Marburg: Protest gegen Genitalverstümmelung in Uniklinik - Senat berät Stellungnahme (15.-23.4.12)
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UKGM Marburg leugnet Verstümmelungen - Kinderchirurg verplappert sich
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Offener Brief >>>
Oberhessische Presse 14.4. |
15.4. |
16.4. >>>
Senatseingabe
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Kosmetische Genitaloperationen an Kindern in Marburg? Aber wir doch nicht!
Aktion von Zwischengeschlecht.org, 6.2.2011 (Bild: NZZ Format)
PRESSEMITTEILUNG von Zwischengeschlecht.org vom 12.04.2012:
Jeden Tag wird in Deutschland in einer Kinderklinik mindestens ein wehrloses Kind irreversibel genitalverstümmelt – auch im Universitätsklinikum Gießen und Marburg sowie im Klinikum Fulda (Lehrkrankenhaus der Philipps-Universität Marburg).
Der Standort Marburg des Universitätslinikums wirft zusätzlich ein Schlaglicht auf die nach wie vor unaufgearbeitete historische Dimension von kosmetischen Genitaloperationen an Kindern mit "uneindeutigen" Genitalien. Der Deutsche Ethikrat betrat Neuland, als er am im Zusammenhang mit einem seinerzeitigen Professor der Philipps-Universität und Oberarzt der Universitäts-Frauenklinik Marburg festhielt (19.07.2011):
"Als gesichert kann hingegen gelten, dass Hans Naujoks seit 1934 rassistisch motivierte medizinische Operationen an intersexuellen Menschen vorgenommen hat."
Wir wollen bei diesen täglichen Genitalverstümmelungen vor unserer Haustüre nicht mehr länger tatenlos zusehen!
Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org wird vor Ort in Marburg
öffentlich über "kosmetische" Genitalverstümmelungen in westlichen
Kinderkliniken informieren. Und am kommenden Sonntag mit Unterstützung durch
Studierende vor dem Universitätsklinikum friedlich protestieren – gegen die
GenitalabschneiderInnen sowie gegen die Untätigkeit von Politik und Justiz bei
diesem fortdauernden Verbrechen gegen die
Menschlichkeit:
• FRIEDLICHER PROTEST + ÜBERREICHUNG
OFFENER BRIEF
So 15.4.2012 14-17 h - Universitätsklinikum Marburg,
Haupteingang
Baldinger Straße, 35043 Marburg
>>> alle
Termine
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Bericht Oberhessische Presse 14.4. | 15.4.
• INFOVERANSTALTUNG MARBURG
Mo 23.4.2012 19 h - Philipps-Universität Marburg, Hörsaal 115
(+1/0120)
Hörsaalgebäude, Biegenstraße 14, 35037 Marburg
Und Zwischengeschlecht.org freut sich ganz besonders, dass am kommenden
Montag auf Initiative von Studierenden der Phillips-Universität zum allerersten
Mal in Deutschland der Senat einer Universität über eine Stellungnahme zu
kosmetischen Genitaloperationen an Kindern und Jugendlichen beraten
wird:
•
ÖFFENTLICHE SENATSSITZUNG MARBURG
Mo 16.4.2012 14:15 h - Philipps-Universität Marburg,
Senatssitzungssaal
Biegenstr. 12, 35037 Marburg
TOP 9: Stellungnahme des Senats zu kosmetischen Genitaloperationen im
Universitätsklinikum Marburg / Gießen an Kindern und Jugendlichen (Unterlage
Nr. 06-195)
• VORANKÜNDIGUNG: Aktionen und Senatsitzung in Gießen
22.-25.4.
(Genaue Termine in Kürze via
blog.zwischengeschlecht.info)
Wir danken allen, die vor Ort dazu beitragen!
Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org fordert ein Verbot
von kosmetischen Genitaloperationen an Kindern und Jugendlichen sowie
"Menschenrechte auch für Zwitter!".
Betroffene sollen später selber darüber entscheiden, ob sie
Operationen wollen oder nicht, und wenn ja, welche.
