"Möge euch die Hand abfaulen, mit der ihr wehrlose Kinder verstümmelt habt!"
By nella on Tuesday, November 9 2010, 07:08 - Trauma, Opferrolle, Befreiung - Permalink
5. Treffen "Netzwerk Intersexualität/DSD" in Kiel, 6.9.2008
Nella versucht den MedizinerInnen ins Gewissen zu reden
Redebeitrag vom 9.11.2010 zur Lehrveranstaltung „Intersexualität – Fakten und Diskurse“ an der Universität Zürich, Modul „Biomedizinische Ethik“ (für Studierende der Medizin), Modul „Körper, Geschlecht und Sexualität“ (für Studierende der Gender Studies):
Das vernarbte Geschlecht
Mein Name ist Daniela Truffer, ich bin Mitbegründerin der Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org. Ich wurde als Zwitter geboren und habe mich Jahrzehnte lang versteckt und verleugnet. Heute kämpfe ich seit über drei Jahren in der Öffentlichkeit gegen kosmetische Genitaloperationen an Kindern und für Menschenrechte auch für Zwitter. Ich bin dank einer fast zehnjährigen psychoanalytischen Aufarbeitung des Drecks, den man mir angetan hat, überhaupt noch am Leben, kann Freude empfinden, befreit von Jahre langen Zwängen und Ängsten.
Aber die Vorstellung, vor angehenden Medizinern zu sprechen, ist für mich immer noch schaurig. Eine schlaflose Nacht, Übelkeit und Dünnschiss ohne Ende. Angst, Scham, Ekel, Wut sind die Gefühle, die hochkommen. Wut darüber, dass ich als gestandener Zwitter Angst haben muss, vor einen Haufen junger Schnaufer hinzustehen, nur weil sie Medizin studieren. Diesen Stempel wird man nie wieder los.
Zu sehr bin ich traumatisiert von dieser menschenverachtenden Behandlung, die zum angeblichen Wohle des Kindes auch heute noch mehrheitlich durchgeführt wird. Zu gut erinnere ich mich an die unzähligen Untersuche, die Augen und die Hände, den Geruch, sogar an das Rascheln des Ärztekittels kann ich mich erinnern! Und ich werde diese Erinnerungen nie mehr los: vom ersten Tag an auf dieser Welt wurde mir zwischen die Beine geschaut, man drückte und zog an meinem uneindeutigen Genital herum, Finger und andere Gegenstände wurden in mich hineingestossen, um zu schauen, wie weit es reingeht. Man redete über mich, aber nicht mit mir. Man entschied über mich, ohne mich zu fragen.
Mit zweieinhalb Monaten wurde ich kastriert, meine gesunden Hoden in den Mülleimer geworfen. Die Mediziner beschlossen, dass ich als Mädchen aufwachsen soll, meine Eltern wurden dementsprechend instruiert. Mit sieben wurde mein uneindeutiges Genital gekürzt. Nach der Operation hatte ich einen Schock, Hämatome, nekroses Gewebe. Schmerzen und Narben blieben zurück. Dass ich wegen eines schweren Herzfehlers während den Operationen hätte sterben können, hat die Mediziner nicht interessiert. Mit achtzehn wurde dann eine Vagina gebastelt, wo vorher nichts war.
Man hat meine Eltern und mich immer angelogen oder mit Halbwahrheiten abgespiesen, hat erzählt, ich hätte entartete Eierstöcke gehabt. Die Wahrheit weiss ich erst seit wenigen Jahren.
Auch heute noch werden Eltern mehrheitlich falsch oder nicht umfassend informiert, Kindern wird ihr wahres Geschlecht verheimlicht, sie werden zwangsoperiert. Damit sie ein glückliches Leben haben können. Wie glücklich sie sind, das kommt erst Jahrzehnte später heraus, wenn sie realisieren, was ihnen angetan wurde. Dann, wenn man nicht mal mehr die Möglichkeit hat, seinen Verstümmler anzuzeigen, weil die Verjährungsfrist schon längst abgelaufen ist. Dann muss man weiterleben, mit den psychischen und physischen Folgen, damit, dass man Opfer ist und bleibt, weil es niemanden interessiert, weil alle wegschauen.
