GPGF Basel 10.-12.09.09: Stop Vereinnahmung des Zwittersymbols im Namen von "Gender" und "Psychiatrie"!

Wem gehört das Zwittersymbol?"Nature vs. Nurture" hat für Zwitter einen besonders bitteren Geschmack: Schliesslich wurde und wird dieser "theoretisch-akademische Diskurs" seit Jahrzehnten und bis auf den heutigen Tag buchstäblich an ihren zwangsoperierten Körpern ausgetragen.

Demnächst einmal mehr am "9. Kongress der interdisziplinären Gesellschaft für die psychische Gesundheit von Frauen und Genderfragen (GPGF)", heuer unter dem Motto "Gender – Psyche – Lebensphasen", dessen Eröffnungstag ganz dem Thema gewidmet ist: "Geschlechtsidentität: nature oder nurture?" Darin zentral platziert ein Referat von Hertha Richter-Appelt (--> "Hamburger Studie") mit dem Titel "Geschlechtidentität bei XY-Frauen und XX-Männern" (>>> Programm).

Fazit: Einmal mehr dürfen somit Daten, gewonnen aus dem "Rohmaterial" genital zwangsoperierter Zwitter, dazu mithelfen, dass der akademische Wissensstand über "Gender" sich auf bisher unerreichte neue Höhen aufschwingt. Halleluia!

Na, und? Ist doch Klasse! Warum bloss regen sich diese undankbaren Kampfzwitter eigentlich so darüber auf? Schliesslich helfen wir ihnen doch, oder?

Und was soll eigentlich dieses ewige Theater um deren ihr angebliches "Zwittersymbol"?
Was soll da unser schönes GPGF-Logo mit zu tun haben, und was, bitte, ist eigentlich "Vereinnahmung"? Hä?

GPGF: Vereinnahmung des Zwittersymbols im Namen von 'Gender' und 'Psychiatrie'!Ok, nach näherer Betrachtung des Logos der "interdisziplinären Gesellschaft für die psychische Gesundheit von Frauen und Genderfragen (GPGF)",
ganz ruhig nochmals von vorn:

Die Auseinandersetzung mit dem Zwittersymbol und dessen Verwendung mag vielleicht auf den ersten Blick übertrieben scheinen. Für uns Betroffene ist sie jedoch wichtig.

Die öffentliche Wahrnehmung unserer Belange ist dürftig. Vermischungen mit und durch Transgender und Transsexuelle, die zwangsoperierten Zwittern nicht gerecht werden, sind an der Tagesordnung. Für uns Betroffene ist es sehr wichtig, dass dies sich bessert. Denn Sprache, auch Zeichensprache, schafft Fakten. Dies gilt insbesondere für den Bedeutungsgehalt von Symbolen.

Unser Dasein wird regelmässig auf die Genderfrage reduziert, massive Menschenrechtsverletzungen, operative und hormonelle Zwangseingriffe werden dabei ausgeblendet. Oder höchstens dazu benutzt, um die Aufmerksamkeit auf die spezifischen Anliegen von Gender Studies, Transgender-, Queer- und LGBT-Diskursen zu lenken, obwohl die eigentliche Problematik aus Sicht der betroffenen Menschen in erster Linie in den menschenrechtswidrigen genitalen Zwangsoperationen liegt.

Was 99% der Zwitter erlebt haben, ist verwandt mit sexuellem Missbrauch, ist verwandt mit Mädchenbeschneidungen in Afrika, ist verwandt mit Folter, ist verwandt mit den medizinischen Experimenten, die im 2. Weltkrieg in KZ‘s durchgeführt wurden.

Wer unser Dasein und unser Symbol auf eine Gender- / Identitäsproblematik und entsprechende Diskurse reduziert und so für seine/ihre eigenen Anliegen instrumentalisiert, trägt dazu bei, dass wir und unsere berechtigten Anliegen in dieser Gesellschaft weiterhin unsichtbar bleiben und die menschenrechtswidrige Praxis der Zwangsoperationen an Zwittern weiterhin andauert.

Um dies zu ändern bitten wir um eure Mithilfe. Danke!

>>> vollständiges Statement 4.5.08 

Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen ...