Freundliche Grüße
n e l l a
Daniela Truffer
Gründungsmitglied Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org
Mobile +41 (0) 76 398 06 50
presse_at_zwischengeschlecht.info
http://zwischengeschlecht.org
Regelmäßige Updates: http://zwischengeschlecht.info
HINTERGRUND:
KOSMETISCHE GENITALOPERATIONEN AN KINDERN
INHALT:
1. Jeden Tag wird in einer Kinderklinik ein
wehrloses Kind verstümmelt
2. Hunde besser vor Verstümmelung und Kastration
geschützt als Kinder
3. "fundamentaler Verstoß gegen körperliche
Unversehrtheit"
4. Politische Instrumentalisierung durch Schwule
und Lesben
5. Diskussion über gesetzliches Verbot
notwendig
1. Jeden Tag wird in Deutschland in einer Kinderklinik mindestens ein wehrloses Kind irreversibel genitalverstümmelt.
Die Mediziner nennen es "korrigierende", "angleichende" oder "rekonstruktive Eingriffe".
Überlebende Betroffene sprechen ihrerseits von Genitalverstümmelung, uneingewilligten Zwangsoperationen und Zwangskastrationen und von medizinischer Folter.
Etwa jedes 1000. Kind wird mit "auffälligen" körperlichen Geschlechtsmerkmalen geboren (Zwitter, Hermaphroditen, "Intersexuelle").
Auch das Universitätsklinikum Gießen und Marburg sowie das Klinikum Fulda (Akademisches Lehrkrankenhaus der Phillips-Universität Marburg) haben Genitaloperationen im Angebot u.a. für Kleinkinder "mit zu großer Klitoris" oder sonstwie "auffälligen Geschlechtsorganen". Bundesweit sollen es über 100 Kinderchirurgien sein, darunter auch zahlreiche kleine bis Kleinst-Anbieter.
Das florierende kosmetisch-chirurgische Angebot umfasst u.a. "Klitorisverkleinerungen", "Peniskorrekturen", "Anlegen einer Neovagina", "Verlegung der Harnröhre", Kastrationen, Gebärmutterentfernungen, usw. usf.
Kosmetische Genitaloperationen an Kleinkindern werden von Kliniken und anderen Anbietern aggressiv vermarktet unter Dutzenden von verschiedenen "Diagnosen" wie "Hypospadie", "AGS/CAH", "Pseudohermaphroditismus", "Inters*xualität", "Epispadie", "AIS", "Disorders of Sex Development (DSD)", "Gonadendysgenesie", "Swyer", "Turner", etc.
Diese Operationen erfolgen seit
Jahrzehnten als unkontrollierte Menschenexperimente ohne ethische
Überwachung. Die angebliche Wirksamkeit der medizinisch nicht
notwendigen, irreversiblen Eingriffe wurde bis heute nie klinisch bewiesen. Die
einschlägigen
AMWF-Leitlinien stehen alle heute noch unverändert auf der
niedrigsten Evidenzstufe S1.
2. Hunde besser vor Verstümmelung geschützt als Kinder
Seit 15 Jahren klagen zwangsoperierte Zwitter in Deutschland die Genitalverstümmelungen in den Kinderkliniken öffentlich an und fordern die Medizyner zum Aufhören und die Politik zum Handeln auf – bisher vergeblich.
Die Bundesregierung gab wiederholt zu Protokoll, von unzufriedenen Zwangsoperierten nichts zu wissen (Drucks. 14/5627), und sah keinen Handlungsbedarf (Drucks. 16/13269).
Aktuell sind in Deutschland Haustiere besser geschützt als Kinder: Während z.B. Hunde ohne medizinische Notwendigkeit weder kupiert noch kastriert werden dürfen, wird in den Kinderkliniken ungehindert weiter kosmetisch verstümmelt und kastriert.
Laut neuesten BMBF-Studien sind ab 3 Jahren nach wie vor 90% aller bedrohten Kinder durchschnittlich mehrfach kosmetisch operiert.
Ähnlich wie bei Betroffenen von sexualisierter Gewalt ("Kindesmissbrauch")
ist der Rechtsweg für Überlebende ein Alptraum und eine Farce.
Da die Verstümmelungen meistens vor dem 2. Lebensjahr erfolgen, haben
Überlebende in der Regel keine Chance, vor Ablauf der Verjährung zu klagen. Die
meisten leiden zudem an mit den Eingriffen verbundenen, schweren
Traumatisierungen.