Diese unmenschliche Behandlung hat alle Bereiche meines Lebens überschattet. Ich habe versucht, so unauffällig wie möglich zu sein, normal zu leben. Aber es funktioniert nicht. Die Operationen und die Lügerei machen alles nur viel schlimmer. Alles, was man tut und erreicht ist nichtig, weil man ein grosses schwarzes Loch in sich trägt, vor dem man jeden Tag steht und verzweifelt.
80% aller Zwitter hat einen Selbstmordversuch hinter sich, ein Drittel davon erfolgreich. Wie Opfer von sexuellem Missbrauch und Folter richten die meisten zwangsoperierten Zwitter ihre Wut und ihren Hass gegen sich selber, statt ihre Peiniger zur Rechenschaft zu ziehen. Ohnmacht. Sie haben Angst vor ihrer eigenen Wut. Aber die meisten Zwitter, die ich kenne, würden am liebsten dasselbe mit denen tun, die sie verstümmelt und ihr Leben zerstört haben.
Manche haben nicht mehr viel zu verlieren. Sie sind aufgrund der Kastration und der lebenslangen Einnahme von körperfremden Hormonen gesundheitlich schwer geschädigt, ihre sexuelle Empfindungsfähigkeit wegen den Genitalverstümmelungen komplett zerstört. Sie sind nicht mehr arbeitsfähig, verlieren jeglichen Halt, sind am Ende.
Ich persönlich will nicht Gewalt mit Gewalt vergelten, auch wenn ich schon darüber nachgedacht habe, und möchte nicht wegen meinem ehemaligen Kastrator und Genitalverstümmler noch mehr Gefängnis erleben müssen.
So bleibt mir nur, mich auf andere Art dafür einzusetzen, dass Zwitterkinder in Zukunft leben dürfen. Euren zukünftigen Patienten eine Stimme zu verleihen, euch davon zu überzeugen, dass kosmetische Genitaloperationen und sonstige medizinisch nicht notwendige Eingriffe an Kindern menschenrechtswidrig sind und nicht mehr stattfinden dürfen.
All denen unter euch, die trotzdem eine Karriere als Genitalverstümmler anstreben, wünsche ich von ganzem Herzen eine Horde Zwitter an den Hals, die ihre Wut nicht mehr gegen sich selber, sondern gegen euch richten werden. Sie sollen euch mit Anzeigen wegen Körperverletzung das Leben zur Hölle machen, euren Ruf ruinieren und euer Bankkonto plündern! Und wer dann immer noch nicht genug hat, dem soll die Hand abfaulen, mit der er wehrlose Kinder verstümmelt hat. Und vielleicht kommt auch mal ein Zwitter mit einer Gartenschere bei euch vorbei und zeigt euch, wie es sich anfühlt, mit einem vernarbten Geschlecht sein Leben zu fristen! Das alles gilt auch für diejenigen, die selber nicht Hand anlegen, aber dabei zuschauen.
Wer von euch jedoch nach dem Grundsatz "first do not harm" und im Namen der Menschlichkeit eines Tages den Ärzteberuf ergreift, dem wünsche ich noch mehr von Herzen alles Gute!
Siehe auch:
- Genitalverstümmelungen in westlichen Kinderkliniken – eine Genealogie der TäterInnen
- "Weder Evidenz noch medizinische Indikation" – Dr. med. Jörg Woweries
- Das Medizynermärchen von den "früheren Behandlungsmaßstäben"
- Kinderkliniken: € 8175,12 Reingewinn pro Genitalverstümmelung
- "Verunsicherung und Ängste": Kommentare zur Kritik am "Netzwerk DSD/Intersexualität"
- Weiße Kittel mit braunen Kragen, reloaded
- Alice Dreger über EthikerInnen als MittäterInnen
- "Ethik als Freifahrtschein für operieren auf Teufel komm raus" - Claudia Wiesemann
- "Du sollst den Begriff 'intersexuell' nicht unnütz gebrauchen!" (I)
- Instrumentalisierung von Zwittern: Kritik aus 2002
- Genitale Zwangsoperationen an Zwittern vergleichbar mit weiblicher Genitalverstümmelung
- Amnesty: Zwangsoperationen "fundamentaler Verstoß" gegen körperliche Unversehrtheit
- Weltweit größte Zwitter-Studie straft Bundesregierung Lügen!
- Zwangsoperationen an Zwittern: Wer sind die Täter? Was soll mit ihnen geschehen?
Genitalabschneider, wir kriegen euch! Zwangsoperateure, passt bloss auf!