2. Interdisziplinäres Forum zur Intersexualität 30.1. in Hamburg
By nella on Sunday, February 3 2008, 23:31 - Die Mediziner - Permalink
Am
30. Januar 2008 fand am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf UKE in Hamburg
das 2. Interdisziplinäre Forum zur Intersexualität (öhm Disorders of Sex
Development, DSD) statt. Die Leiterin der Hamburger Forschergruppe
Intersexualität, Frau Prof. Dr. Hertha Richter-Appelt, lud zusammen mit ihrem
Team zu einem spannenden Nachmittag und Abend im Festsaal des Erikahauses ein.
Neben Medizinern waren mehrere prominente Rednerinnen und Redner zu Gast, die
sich seit Jahren für das Wohl Zwischengeschlechtlicher einsetzen. Wir freuten
uns insbesondere über die Anwesenheit von Milton Diamond, der aus Hawaii
angereist war. Auch Betroffene und Angehörige nahmen am Forum teil. Wir waren
auch vor Ort und verteilten Flugblätter für die Demo am
6.2. in Köln.
MEDIZIN
Neben Hertha Richter-Appelt, die sich klar und fortschrittlich für die
Bedürfnisse von Betroffenen aussprach, schlugen auch Mediziner positive Töne
an. Dr. Gernot Sinnecker betonte beispielsweise die Selbstbestimmung
Zwischengeschlechtlicher, machte diese jedoch letztendlich von der Akzeptanz
der Eltern abhängig. Die Tatsache, dass er bei seinen Ausführungen
bevorzugterweise "sollte" statt "muss" verwendete, hinterliess einen -
altbekannten - zwiespältigen Eindruck.
RECHT
Die rechtlichen und ethischen Fragestellungen bei geschlechtszuweisenden
Operationen im frühen Kindesalter betonte RA
Dr. Oliver Tolmein, der bereits Michel Reiter in
seinem Kampf um einen optionalen 3.
Geschlechtseintrag für Zwischengeschlechtliche unterstützt hatte. Er wies
unter anderem (wie auch schon die Moderatorin Konstanze Plett z.B. 2001) einmal
mehr darauf hin, dass das Einwilligungsrecht der Eltern für Kastrationen nicht
gegeben ist und kritisierte ihr "Bemühen um Normalitätswahrung als verdeckte
Motivation" für operative Zwangszuweisungen. Und wies auf die Diskrepanz hin,
wenn Ärzte vor Gericht als Experten aussagen, obwohl ein anderer Arzt angeklagt
wird wie z.B. im von Christiane Völling angestrengten
"Zwitterprozess".
BETROFFENE
Die zwischengeschlechtliche Claudia Kreuzer zeigte eindrücklich auf, mit
welchen gesundheitlichen Problemen Zwischengeschlechtliche aufgrund psychischer
Traumatisierung, Kastration und contrachromosaler Hormonersatztherapie leben
müssen.
Und welche Steine ihnen zusätzlich in den Weg gelegt werden, wenn sie
beispielsweise eine Lebensversicherung abschliessen wollen:
MILTON DIAMOND
Bewegender Höhepunkt der Veranstaltung bildete die Auszeichnung Milton Diamonds
durch den Verein Intersexuelle Menschen e.V. für sein Jahrzehnte langes
Engagement zum Wohle Zwischengeschlechtlicher. >>>
mehr dazu hier
Milton Diamond referierte anschliessend über seine von Menschlichkeit und
Respekt geprägte Arbeit. Im Gegensatz zu den Referaten von Dr. Sinnecker und
Dr. Holterhus trugen die von Milton Diamond mit ihrer Zustimmung fotografierten
Individuen keinen schwarzen Balken über den Augen, sondern schauten als
würdevolle Menschen in die Kamera.
Diamond erwähnte auch Christiane Völling und ihren Prozess als bedeutendes
Ereignis für die zwischengeschlechtlichen Menschen in Europa.
Diamond plädierte für eine Umbenennung von DSD in "Variations of Sex
Development (VSD)" und schloss mit den Worten: "Nature loves variety but
society hates it. Cherish diversity!"
Die Zeit, die für die abschliessende Podiumsdiskussion übrig blieb, war leider
knapp und reichte für ein kurzes Statement zu den zwei wichtigsten Punkten
betreffend Behandlung Zwischengeschlechtlicher durch jede Referentin und jeden
Referenten. Die Mutter eines vierzehnjährigen zwischengeschlechtlichen Menschen
hielt eine bewegende Rede, die leider zeigte, dass Ärzte immer noch Eltern ein
"Reden Sie mit niemandem darüber!" mit auf den Weg geben.
"Wir sitzen alle im selben Boot", meinte Hertha Richter-Appelt am Ende der
Veranstaltung. "Wir aber sind angekettet", so der lapidare Kommentar einer
Geschlechtsgenossin. Die geäusserten Überlegungen lassen zwar auf ein Umdenken
hoffen. Dass beispielsweise auf eine Kritik an contrachromosomalen
Hormonersatztherapien nicht eingegangen wird, obwohl z.B. AIS-Betroffene fast
ausnahmslos von einer Verbesserung ihres Befindens nach Umstellung auf
Testosteron oder eine Mischung aus Testosteron und Östrogen berichten, zeigt
jedoch: Es ist noch ein weiter Weg, bis wirklich nachhaltige Veränderungen in
der Behandlung zwischengeschlechtlicher Menschen Realität werden. So weigern
sich z.B. Ärzte und Kassen meist nach wie vor, korrekte Rezepte für
nicht-contrachromosomale Hormonersatztherapien auszustellen bzw. die Kosten
dafür zu übernehmen.
Christiane Völlings Kampf um Gerechtigkeit am 6.2. vor dem Landgericht
Köln ist ein erster Schritt in diese Richtung ...
nachtrag: Zeitungsartikel mit Ankündigung des Forums im
Hamburger Abendblatt v. 28.01.08:
Was tun, wenn
Menschen Merkmale beider Geschlechter haben?