Schwullesbisches Filmfestival "Pink Apple" missbraucht Zwittersymbol
By nella on Monday, April 14 2008, 07:28 - Die Medien - Permalink
Vor zwei Monaten wurde ich von einer der VeranstalterInnen des 11. Schwullesbischen Filmfestivals PINK APPLE in Zürich zu einer Diskussionsrunde zu Melanie Jilgs Film "Die Katze wäre eher ein Vogel" eingeladen (So 04.05. 18:30h Kino Movie). Im Film werden mehrere Zwischengeschlechtliche portraitiert, die ich persönlich kenne, der Film ist seit langem hier in der Blogroll verlinkt.
Neben der Regisseurin und einer Person aus dem Film würde man sich auch über "jemanden aus der Intersexcomunity der Schweiz" freuen, so die VeranstalterInnen. Kontext der Diskussion ("maximal 1/2 Std.") sei das "Thema der Intersexualität und deren Problematik in unserer engen rechtlichen Struktur" ...
In meiner Antwort-Mail kritisierte ich eine Praxis, die mir schon 2006
unangenehm aufgefallen war, als "Tintenfischalarm" mit Alex Jürgen in Zürich lief: Im Programm werden
seit 2004 Filme
jeweils mit "Geschlechtssymbolen" markiert. Dabei wird einmal mehr frech unser
Zwittersymbol von LGBTs instrumentalisiert,
wobei der Missbrauch zahlenmässig jedes Jahr zunimmt. Schaut mensch sich etwas
im Programm um, kommt das Zwittersymbol in folgenden Konstellationen vor:
Beyond Vanilla zeigt und erklärt die harten Seiten der Sexualität. Interviews und handfeste «How-to-do»-Instruktionen führen den Zuschauer in die weite, fantasievolle Welt von Fetisch und S/M.
A Different War (Milhama a'heret) Die Rolle von König David wird beim Schultheater mit Noni besetzt – doch dieser würde viel lieber die Prinzessin spielen.
Paper Dolls – Bubot Niyar fünf transsexuelle Philippinos, welche in der Betreuung von betagten jüdischen Senioren Einsatz finden.
Boy I Am Frau-zu-Mann-Umwandlungen erleben in den USA zurzeit einen richtiggehenden Boom.
Working on it ein Film über Geschlecht und Identität [nicht schon wieder ...] queere Strategien im weiten Feld sexueller Politiken
Queer Sisters in the Brotherhood Eine kleine Hommage an die Handwerkerlesben
'Schwullesbische Zwitterfilme'
Gay ... et après? Willkommen im Zeitalter der Post-Gay-Bewegung!
Be like others Patientinnen und Patienten einer Umwandlungsklinik in Teheran
Out im Kino Mit ihrem lesbisch-schwulen Filmlexikon «Out im Kino» haben Manuela Kay und Axel Schock ein für Europa einmaliges Nachschlagewerk geschaffen.
'Zwittrige Zwitterfilme' bzw. 'Nur Zwitterfilme'
Football under Cover Freundschaftsspiel zwischen der iranischen Frauen-Nationalmannschaft und dem Berliner Frauenbezirksteam Al-Dersimspor
F Scott Fitzgerald Slept Here Paul ist ein Transmann, der die Grenzen seines neuen Geschlechts auslotet wie andere den Tacho ihres neuen Autos.
Offerte Speciali Eine transsexuelle Kundin findet im Früchteregal etwas, das ihre kühnsten Vorstellungen übertrifft.
Auf meine Kritik an diesem Missbrauch wurde gerade mal mit einem ausweichenden Satz am Schluss der Mail reagiert:
Die Diskussion welche Zeichen welche Gender bezeichnen, wäre ja dann vielleicht eine die an diesem Filmabend geführt werden könnte....
Zugleich wurde versichert:
Dabei ist es uns sehr wohl bewusst dass, Transsexualität und Intersexualität nicht die gleiche Sache ist, wir haben in unserer Programmation auch immer sehr darauf geachtet diese 2 Themen nicht zu vermischen.
