Zwangsgedanken und Zwangshandlungen - verdrängte Gefühle verschwinden nicht
By nella on Thursday, November 15 2007, 22:28 - Trauma, Opferrolle, Befreiung - Permalink
wenn ich bestimmte dinge nicht tue, dann passiert einem menschen, den ich
liebe, etwas schlimmes. deshalb mache ich diese dinge immer wieder und es
kommen immer wieder neue dazu. oft geht es darum, dass ich einen bösen gedanken
habe, was jemanden passieren könnte oder was ich diesem jemanden antun könnte.
wenn ich in so einem moment zum beispiel ein kleidungsstück meines freundes
bügle und zusammenlege, dann muss ich dieses kleidungsstück wieder ausschütteln
und mit zusammenlegen von vorne beginnen, manchmal mehrere male hintereinander,
um das böse, diesen bösen gedanken herauszuschütteln, sonst bleibt er im
kleidungsstück drin und es passiert etwas schlimmes. wenn ich das nicht mache,
weil ich das kleidungsstück nicht nochmals zusammenlegen mag und weil ich
diesen stress nicht mehr will, dann ist das egoistisch und böse, wenn ich dies
nicht auf mich nehme, nämlich das kleidungsstück nochmals auszuschütteln und
mit zusammenlegen von vorn zu beginnen, dann ist das böse, wenn ich durch diese
kleine anstrengung doch das schlimme abwenden kann.
das ganze wird immer extremer, ich denke meistens gar nichts böses, habe keine
zwangsgedanken in dem sinn, bin eigentlich entspannt, aber wenn ich anfange zu
bügeln, dann kommen die gedanken einfach, es ist jetzt also meistens umgekehrt.
zuerst war es der gedanke, den ich beim bügeln hatte, jetzt ist es so, dass der
gedanke erst beim bügeln kommt, damit ich das alles machen muss. und meistens
ist es nicht einmal ein gedanke, sondern ich fange an zu bügeln und dann: wenn
du das jetzt nicht nochmals zusammenlegst, passiert etwas schlimmes. es wird
immer paradoxer und macht sich immer selbständiger. es ist furchtbar
anstrengend, es braucht enorm viel energie und zeit, ich bin jeweils total
erschöpft.
etwas anderes ist der gedanke oder die vorstellung, ich schliesse einen bösen
gedanken, oder jetzt ist es immer wieder jemanden, den ich liebe, irgendwo ein.
wenn ich ein glas öffne, um teigwaren herauszunehmen, dann muss ich dieses
immer wieder auf und zuschrauben, jetzt habe ich angefangen zweimal
hintereinander viermal den deckel so draufzuknallen und dann darf ich das glas
schliessen. dasselbe mit dem olivenöl oder mit dem essig. also manchmal ist es
fast so, dass ich denke, der betreffende mensch ist in dem olivenöl gefangen
oder in dem glas mit den leinsamen. dann kommt noch ein bild dazu aus einem
film, wo ein mensch in einem kornsilo eben, ja, ich will es nicht aussprechen.
auch mit den schränken, wenn ich eine pfanne versorge, muss ich die schiebetüre
mehrmals hin- und herschieben, sonst schliesse ich irgendwas/irgendwen ein, ich
weiss gar nicht mehr, was konkret. auch die pfanne oder einen teller muss ich
zuerst auswischen, es könnte etwas drin sein. beim versorgen der pfannen oder
teller muss ich eine bogenförmige bewegung vollführen, weil wenn ich sie
einfach gerade in den schrank schiebe, bildet diese bewegung mit der leiste des
schranks ein kreuz und das heisst, dass etwas schlimmes passiert.
wenn ich ein messer in die hand nehme oder einen hammer oder das gerät, um erde
zu lockern in den töpfen, stelle ich mir vor, dass ich mit einem dieser geräte
auf meinen hund einschlage, ihn ersteche und erschlage. dann muss ich neinnein
murmeln ganz viele male und dazu den kopf ganz schnell schütteln und stossweise
ein- und ausatmen, um diesen entsetzlichen gedanken zu büssen, zu tilgen, damit
er durch mein leiden, meine mühe wenigstens getilgt ist. immer wenn ich den
tiefkühler öffne, stelle ich mir vor, was da alles platz drin hätte, welche
körperteile. auch da muss ich murmeln, kopfschütteln, ein- und ausatmen. oder
die wassertonne auf der dachterrasse, es kommen einfach immer wieder neue
sachen dazu. wenn ich den deckel auf die wassertonne lege und mir vorstelle,
ich werfe den hund hinein und mache zu und so weiter, was für ein schrecklicher
gedanke, muss ich das wie oben machen, manchmal fast eine minute lang. manchmal
ist es so furchtbar, dieses murmeln, kopfschütteln, ein- und ausatmen und ich
kann nicht mehr aufhören, bis ich etwas weinen muss oder fluchen.