Wieviele Teilnehmende des 9. GPGF-Kongresses werden es sich zu Herzen nehmen?

Vgl. auch:

>>
Gabriele Dietze:
"The Cutting Edge of Gender Studies. Die Geburt der Kategorie Gender aus dem Geist des Skalpells."

a.k.a "Schnittpunkte. Gender Studies und Hermaphroditismus."
In: Dietze / Hark (Hg.): "Gender kontrovers. Genealogie und Grenzen einer Kategorie." Königstein/Taunus: Ulrike Helmer Verlag, 2006, S. 46-68.

>>
Emi Koyama / Lisa Weasel:
"Von der sozialen Konstruktion zu sozialer Gerechtigkeit. Wie wir unsere Lehre zu Intersex verändern."

In: Die Philosophin. Forum für feministische Theorie und Philosophie. 14. Jahrgang, Heft 28, Dezember 2003: "Intersex und Geschlechterstudien". Tübingen: Edition Diskord, 2003, S. 79-89.

>>> Diskussion im Hermaphroditforum

Nachtrag: Aus Gender Studies und Zwitterkampf 

  • Du grenzt dich auch von den Gender Studies ab – was kritisierst du? Siehst du auch gemeinsames Potential von wissenschaftlicher Auseinandersetzung (z.B. die Dissertation von Kathrin Zehnder) und Intersex-Bewegung? Hast du Wünsche an die Geschlechterforschung (z.B. an der Universität Basel)?

Die meisten Zwitter haben erstmal keine Probleme mit Gender und Identität, sondern mit massiven Menschenrechtsverletzungen durch genitale Zwangsoperationen und sonstige nicht-eingewilligte Zwangseingriffe, die in ihren Auswirkungen vergleichbar sind mit denen von Folter und sexuellem Kindesmissbrauch, was aber bei Gender Studies regelmässig unter den Tisch fällt. Gender Studies haben deshalb bei Zwittern den in der Regel verdient schlechten Ruf, dass sie Zwitter lediglich als Kanonenfutter und Versuchskaninchen missbrauchen zum Aufzeigen der Konstruiertheit von Geschlecht etc., sprich für ihren eigenen Forschungsgegenstand, wobei in der Regel die konkreten Schicksale und Lebensbedingungen und politischen Kämpfe der Zwitter ebenso  ausgeblendet werden wie ethische und menschrechtliche Aspekte. Es gibt nur sehr wenige ExponentInnen der Gender Studies, die den Kampf der Zwitter (auch) konkret unterstützen, obwohl da wohl ein grosses Potential bestünde. Kathrin Zehnders Engagement ist leider die Ausnahme und nicht die Regel. Obwohl diesbezügliche konkrete Forderungen von Zwittern seit Jahren bestehen, vgl. z.B.:
Emi Koyama / Lisa Weasel: "Von der sozialen Konstruktion zu sozialer Gerechtigkeit. Wie wir unsere Lehre zu Intersex verändern." In: Die Philosophin Nr. 28, Tübingen: Edition Diskord, 2003, S. 79-89.
Weitere Forderungen an die Gender Studies sind die Aufarbeitung der eigenen Geschichte: Feminismus und Gender Studies sind wesentlich von genau den Theorien John Moneys geprägt, die den Zwittern soviel Leid brachten und immer noch bringen. Hier ist eine kritische Aufarbeitung nach wie vor ausstehend, vgl. auch "Die Rede von der psychischen Intersexualität": https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2007/12/11/Die-Rede-von-der-psychischen-Intersexualitat, sowie:
Gabriele Dietze: "The Cutting Edge of Gender Studies. Die Geburt der Kategorie Gender aus dem Geist des Skalpells."  a.k.a "Schnittpunkte. Gender Studies und Hermaphroditismus." In: Dietze / Hark (Hg.): "Gender kontrovers. Genealogie und Grenzen einer Kategorie." Königstein/Taunus: Ulrike Helmer Verlag, 2006, S. 46-68.

Auch in Basel werden genitale Zwangsoperationen an Zwittern durchgeführt und in wissenschaftlichen Werken und Institutionen propagiert. Wie wär's mal (auch) mit öffentlicher Denunziation dieser menschenrechtswidrigen Praktiken und mit praktischen politischen Vorstössen (z.B. kleine Anfragen bei den politisch verantwortlichen Stellen) oder konkreten Aktionen vor Ort statt immer nur Genderdebatten?