Na, klar, keine Vermischung – siehe die Beispiele oben ... – und noch dazu als Vorfilm zu Die Katze wäre eher ein Vogel ein weiterer 'Lesbischer Zwitterfilm' , der einmal mehr mit Zwittern nix zu tun hat? Vielen Dank auch!
Und meine Bitte, "dieses Zeichen in Zukunft nur noch für Filme über Zwitter/Hermaphroditen/'Intersexuelle' zu verwenden", wurde natürlich ignoriert, wie das mittlerweile online gegangene Programm 2008 beweist.
Liebe Leute von Pink Apple!
Ihr habt dieses Jahr am 4. Mai in Zürich mit den
Beiträgen
Die Katze wäre eher ein Vogel Vier intersexuelle Menschen erzählen von ihren Erfahrungen.
XXY [Sorry, "Thema Zweigeschlechtlichkeit"??? Und der "befreundete Chirurg" war einfach so "zu Besuch"??? Wart ihr im richtigen Film?]
gleich zwei 'Zwitterfilme' im Programm, die von vielen Zwischengeschlechtlichen geschätzt und begrüsst werden. Dies ist für uns ein Grund zu grosser Freude und dafür möchte ich mich herzlich bei euch bedanken!
Wenig Grund zur Freude ist hingegen die missverständliche Verwendung
des Zwittersymbols in
euren Programmen als Kennzeichnung für eine Reihe von weiteren Filmen,
die klar keine 'Zwitterfilme' sind (siehe oben).
Möglicherweise liegt dem eine Verwechslung der Begriffe
"Intersexualität" und "Transgender" bzw. der dazugehörigen Symbole zu
Grunde?
http://de.wikipedia.org/wiki/Intersexualit%C3%A4t
http://de.wikipedia.org/wiki/Transgender
Leider stiessen meine bisherigen Hinweise auf diese Problematik per
Mail auf wenig Echo. Deshalb möchte ich euch auf diesem Wege freundlich bitten,
die Verwendung der "Gendersymbole" in euren Programmen zu
überprüfen.
Das Zwittersymbol® (biologisches Symbol für Zwitter) gehört den Zwischengeschlechtlichen / Zwittern / Hermaphroditen / "Intersexuellen"!
Wenn ihr es für "Transgender" annektiert mit der Begründung, "unter diesem Begriff das Thema Gender und Geschlecht in seinen diversen Erscheinungen thematisieren und sehr offen behandeln" zu wollen, reiht ihr euch ein in die lange Tradition der Zwitter-Instrumentalisierung und trägt aktiv zur Unsichtbarmachung von Zwittern bei, die das Leben der Betroffenen nachhaltig negativ beeinflusst.
Zwischengeschlechtlich geborene Menschen müssen sich nicht nur mit der Problematik auseinandersetzen, dass ein Zweigeschlechtssystem ihre geschlechtlich uneindeutigen Körper nicht gelten lässt und mittels Skalpell der Norm anpasst. Sie werden zusätzlich mit der Tatsache konfrontiert, dass homosexuelle und transsexuelle Bewegungen sowie die feministische Frauenbewegung ihre geschlechtlich uneindeutigen Körper oft als Mittel zum Zweck für eigene Interessen verwenden.In der öffentlichen Wahrnehmung sind zwischengeschlechtlich geborene Menschen längst im (Trans-)Gender-Diskurs untergegangen. Das Zwittersymbol wird missbraucht, zu einem beliebig anwendbaren Abzeichen degradiert – je nach momentaner Genderattitüde oder Geschlechtslaune. Oder kann mir jemand sagen, was (zwangsoperierte) Zwitter mit Fussball spielenden Frauen oder sehnsüchtig wartenden Männern in "Umwandlungskliniken" gemeinsam haben?
Wir appellieren an eure Solidarität!
Nella
--> Dokumentation meiner Korrespondenz mit "Pink Apple"
Fortsetzung:
>>
2. Offener Brief an "Pink Apple"
>>
Zwittersymbol-Klau: "Pink Apple" verweigert Dialog und lädt Betroffene von
"Diskussion" aus ...