beim abwaschen, auch dort, ist nicht mehr der gedanke schon da, er kommt erst,
wenn ich abwasche. vor kurzem habe ich zum beispiel angefangen abzuwaschen und
habe über etwas nachgedacht, plötzlich merkte ich, dass ich schon ein paar
sachen ohne zwänge abgewaschen hatte. dann setzten die zwänge erst recht wieder
ein, ich musste das doch wieder gutmachen, dass ich da so gedankenverloren
abgewaschen hatte. ich muss also einen teller oder eine tasse mehrmals
abwaschen und dazu den kopf schütteln, stossweise ein- und ausatmen und nein
murren. wenn ich dann endlich fertig bin mit abwaschen, erschöpft und fast am
hyperventilieren, dann kommt das mit dem abwaschtuch auswringen. das auswringen
ist wie eine würgebewegung, ich erwürge jemanden, quetsche, zerdrücke, wenn ich
da an jemanden denke oder einen schlechten gedanken habe, vielleicht einfach
wütend bin auf jemanden, muss ich das tuch wieder ganz nass machen, immer
wieder. aber eigentlich auch hier: der gedanke ist gar nicht mehr da, er kommt
meistens nicht mehr, aber ich muss es jetzt trotzdem machen. jetzt habe ich
eine strategie, ich mache das abwaschtuch nur noch leicht nass, um es wieder
auszuwringen, das kann bis zu fünfmal hintereinander gehen. dazu immer dieses
rasche kopfschütteln.
das ganze macht sich selbständig, ich habe oft gar keine schlechten gedanken,
muss aber fast bei jeder bewegung/handlung stossweise ein- und ausatmen,
zweimal ein und zweimal aus und dazu den kopf schütteln. zum beispiel vorhin,
als ich das geschirrtuch an den haken gehängt habe.
auch wenn ich etwas lese, es gibt wörter, wie tod oder gemetzel oder verbrannt,
was auch immer, muss ich das machen mit dem stossweise ein- und ausatmen, damit
dieses wort, was in diesem wort drin ist, nicht übergreift auf mich oder auf
meine lieben. auch bei todesanzeigen. ich habe jetzt zum beispiel auch mühe,
diese wörter überhaupt zu schreiben.
das frotteetuch muss ich auch immer mehrmals ausschütteln und über die stange
hängen, oder die wäsche, wenn ich sie aufhänge. jemanden aufhängen, über ein
seil legen, baumeln lassen, solche gedanken kommen mir dann, ich muss also das
hemd wieder abhängen und ausschütteln, mehrmals, bis es endlich stimmt. und da
es eben eigentlich gar nie stimmen kann, muss ich es wenigstens mehrmals
machen, etwas leiden, um alles zu tilgen. das heisst es gelingt mir ja nie, den
gedanken wirklich wegzuschieben, ausser ich bewege meine augen ganz schnell,
schaue ganz schnell verschiedene dinge an, um den gedanken zu vertreiben. aber
meistens geht es ja nicht. wenn ich zum beispiel etwas bügle und dabei denke,
ich verbrenne jemanden mit dem bügeleisen, dann schüttle ich das kleidungsstück
aus und beginne von vorne. beim zweiten mal ist der gedanke ja dann nicht weg,
deshalb muss ich es mehrmals machen, um zu tilgen, und dazu dieses
kopfschütteln, stossweise atmen und neinnein murmeln.
wenn ich die haare föne und fertig bin damit, muss ich mich im spiegel
anlächeln. das lächeln muss echt sein, sonst heisst es, dass ich nichts zum
lachen habe, das heisst, dass etwas schlimmes passiert. oder eben auch wieder:
wenn ich jetzt sage, schluss, das mache ich nicht mehr, ich schaue in den
spiegel, wie ich mich gerade fühle, und stelle den fön ab, wann ich will, dann
ist das wieder egoistisch, du forderst das schicksal heraus. einmal wollte ich
das machen, dachte dann aber, nein, jetzt ist mein freund gerade aus dem haus,
ich mache es lieber an einem tag, wenn er da ist. aber auch dann könnte ich es
nicht machen. also lächle ich immer, bis es stimmt, was fast unmöglich ist, und
stelle den fön dann ab. beim wegräumen darf der fön aber zum beispiel nicht auf
den bademantel meines freundes zeigen, sonst muss ich ihn wieder anstellen und
von vorne beginnen. das mit dem lächeln hat sich jetzt auch selbständig
gemacht. im büro mache ich das, wenn ich auf die toilette gehe. ich kann nicht
mehr einfach in den spiegel schauen, müde oder schlecht gelaunt oder einfach
ernst, nein, ich muss das mit dem lächeln machen. neu dazu gekommen ist jetzt,
dass wenn ich mich dabei zu stark auf die augen oder auf die nase oder den mund
konzentriere, dann heisst das: böse gegen das auge, ich verliere das auge, oder
nase ab oder so. nein, nein, gell nicht, das muss ich jetzt schreiben, weil
sonst passiert das wirklich, habe ich das gefühl. völlige scheisse, es ist
unglaublich, es wird immer schlimmer, ich halte es fast nicht mehr aus. jetzt
zucke ich auch wieder mit den halsmuskeln wie früher.
als kind schlug ich mir immer mit dem knöchel des mittelfingers auf die stirn,
wenn ich einen ‚bösen gedanken’ hatte. ich hämmerte immer öfter und immer
stärker, sehr oft so lange, bis mir der kopf wehtat.
Nella, 14. Mai 2003
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