2. Interdisziplinäres Forum zur Intersexualität 30.1. in Hamburg

Kann ein Zwitter Sünde sein?Am 30. Januar 2008 fand am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf UKE in Hamburg das 2. Interdisziplinäre Forum zur Intersexualität (öhm Disorders of Sex Development, DSD) statt. Die Leiterin der Hamburger Forschergruppe Intersexualität, Frau Prof. Dr. Hertha Richter-Appelt, lud zusammen mit ihrem Team zu einem spannenden Nachmittag und Abend im Festsaal des Erikahauses ein. Neben Medizinern waren mehrere prominente Rednerinnen und Redner zu Gast, die sich seit Jahren für das Wohl Zwischengeschlechtlicher einsetzen. Wir freuten uns insbesondere über die Anwesenheit von Milton Diamond, der aus Hawaii angereist war. Auch Betroffene und Angehörige nahmen am Forum teil. Wir waren auch vor Ort und verteilten Flugblätter für die Demo am 6.2. in Köln.


MEDIZIN

Neben Hertha Richter-Appelt, die sich klar und fortschrittlich für die Bedürfnisse von Betroffenen aussprach, schlugen auch Mediziner positive Töne an. Dr. Gernot Sinnecker betonte beispielsweise die Selbstbestimmung Zwischengeschlechtlicher, machte diese jedoch letztendlich von der Akzeptanz der Eltern abhängig. Die Tatsache, dass er bei seinen Ausführungen bevorzugterweise "sollte" statt "muss" verwendete, hinterliess einen - altbekannten - zwiespältigen Eindruck.


RECHT

Die rechtlichen und ethischen Fragestellungen bei geschlechtszuweisenden Operationen im frühen Kindesalter betonte RA Dr. Oliver Tolmein, der bereits Michel Reiter in seinem Kampf um einen optionalen 3. Geschlechtseintrag für Zwischengeschlechtliche unterstützt hatte. Er wies unter anderem (wie auch schon die Moderatorin Konstanze Plett z.B. 2001) einmal mehr darauf hin, dass das Einwilligungsrecht der Eltern für Kastrationen nicht gegeben ist und kritisierte ihr "Bemühen um Normalitätswahrung als verdeckte Motivation" für operative Zwangszuweisungen. Und wies auf die Diskrepanz hin, wenn Ärzte vor Gericht als Experten aussagen, obwohl ein anderer Arzt angeklagt wird wie z.B. im von Christiane Völling angestrengten "Zwitterprozess".


BETROFFENE

Die zwischengeschlechtliche Claudia Kreuzer zeigte eindrücklich auf, mit welchen gesundheitlichen Problemen Zwischengeschlechtliche aufgrund psychischer Traumatisierung, Kastration und contrachromosaler Hormonersatztherapie leben müssen.

Und welche Steine ihnen zusätzlich in den Weg gelegt werden, wenn sie beispielsweise eine Lebensversicherung abschliessen wollen:



MILTON DIAMOND



Bewegender Höhepunkt der Veranstaltung bildete die Auszeichnung Milton Diamonds durch den Verein Intersexuelle Menschen e.V. für sein Jahrzehnte langes Engagement zum Wohle Zwischengeschlechtlicher. >>> mehr dazu hier


Milton Diamond referierte anschliessend über seine von Menschlichkeit und Respekt geprägte Arbeit. Im Gegensatz zu den Referaten von Dr. Sinnecker und Dr. Holterhus trugen die von Milton Diamond mit ihrer Zustimmung fotografierten Individuen keinen schwarzen Balken über den Augen, sondern schauten als würdevolle Menschen in die Kamera.
Diamond erwähnte auch Christiane Völling und ihren Prozess als bedeutendes Ereignis für die zwischengeschlechtlichen Menschen in Europa.

Diamond plädierte für eine Umbenennung von DSD in "Variations of Sex Development (VSD)" und schloss mit den Worten: "Nature loves variety but society hates it. Cherish diversity!"


Die Zeit, die für die abschliessende Podiumsdiskussion übrig blieb, war leider knapp und reichte für ein kurzes Statement zu den zwei wichtigsten Punkten betreffend Behandlung Zwischengeschlechtlicher durch jede Referentin und jeden Referenten. Die Mutter eines vierzehnjährigen zwischengeschlechtlichen Menschen hielt eine bewegende Rede, die leider zeigte, dass Ärzte immer noch Eltern ein "Reden Sie mit niemandem darüber!" mit auf den Weg geben.

"Wir sitzen alle im selben Boot", meinte Hertha Richter-Appelt am Ende der Veranstaltung. "Wir aber sind angekettet", so der lapidare Kommentar einer Geschlechtsgenossin. Die geäusserten Überlegungen lassen zwar auf ein Umdenken hoffen. Dass beispielsweise auf eine Kritik an contrachromosomalen Hormonersatztherapien nicht eingegangen wird, obwohl z.B. AIS-Betroffene fast ausnahmslos von einer Verbesserung ihres Befindens nach Umstellung auf Testosteron oder eine Mischung aus Testosteron und Östrogen berichten, zeigt jedoch: Es ist noch ein weiter Weg, bis wirklich nachhaltige Veränderungen in der Behandlung zwischengeschlechtlicher Menschen Realität werden. So weigern sich z.B. Ärzte und Kassen meist nach wie vor, korrekte Rezepte für nicht-contrachromosomale Hormonersatztherapien auszustellen bzw. die Kosten dafür zu übernehmen.

Christiane Völlings Kampf um Gerechtigkeit am 6.2. vor dem Landgericht Köln ist ein erster Schritt in diese Richtung ...



nachtrag: Zeitungsartikel mit Ankündigung des Forums im Hamburger Abendblatt v. 28.01.08:

Was tun, wenn Menschen Merkmale beider Geschlechter haben?