Lesbisch Schwule Filmtage Hamburg: Zwitterfilme? Ja, gerne! Zwitter-Vereinnahmung? Nein, danke!

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Aktualitätshalber leider mit Verspätung:

Die "Lesbisch Schwulen Filmtage Hamburg / International Queer Film Festival" zeigten letzte Woche auf Initiative von MERSI Hamburg 3 Zwitterfilme.

Nämlich als lokale Premiere "El último verano de la Boyita" (2009) von Julia Solomonoff (eins / zwei), den "neuen Zwitter-Spielfilm aus Argentinien", thematisch scheints quasi ein inoffizielles Sequel zu "XXY" von Lucía Puenzo: Zeigte letzterer ein "Mädchen", das u.a. auch im Stehen pinkeln kann, geht es diesmal um einen menstruierenden "Jungen", der stimmigerweise als Jockey Pferderennen bestreitet – eine der wenigen Sportarten, wo Frauen gegenüber Männern  biologische Vorteile haben. (Ob "El último verano de la Boyita" ebenso überzeugend ist wie "XXY", kann ich aktuell nicht beurteilen.)

Sowie die seltener gezeigten englischsprachigen Kurzdokus "One in 2000" (2007) von Ajae Clearway (eins / zwei / drei) und "Gender Trouble" (2002) von Roz Mortimer (eins / zwei). Anlässlich der Vorführung der Kurzdokus gab's zusätzlich ein Publikumsgespräch mit Lucie Veith von Intersexuelle Menschen e.V.

Soweit, so positiv und verdankenswert!

Leider wollen die Verantwortlichen des Festivals aber offensichtlich mal wieder gar nicht kapiert haben, worum's beim Thema "Intersex" überhaupt geht. Sondern betreiben stattdessen munter die altbekannte schädliche Vereinnahmung, indem sie "Intersex" öffentlich als Untergruppe von "Queer" deklarieren und mit "Transgender" in eine Reihe setzen:

Katja Briesemeister von den LSF:

„Die Filmtage sind MEHR als lesbisch und schwul. Das wollen wir nun auch noch klarer nach außen vertreten: Online, im Programmheft und bei anderen Gelegenheiten machen wir deutlich, dass auch transgender, intersex, kurz: queere Filmbeiträge aller Couleur einen Platz in unserem Festival haben. [...] Filme, die mehr als lesbisch, schwul oder eben transgender sind, nämlich auch intersex, queer, …! (lsf-hamburg.de, blu.fm)

Kommentar: Falls diese politische Vereinnahmung vielleicht auch "nur" aus Unwissenheit und Recherchierfaulheit geschah und gar nicht "böse gemeint" war, ist sie nichts destotrotz für den politischen Kampf der Zwitter um körperliche Unversehrtheit sehr schädlich, zumal zu befürchten ist, dass die oben zitierte, verschiedentliche öffentliche Äusserung kein einmaliger Ausrutscher war. Wenig überraschend kommen solche Vereinnahmungen auch regelmässig von vergleichsweise privilegierten Gruppen und Personen, die (im Gegensatz zu den bekanntlich zu 90% zwangsoperierten Zwittern) selber nie um die Unversehrtheit ihrer Genitalien fürchten mussten, geschweige denn durch deren meist wiederholte Verstümmelung von Klein an massiv traumatisiert wurden.

Umso bedenklicher, dass auch MERSI Hamburg und Intersexuelle Menschen e.V. als am Festival Mitbeiteiligte allem Anschein an nichts bemerkt haben wollen, geschweige denn sich veranlasst sahen, öffentlich Gegensteuer zu geben!

Siehe auch:
- Zwitter und progressive LGBTs gegen Vereinnahmung
- Wie Dr. Magnus Hirschfeld einen Zwitter zwangsoperiert, um mit dem Erlös das "Institut für Sexualwissenschaft" zu finanzieren
- Instrumentalisierung von Zwittern: Kritik aus 2002 (Georg Klauda)
- LSVD und Zwittervereinnahmung: 1 Schritt vor, 3 Schritte zurück? 
- Genitalverstümmelungen an Zwittern als "Nebenwiderspruch" des Zweigeschlechtersystems? (Von der Frauenbewegung lernen 2)
- Zwitter-Vereinnahmung im Bundestag: Business as usual (II)
- Zwitter-Vereinnahmung im Zusammenhang mit Amnesty-Petition - Sündikat gibt Gegensteuer!