>>
"Pink Apple" - unser Statement und Flyer zur Filmvorführung am
4.5.2008
>>
Zwittersymbol: Pink Apple lenkt ein
Siehe auch:
- Instrumentalisierung von Zwittern: Kritik aus 2002 (>> "Kolonialisierungskaskaden")
- Einmal mehr: Kölner Frauenfilmfestival setzt "intersexuell" = transsexuell
- Helma Katrin Alter – transsexuell oder intersexuell?
- Etwas Solidarität mit Intersexuellen, bitte ...
- Wikipedia vs. Zwitter
- Laura Armani – intersexuell oder transsexuell?
- "Genitalverstümmelung ein afrikanisches Problem?"
- Hurra, es ist da – das neue Transschända
- Die Rede von der "psychischen Intersexualität"
XXY auf zwischengeschlecht.info:
XXY - Ein menschlicher Film über Zwitter
XXY - argentinischer Spielfilm über jungen zwischengeschlechtlichen Menschen
Comments
In einem Mail vom 18.4. (siehe unten) wirft mir Pink Apple vor, ich hätte Zitate aus unserem Mailverkehr "extrapoliert[...]" und "aus dem Zusammenhang" genommen. Damit jede_r sich selber überzeugen kann, dass dies nicht zutrifft, dokumentiere ich im Folgenden (in anonymisierter Form) den Mailverkehr zwischen Pink Apple und mir:
Am 12.02.2008 fragte mich Pink Apple an, ob ich an einer Diskussionsrunde anlässlich des Films "Die Katze wäre eher ein Vogel" teilnehmen möchte:
Am 27.02.2008 antwortete ich auf die Anfrage und machte auf die missbräuchliche Verwendung des Zwittersymbols im Programm von Pink Apple aufmerksam:
Am 03.03.2008 antwortete Pink Apple mit folgender Mail auf meine Kritik:
Am 11.03.2008 wies ich erneut auf die Problematik hin, da meiner Meinung nach nicht wirklich inhaltlich auf meine Kritik eingegangen worden war:
Da ich auf meine Mail vom 11.03.2008 keine Antwort erhielt, schrieb ich darauf am 16.04.2008 den offenen Brief (siehe auch oben, zweite Hälfte Blogpost):
Am 18.04.2008 antwortete Pink Apple auf meinen offenen Brief mit folgender Mail:
Am 22.04.2008 schrieb ich Pink Apple eine erste kurze Antwort:
Am 27.04.2008 antwortete ich Pink Apple ausführlich mit einem zweiten offenen Brief.
Auf meinen 2. Offenen Brief vom 28.4. antwortete mir Pink Apple am 29.4. mit folgender Mail:
Pink Apple verzichtet also vorläufig einmal mehr auf die von mir auch im 2. Offenen Brief erbetene "inhaltliche, konkrete Stellungnahme zu meinem Anliegen". Und beweist damit: Es ist gar nicht so einfach, ein stichhaltiges Argument für die Verwendung des Zwittersymbols durch Transgender zu finden!
Immerhin stellt Pink Apple in Aussicht, unsere Argumente nicht nur "zur Kenntnis" zu nehmen, sondern sie auch "für eine nächste Festivalausgabe in Betracht" zu ziehen. Wir werden diese Angelegenheit im Auge behalten und hoffen das Beste ...
Am 01.05.2008 antwortete ich Pink Apple:
Als Antwort wurde ich von "Pink Apple" kurzerhand von der "Diskussion" ausgeladen:
Daraufhin antwortete ich "Pink Apple" am 04.05.2008:
Am 04.05.2008 schrieb "Pink Apple":
In meiner Mail vom 06.05.2008 nahm ich zu den Aussagen von "Pink Apple" wie folgt Stellung:
Sorry Daniela, Du verdrehst aber auch alles! Laut dem Brief wurdest Du nicht ausgeladen! Sondern Du hast Dich nicht gemeldet über Wochen... Ich finde deine Argumentation echt nicht fair! Vor allem wegen einem Symbol so ein Theater aufzuführen. Sei doch überhaupt froh, dass ein Film gezeigt wird wo die Thematik behandelt wird!
