Päpstlicher Gesandter und Medizyner: FGM "notwendig bei Hermaphroditen u. zu großer Klitoris"
By seelenlos on Sunday, September 13 2015, 17:46 - Die Mediziner - Permalink
Spätestens seit der Aufklärung war es unhinterfragtes, "selbstverständliches Wissen" unter "westlichen" Medizynern (Medizynerinnen gab's damals noch nicht), dass "(Pseudo-)Hermaphroditen" eine Gattung von "Untermenschen" darstellen, die unter "primitiveren, südlichen und asiatischen Rassen" (inkl. "Jüdinnen") ebenso selbstredend häufiger auftreten würden als bei "zivilisierteren, hellhäutigeren Rassen", wie u.a. Einträge zu "Hermaphrodit" in praktisch allen Enzyklopädien der Aufklärung belegen, sowie im 19. Jahrhundert und bis nach dem 2. Weltkrieg unzählige (vor-)moderne medizinische Publikationen.
Ebenso, dass bei solchen "Untermenschen" Prozeduren, die bei "normalen", "richtigen" Menschen selbstredend unzulässig sind (wie z.B. Klitorisamputationen a.k.a. "Mädchenbeschneidungen"), bei Hermaphroditen nicht nur zulässig sind, sondern schlichtwegs "notwendig".
Kleines Quellenbeispiel gefällig? Bitte sehr:
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Quelle: Joseph Hyrtl: Lehrbuch der Anatomie des Menschen, mit Rücksicht auf physiologische Begründung
und praktische Anwendung. Wien: Wilhelm Braumüller, 2. Aufl. 1850, S. 533. archive.org
Josef Hyrtl (1810-1894) war Anatomieprofessor in Prag und Wien, "und sein Lehrbuch der Anatomie des Menschen, das in viele Sprachen übersetzt wurde, erlangte[] Weltruf." (Österreichisches Biographisches Lexikon) In der 20. Auflage von 1889 ergänzte Hyrtl zusätzlich (meine Hervorhebungen): "Bei den Androgynen und lasciven Frauen überhaupt, nimmt ihre Grösse zu, und kann so stattlich werden, dass die Kunsthilfe einschreiten muss, um das Ueberflüssige zu beseitigen." (S. 844)
Obige Stelle wurde u.a. im Lehrbuch des polnischen Anatomen Edward Loth (1884-1944), dem Verfasser einschlägiger Werke wie z.B. "Beiträge zur Anthropologie der Negerweichteile" (1912), in seinem 1931 auf französisch erschienenen Buch "Anthropologie des parties molles" (Paris: Masson 1931, S. 342) vollständig zitiert, wobei Loth das "Erfordernis der volkstümlichen Operation" noch weiter ausbuchstabierte (meine Übersetzung): "ohne wäre die Penetration des Penis in die Vagina schwierig."
Loths Zitat wurde wiederum ausführlich zitiert von Louis Ombrédanne (1871-1956) in "Les Hermaphrodites et la Chirurgie" (Paris: Masson 1939, S. 143), eine der 3 IGM-Hauptmonographien der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts (vgl. CRC-Schattenbericht, PDF S. 83).
>>> "Männlich-Weiblich-Zwischen", Historische Tagung 16.-19.09.2015
Siehe auch:
- IGM – eine Genealogie der TäterInnen
- NS-Diagnose "Intersexuelle Konstitution"
- Nazi-"Erbkrankheiten": Intersex, "Rassenmischung", Hermaphroditen, Hypospadie, etc.
- Naujoks 1933: "Intersex-Genitalamputation prädestiniert für Hormon-Forschung"
- Köln 1949-66: Intersex-Sterblichkeit 30% – seziert für "Kindereuthanasie"-Prof.
>>> Intersex-Genitalverstümmelungen (IGM): Typische Diagnosen und Eingriffe
>>> Zwangsoperierte Zwitter über sich selbst und ihr Leben
Input von Daniela Truffer zum "Fachtag Intersex"
• IGM Überlebende – Danielas Geschichte
• Historischer Überblick:
"Zwitter gab es schon immer – IGM nicht!"
• Was ist Intersex? • Was sind IGM-Praktiken?
• IGM in Hannover • Kritik von Betroffenen • u.a.m.
>>> PDF-Download (5.53 MB)
Comments
Danke für diesen Beitrag. Diese Annäherungen von "Androgynen" und "lasciven Frauen" ist meiner Meinung nach ein ganz wichtiger Schritt gewesen, um Klitorisamputationen zu rechtfertigen.
Ohne viel von äthiopischer Geschichte zu wissen - die Formulierung, dass die Abyssiner "zum Christenthum" bekehrt seien, ist reichlich seltsam angesichts einer jahrhundertelangen christlichen Tradition. Völlig erstaunlich finde ich aber, dass es eine kirchliche Feststellung der "Notwendigkeit" von Klitorisamputationen gegeben haben soll.