Lübeck: Doch psychologische Versorgung auch 2009?

Im 2. Teil des Berichts zur Netzwerktagung RECHTE VON KINDERN IN MEDIZIN UND FORSCHUNG vom Freitag 10.10.08 in Göttingen hatte ich folgendes geschrieben:

Die grösste Bombe der Abschlussrunde liess jedoch Eva Kleinemeier so nebenbei platzen: Nach Einstellung der Bundesförderung für das Netzwerk steht in Lübeck ab 2009 keine psychologische Beratung für Eltern und junge Zwischengeschlechtliche mehr zur Verfügung! (Wohlbemerkt dasselbe Netzwerk, das immer wieder behauptet, psychologische Betreuung sei im Rahmen des Netzwerks selbstverständlich und in Lübeck würden PsychologInnen "Bereits in ersten Diagnosegesprächen" beigezogen! Obwohl -- neben Peer Support -- psychologische Betreuung nebst von EthikerInnen auch von sämtlichen Selbsthilfegruppen seit Jahrzehnten als unabdingbar gefordert werden -- eine zentrale Forderung z.B. auch der bestimmt nicht als ärztefeindlich einzustufenden AGS-Eltern- und Patientenitiative seit 1992! Weiterer Kommentar wohl überflüssig ...)

Dazu erreichte mich inzwischen folgendes Statement von Eva Kleinemeier. Darin führt sie u.a. aus:

Momentan wird die psychologische Versorgung von zwei Netzwerkmitarbeiterinnen (meine Kollegin und ich) gewährleistet. Wir beiden haben keine Planstellen, sondern werden über die Klinische Studie im Netzwerk finanziert. Neben unseren Forschungsaufgaben (für die wir v.a. im Rahmen des Netzwerks finanziert werden, betreuen wir seit vielen Jahren auch Menschen, die in die DSD-Sprechstunde kommen. Unsere Stellen laufen Mitte 2009 (das hatte ich auch erwähnt) aus. Das heißt, momentan ist nicht gesichert, wer und wie die psychologische Versorgung aussehen wird, da es dafür momentan keine Gelder gibt. Auch das Netzwerk (in dem viele unterschiedliche Menschen Mitglied sind) wird dann kein Geld mehr dafür haben. Nichtsdestotrotz sind wir dabei Ideen zu entwickeln, wie wir die psychologische Versorgung hier fest etablieren können, auch ohne Fördergelder aus dem Netzwerk. In Lübeck gibt es eine kinder-und jugendpsychosomat. Abteilung, deren MitarbeiterInnen diese Aufgaben dann mit übernehmen würden! Die momentan Verantwortlichen im Netzwerk bemühen sich  in Lübeck, eine weitere gute psychologische Betreuung zu gewährleisten und werden an vielen (v.a. finanziellen) Schranken aufgehalten.

Grundsätzlich ist dies nicht allein die Schuld des Netzwerks, sondern des Gesundheitssystems insgesamt, da psychologischer Versorgung immer eine geringere Bedeutung zugemessen als medizinischer wird und Kliniken/Krankenkassen in diesem Bereich als erstes sparen! Das finde ich sehr problematisch und kann Ihnen nur zustimmen. Mir geht es v.a. darum darauf aufmerksam zu machen, dass alle Seiten in dem Bereich sich für den Erhalt und v.a. den Aufbau (in den meisten Einrichtungen gibt es das nämlich gar nicht) von psychologischer Betreuung bei DSD einsetzen müssen. Meines Erachtens müsste es auch fachliche Schulungen für psychologische, pflegerische und medizinische MitarbeiterInnen geben (auch daran arbeiten wir gerade).

Mein Kommentar: Ich glaube, ich spreche nicht nur für mich, wenn ich sage, dass ich mich sehr freue, dass z.Zt. in Lübeck Anstrengungen unternommen werden, die psychologische Versorgung allen Widrigkeiten zum Trotz auch künftig zu gewährleisten! Umso mehr, wenn daraus endlich eine ordentliche, feste Institution würde! Es war nicht meine Absicht, diesen Goodwill nicht zu würdigen oder herunterzumachen. Trotzdem bleiben für mich persönlich eine Menge Fragen, z.B.:
  • Wenn dem Netzwerk im Allgemeinen und Lübeck im Besonderen die von den betroffenen Menschen seit langem geforderte selbstverständliche & flächendeckende psychologische Versorgung ebenso wichtig ist, warum wird sie dann nicht offensiver gefordert?
  • Zu einer ordnungsgemässen psychologischen Versorgung gehörten m.E. selbstverständlich Planstellen in allen Kliniken / Kompetenzzentren. "Kreative Lösungen" wie z.B. das "Zweckentfremden" von Forschungsstellen zur psychologischen Betreuung sind bestimmt eine bessere Notlösung als gar keine Betreuung (was ich auch entsprechend hoch anrechnen möchte), zeigen aber letzlich bloss einmal mehr, wie prekär die Situation auch nach X Jahren Netzwerk nach wie vor ist, ohne dass ich diesbezüglich vom Netzwerk gross die Forderung vernehme, hier müsse sich endlich prinzipiell was ändern?! Oder habe ich etwas verpasst? Stattdessen wird meines Wissens nach wie verlinkt vollmundig behauptet, die psychologische Versorgung sei z.B. in Lübeck schon gewährleistet, und zwar auf eine Art und Weise, dass mensch annehmen muss, es handle sich dabei um eine reguläre und planmässige Versorgung.
  • Am diesjährigen Netzwerktreffen monierte z.B. die Vertreterin der AGS-Selbsthilfe wohl nicht zum ersten Mal, psychologische Betreuung sei "nach wie vor die Ausnahme und nicht die Regel". Gibt von Seiten des Netzwerks nur schon z.B. eine Übersicht, wo überhaupt reguläre psychologische Beratung angeboten wird (d.h. ordentliche Feststellen)? Und wo dies nicht der Fall ist, was für Bestrebungen im Gang sind, dies zu ändern?
Hervorheben möchte ich auch den von Eva Kleinemeier angesprochenen Punkt der mangelnden (bzw. wohl ziemlich nichtexistenten) Schulung. Aufnahme von "Intersexualität" in die Lehrpläne der angesprochenen Ausbildungen ist bekanntlich auch ein zentraler Punkt im Forderungskatalog von Intersexuelle Menschen e.V. Natürlich werden an sowas nicht alle klinisch Beteiligten bloss ihre Freude haben. M.E. erschöpft sich das Interesse der Mediziner-Zunft an Psychologie allzuoft schnell einmal darin, möglichst rasch eine "Geschlechtsidentität" prognostiziert zu bekommen, um dann so "genderoptimiert" und psychologisch abgesegnet möglichst unbehelligt weiter zwangsoperieren zu können. 

Reguläre, adäquate und funktionierende psychologische Versorgung (wie auch Peer Support!) sowohl für betroffene Menschen wie auch für betroffene Eltern sind  Grundvoraussetzungen, um die unsäglichen und menschenrechtswidrigen genitalen Zwangsoperationen endlich zu überwinden, sprich Zwittern endlich das Recht auf körperliche Unversehrtheit rsp. auf informierte Einwilligung zuzugestehen! Nicht umsonst ist Gewährleistung von psychologischer Versorgung (ebenso wie Peer Support!) auch im Forderungskatalog von Intersexuelle Menschen e.V. ebenfalls eine zentrale Forderung. Wann wird sie endlich erfüllt?