Comments

1. On Wednesday, August 19 2009, 03:13 by seelenlos

Nachfolgend dokumentiere ich die offizielle Ankündigung (aus dem Programmdownload):

GPGF: Vereinnahmung des Zwittersymbols im Namen von 'Gender' und 'Psychiatrie'!9. Kongress der interdiziplinären Gesellschaft für die psychische Gesundheit von Frauen und Genderfragen (GPGF)

>>> GPGF-Homepage

Eröffnungssymposium: Geschlechtsidentität – nature oder nurture?

Donnerstag 10.9.2009, Kollegiengebäude Universität Basel, Petersplatz 1

14.00 – 15.45 Teil I

• Prof. Dr. Doris Bischof-Köhler, München
 Frauen: von Natur aus anders?

• Prof. Dr. Klaus Schmeck, Basel
 Geschlechtsunterschiede beim Temperament

• Dr. Stefan Borgwardt, Basel
 Geschlechtsunterschiede im Gehirn und zentrale Effekte der Östrogene

15.45 – 16.15 Pause

16.15 – 17.15 Teil II

• Prof. Dr. Hertha Richter-Appelt, Hamburg
 Geschlechtidentität bei XY-Frauen und XX-Männern
• Prof. Dr. Martin Dannecker, Berlin
 Geschlechtsidentität aus sexualtherapeutischer Sicht 


17.15 – 18.00 Podiumsdiskussion: Geschlechtsidentität – nature oder nurture?

• Teilnahme: alle ReferentenInnen und Prof. Dr. Anita Riecher (Moderation)

2. On Thursday, August 20 2009, 17:58 by Palmist

Erst einmal danke für die Arbeit und den Kampf, der in diesem Blog geführt wird. Die Entrüstung um die "Vereinnahmung" des Zwittersymbols finde ich aber etwas problematisch. Die Zeichen für männlich und weiblich stellen ja Schild und Speer des Mars bzw. den Handspiegel der Venus dar, sind also Symbole für Gender und nicht für körperliches Geschlecht. Beim Zwittersymbol als Kombination der beiden drängt sich also Vereinnahmung durch Genderthemen fast auf. Es ist völlig unglücklich gewählt, weil es nicht das darstellt, wofür es stehen soll. Vielleicht wäre es klüger, ein neues Symbol zu kreieren, das nicht so vorbelastet ist. (Ja, ich weiss, das Symbol hat mittlerweile auch als Intersex-Symbol eine Geschichte und Tradition, das wirft man nicht so leicht über Bord.) Aber solange es keine sinnvolle Alternative gibt, ist die Intersex-Bewegung dazu gezwungen, einen sinnlosen Abnützungskampf um das Symbol zu führen. Schade! Die Energie wäre an anderen Orten besser investiert.

Lg Palmist

3. On Thursday, August 20 2009, 23:51 by seelenlos

hallo palmist, danke für die aufmunternden worte!

betreffend des zwittersymbols, auch wenn sich, wie du schreibst, "Vereinnahmung durch Genderthemen fast auf[drängt]", ist sie meiner meinung nach deshalb noch lange nicht gerechtfertigt.

deiner logik, dass das zwittersymbol zuerst ein "Symbol für Gender" gewesen sei, kann ich nicht folgen: im gegenteil erfolgt seine verwendung in der zwitterbewegung entsprechend dem traditionellen gebrauch in biologie, botanik usw.

meinst du demzufolge ernsthaft, in all diesen disziplinen müsste nun auch überall zuerst ein "neues Symbol [...] kreier[t]" werden? dito für die frauenbewegung? und die lesben- und schwulenbewegung? kann ich mir ehrlich gesagt nicht so ganz vorstellen ...

zudem denke ich, dass der kampf um das zwittersymbol für die zwitter nur gute aussichten auf erfolg hat, und so nebenbei erst noch helfen wird, das bewusstsein für zwitter und ihren kampf gegen zwangseingriffe weiter zu heben – was es unbedingt braucht, um die medizyner endlich vom zwangsoperieren abhalten zu können!