hallo beni, danke für deinen kommentar. mich dünkt, du bist etwas parteiisch. ich habe oben meine korrespondenz mit pink apple anonymisiert offengelegt. hättest du dich darin etwas umgesehen, hättest du bemerkt, dass die sache so einfach, wie du sie darstellst, bei weitem nicht ist. und wenn du dich zum thema real existierende zwitter mal etwas schlau machen würdest, kämest du schon noch darauf, aus welchen guten gründen wir es für angebracht halten, "wegen einem Symbol so ein Theater aufzuführen". ebenso, dass du denselben fehler gleich nochmals wiederholst, wenn du als aussenstehender den betroffenen sagst, sie sollen gefälligst "doch überhaupt froh" sein, wenn sie zu erklären versuchen, warum sie dies eben gerade nicht sein können. ich kann mir nicht vorstellen, dass das wirklich derart zuviel verlangt ist, das alles zu begreifen? aber wer weiss, vielleicht ein ander mal?
Hallo,
ich bin grade durch Zufall auf diese Seite gestoßen und muss sagen, dass ich es sehr gut verstehen kann, wenn ihr euch aufregt! Ich finde die Hinhalte- und Ausflüchte-Strategie von Pink-Apple respektlos.
Ich hatte vorher schon ein wenig über Intersexualität gehört und war entsetzt über die Zwangsoperationen und darüber, dass diese so häufig und weitestgehend unbeachtet, sogar teilweise gelobt(!), stattfinden können. Eine der wenigen Menschenrechtsverletzungen, die in "zivilisierten" Landen noch so häufig und so unwidersprochen stattfinden.
Die Frage der Verreinnahmung von Zwittern bzw dem Zwittersymbol für andere Themen macht mich nachdenklich...
bis später mal
hallo lebende, danke für deine aufmunternden kommentare und herzlich willkommen, auch im namen von nella!
ja, auch ich denke, die zwangsoperationen sind eine der zum glück relativ seltenen WIRKLICH GRAVIERENDEN menschenrechtsverletzungen, die auch heutzutage nicht (wie z.b. folter zur geständniserpressung) einfach "ausgelagert" werden, sondern wirklich im "zivilisierten westen" täglich geschehen, und auch ich als "aussenstehender" war darüber sehr schockiert, als ich durch nella davon erfuhr. auch wenn das zahlenmässige und z.t. auch das qualitative ausmass bestimmt nicht direkt vergleichbar sind, mir kam es vor, als gäbe es direkt vor unserer aller haustür immer noch kleine mediziner-mini-kzs -- und auch in diesem falle wolle niemand davon wissen ... schlimmer noch, wenn sie überhaupt erwähnt werden, dann meist nicht etwa um entschieden dagegen anzugehen, sondern vielmehr um stattdessen rasch die eigene agenda "wir leiden doch alle an unseren aufgezwungenen geschlechterrollen" in den vordergrund zu schieben ...
auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen unterdrückten gruppen sind nichts neues. ein stück weit kommt es mir vor, als würde der druck der von "oben" kommt, untereinander ausgetragen.
transgender und ähnliche oberbegriffe hatten eigentlich mal das ziel, unterschiedliche unterdrückte gruppen zum zweck des gemeinsamen kampfes zusammen zu bringen. in der praxis funktioniert das aber nur ungenügend, weil diese gruppen ganz unterschiedlichen/unterschiedlich heftigen problematiken ausgesetzt sind. homosexuelle und transgender können sich den luxus erlauben, das thema intersexualität auf "genderdiskussionen" zu reduzieren und manchmal auch zu instrumentalisieren. sie sind hier und heute nicht (mehr) in der gleichen weise menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. rein zahlenmässig gibt es aber wesentlich mehr lesbische, schwule und transgender menschen als intersexuelle. sie dominieren also die sichtweise auf das thema in einem solchen kontext.
aber lesbisch-schwule, queere und frauen filmfestivals sind einer der wenigen orte, wo intersexuelle filme gehäuft gezeigt werden. darum ist diese diskussion so wichtig.
es geht nicht nur um das symbol, sondern auch darum, sich wirklich ernsthaft mit dem thema intersexualität auseinander zusetzen.
und rein pragmatisch könnte man fragen, welches andere symbol im nächsten jahr für die transgender filme eingesetzt werden könnte- ein thema für einen wettbewerb?