3. Westliche Form der Genitalverstümmelung
Seit den frühen 1990er Jahren klagen Überlebende die medizinisch nicht notwendigen Zwangsbehandlungen an Kindern mit "atypische Genitalien" öffentlich an als "westliche Form der Genitalverstümmelung" und kritisieren die Doppelmoral, wie in westlichen Kulturen einerseits die weibliche Genitalverstümmelungen in Afrika (FGM/FGC) als "barbarisch" gebrandmarkt und verurteilt werden, während gleichzeitig die chirurgischen Genitalverstümmelungen an Zwittern in Kinderkliniken vor der eigenen Haustüre ausgeblendet und geleugnet werden.
Seit 10 Jahren werden die frappierenden Übereinstimmungen zwischen den
chirurgischen Genitalverstümmelungen in westlichen Kinderkliniken und der
weiblichen Genitalverstümmelung in Afrika auch von namhaften FGM-Expertinnen,
JuristInnen und Menschenrechtsorganisationen öffentlich angeprangert, in
Deutschland etwa durch
Marion Hulverscheidt,
Hanny Lightfoot-Klein,
Fana Asefaw,
Konstanze Plett, Oliver
Tolmein,
Andreas Nentwich, Terre
des Femmes und
Amnesty Deutschland.
4. "fundamentaler Verstoß gegen körperliche Unversehrtheit"
Seit 1997 werden kosmetische Genitaloperationen an Kindern nebst von erwachsenen Betroffenen auch von namhaften Bioethikern, Juristen und Kulturwissenschaftlern öffentlich kritisiert. Seit 2004 beurteilen Menschenrechtsorganisationen wie Terre des Femmes und Amnesty Deutschland kosmetische Genitaloperationen an Kindern als "schwere Menschenrechtsverletzung" und "fundamentaler Verstoß gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit".
2007 gelang es der Betroffenen Christiane Völling, die als Ausnahme erst im Alter von 18 Jahren operiert wurde, als erster und bisher immer noch einziger, ihren ehemaligen Chirurgen zu verklagen, unmittelbar vor Eintritt der absoluten Verjährung. 2008 erkannte das OLG Köln letztinstanzlich das "Selbstbestimmungsrecht [...] in ganz erheblichem Maße verletzt" (5 U 51/08).
2009 rügte das von Betroffenen angerufene UN-Komitee CEDAW die Bundesregierung wegen mangelnden "wirksamen Maßnahmen zum Schutz ihrer Menschenrechte" (CEDAW/C/DEU/CO/6).
Am 8. November 2011 behandelte der UN-Ausschuss gegen Folter erstmals das Thema, sprach von "Verstümmelung", "Zwangsoperationen" und "nicht notwendigen Operationen" und rügte mehrfache Verstöße gegen die Anti-Folter-Konvention.
Am 23. Februar 2012 veröffentlichte der Deutsche Ethikrat im Auftrag der
Bundesregierung eine Stellungnahme "Inters*xualität". In einer ersten
Einschätzung vom 15. Juni 2011 hatte der Deutsche Ethikrat bereits
festgehalten: "Ein zentraler Punkt ist das Recht der Betroffenen auf
körperliche Unversehrtheit. [...] Hier findet das Elternrecht seine Grenzen und
auch dies spricht dafür, mit solchen Eingriffen so lange wie möglich zu warten,
damit die betroffenen Inters*xuellen selbst entscheiden können." In seiner
Stellungnahme anerkannte der Deutsche Ethikrat ausdrücklich das physische und
psychische Leiden der Betroffenen von kosmetischen Genitaloperationen und
-behandlungen und bekräftigte den Vorrang des Rechts auf körperliche
Unversehrtheit und des Rechts auf eine offene Zukunft der Betroffenen. Weiter
forderte der Deutsche Ethikrat u.a. dazu auf, Betroffene zu entschädigen und
bei kosmetischen Genitaloperationen die Verjährung analog den bereits
bestehenden Gesetzen betreffend s*xualisierte Gewalt an Kindern und
Schutzbefohlenen auszusetzen.