Comments

1. On Tuesday, November 2 2010, 10:48 by medium

Hallo Seelenlos,

da ich hier jetzt schon öfter mal nen Diss gegen eine "Vereinnahmung unter dem Begriff Queer" gesehen habe, stellt sich mir die Frage, was du als "Queer" verstehst?
Weil ich verstehe "queer" vor allem erst mal als sehr allgemeinen und nie wirklich eingrenzbaren Überbegriff für alle Menschen, Identitäten, Körperlichkeiten, Praktiken und Theorien, die in irgendeiner Form die heteronormative Binärlogik in Frage stellen. Und nach diesem Verständnis würde ich auch "Intersex" als "queer" bezeichnen (was jetzt auf keinen Fall heißen darf, dass es dabei stehen bleiben soll, sondern wie alle und alles mit dem Label "queer" die weit darüberhinaus gehende Möglichkeit einer vielfältigen Differenzierung für mich eben impliziert).

Oder beziehst du dich auf ein Verständnis, in dem "queer" gerne einfach nur mit "Lesbischwul" gleichgesetzt wird?

2. On Tuesday, November 2 2010, 16:31 by seelenlos

hi medium, danke für die rückfrage, auch wenn ich es nicht die aufgabe von gegen die zwangsoperationen kämpfenden zwittern und mit ihnen solidarische nicht-zwittern ansehe, über akademisch-theoretische feinheiten der definition von "queer" argumentieren zu müssen. solche diskurse führen nämlich leider zu 100% am eigentlichen problem der auch vor deiner haustüre täglich begangenen genitalverstümmelungen vorbei.

leider scheinst du vorauszusetzen, mit der "richtigen" (selbst-)definition hätte jede beliebige gruppe das recht, nach lust und laune andere gruppen ungefragt und gegen deren interessen und willen zu assimilieren und deren kämpfe für sich selbst zu vereinnahmen.

offensichtlich hast du dich noch nie gefragt, ob die meisten zwitter überhaupt bei "queer" dazugehören wollen, und ob es ihnen politisch nützt oder schadet.

ich möchte dich deshalb dazu einladen, zwischendurch mal von deinem bauchnabel-zentrierten elfenbeinturm herunter zu steigen und dich zur abwechslung mal etwas über die kämpfe, probleme und bedenken der realen zwangsoperierten zwitter und ihrer verbündeten zu informieren, z.b. anhand der unter obigem post angeführten links. vielleicht müsstest du dann auch nicht mehr inhaltlich begründete kritik mit "diss" verwechseln.

und wenn du nachher immer noch unbedingt andere gruppen unter "queer" subsumieren musst, kannst du dich nach deiner eigenen definition statt der zwitter, die sich seit jahren gegen vereinnahmung wehren, z.b. der pädokriminellen annehmen, die ja auch auf ihre weise durch ihre "Identitäten, Körperlichkeiten, Praktiken und Theorien [...] in irgendeiner Form die heteronormative Binärlogik in Frage stellen". die hätten im gegensatz zu den allermeisten zwittern wohl auch weniger probleme damit.

alternativ könntest dich auch zum kampf der zwitter gegen die verstümmelungen solidarisch verhalten, wozu du allerdings wohl erst deine gendertheoretische brille ablegen müsstest.

3. On Wednesday, November 3 2010, 18:31 by NX

kurze info: unter http://www.logotv.com/video/one-in-... ist die doku "One in 2000" als Stream abrufbar

4. On Monday, December 13 2010, 00:18 by Fg68at

Also sie sollen nicht sagen, dass sie mehr sind. Sie sollen nur schwul-lesbisch sein. Das heißt auch solche Filme nicht mehr zu zeigen.

5. On Monday, December 13 2010, 03:41 by seelenlos

@fg68at: i wo, das sagst du. es wär wie erwähnt einfach toll, wenn "sie" mal aufhören würden, zwitter als austauschbar mit bzw. als untergruppe von transgender, queer etc. in der öffentlichkeit zu "verkaufen".

weil das ist zur beendigung der verstümmelungen einfach NICHT hilfreich.

(jedoch, wenn's für das "international queer film festival" ohne diese vermengungen / unterordnungen / "eingemeindungen" wirklich nicht geht, wär's m.e. tatsächlich besser, diesbezüglich einfach zu schweigen und auch keine zwitter-filme mehr zu zeigen.)

6. On Saturday, December 18 2010, 05:45 by Fg68at

Ach das "kurz:" hatte ich überlesen.

Also jede Gruppe soll extra genannt werden, keine Überbrgriffe im Sinne von "nicht heteronormativ".

Kein Genre "Queer Movie". Sondern das Genre: "Gay, Bisexual, Transgender, Transsexual, Intersexual Movie"