5. Politische Instrumentalisierung durch Schwule und Lesben
Vermehrt Erwähnung in aktuellen politischen Debatten fanden Zwitter und damit Betroffene von Genitalverstümmelung in Kinderkliniken in letzter Zeit vor allem durch dritte Interessensgruppen. Abgesehen von wenigen löblichen Ausnahmen (vgl. u.a. die aktuellen Anträge von Studierenden an die Senate der Universitäten in Gießen und Marburg) wurden Betroffene dabei leider einmal mehr bevormundet und benutzt – als Kanonenfutter im "Kampf gegen das Zweigeschlechtersystem" oder für "Schutz von sexuellen Minderheiten vor Diskriminierung", etwa jüngst in politischen Debatten um "Personenstand" und "Sexuelle Identität".
Denn die betreffenden politischen Interessensgruppen richten ihren Blick in der Regel nicht auf die realen, zwangsoperierten Zwitterkörper, sondern auf ein fiktives unversehrtes Ideal, das ihre eigenen Wunschvorstellungen verkörpert. Dabei setzen sie unhinterfragt – und tatsachenwidrig – voraus, dass alle Zwitter auf Grund ihrer quasi "körpergewordenen Aufhebung des Zweigeschlechtersystems" ihre Ziele teilen würden. Und adoptieren "Intersexuelle" ungefragt als eine Unterabteilung ihrer eigenen Gruppe, oder hängen sie als Schlusslicht bei sich hinten an (z.B. "LGBTQI").
Sofern diese dritten Interessensgruppen die Leiden der Betroffenen von Genitalverstümmelungen überhaupt behandeln, propagieren sie als Heilmittel wiederum einzig ihr eigenes Anliegen, z.B. die Abschaffung der Geschlechter, oder benutzen die Verstümmelungen als wissenschaftliches Rohmaterial für Geschlechtertheorien.
Entsprechend mehren sich in letzter Zeit auf Länderebene politische Beschlüsse, in denen vorgeblich etwas zur Verbesserung der Lage "Intersexueller" unternommen werden soll. Tatsächlich wurden aber die täglichen Genitalverstümmelungen vor der eigenen Haustüre entweder glatt geleugnet, z.B. vom Berliner Senat (Drucks. 16/144436) oder in der Bremischen Bürgerschaft (taz, 25.02.2011). Oder die Genitalverstümmelungen werden in konkreten Maßnahmen stillschweigend ausgeklammert, vgl. Hamburgische Bürgerschaft (Drucks. 19/4095).
U.a. 2009 und 2010 wurden "Intersexuelle" auch im Bundestag immer wieder Dutzende Male in offiziellen Dokumenten erwähnt – kein einziges Mal ging es dabei konkret um die Beendigung der täglichen Verstümmelungen.
Umso erfreulicher, dass aktuell an der Justus-Liebig-Universität Gießen und
an der Philipps-Universität Marburg schwul-lesbische Hochschulgruppen
in praktischer Solidarität Anträge an den jeweiligen Senat initiierten,
welche die Anliegen der Betroffenen von kosmetischen Genitaloperationen ins
Zentrum stellen, um künftiges Leid zu verhindern und das bestehende
aufzuarbeiten und auszusöhnen – positive Gegenbeispiele, die Mut machen!
6. Diskussion über gesetzliches Verbot notwendig
Seit 20 Jahren klagen Betroffene den Ärzten und der Öffentlichkeit ihr Leid. Trotzdem operieren die Mediziner stur weiter - sicher im Wissen, dass sie wegen der Verjährungsfristen und der Traumatisierung der Opfer juristisch kaum belangt werden können.
Während Genitalverstümmelungen in Afrika verurteilt und juristisch bekämpft werden, sind die Genitalverstümmelungen in Kinderkliniken vor der eigenen Haustüre nach wie vor kein Thema.
Die Genitalverstümmelungen in den Kinderkliniken müssen so schnell wie
möglich gestoppt werden, "eines der dunkelsten Kapitel der
Medizingeschichte" (Apotheken
Umschau, 01.06.2011) muss beendet und öffentlich aufgearbeitet, das
Unrecht der Medizinversuche muss gesellschaftlich anerkannt und so weit wie
noch möglich
ausgesöhnt werden.
Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org fordert ein Verbot von
kosmetischen Genitaloperationen an Kindern und Jugendlichen sowie
"Menschenrechte auch für Zwitter!".
Betroffene sollen später selber darüber entscheiden, ob sie
Operationen wollen oder nicht, und wenn ja, welche.
Freundliche Grüße
n e l l a
Daniela Truffer
Gründungsmitglied Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org
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Published on Thursday, April 12 2012 by nella