"Personenstandslockerungen helfen nicht, Operationen zu verhindern" - Konstanze Plett, DRadio Wissen 28.6.11

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Konstanze Plett ist zusammen mit Oliver Tolmein eine der leider wenigen juristischen ExpertInnen, die in Sachen kosmetische Genitaloperationen an Kindern a.k.a. Genitalverstümmelung in Kinderkliniken nicht nur Personenstands-Vereinnahmungen und Gender-Blabla von sich geben.

Neulich in einem >>> Interview bei DRadio Wissen (mp3, 4.6 MB) sprach Konstanze Plett in diesem Zusammenhang ein grosses Wort gelassen aus:

"Das [= Lockerungen im Personenstandsrecht] würde natürlich noch nicht bei den Operationen helfen. Da müsste der Gesetzgeber schon aktiv werden, weil aktuell ist es ja so, dass eben die Eltern auch für ihre Kinder entscheiden. [...] mittlerweile wird ja auch schon von Ärzten eingeräumt, dass diese Operationen wie beispielsweise Klitorisreduktion oder Anlegung einer künstlichen Vagina nicht zur Lebensrettung erforderlich sind."

Und hielt zudem fest:

Moderatorin: "Frau Plett, ist es denn überhaupt rechtens, dass Mediziner intersexuelle Babies operieren?"

Konstanze Plett: "Ja, das ist eine ganz wichtige Frage. Von Verbänden intersexueller Menschen wird ja gefordert, dass es insgesamt verboten ist. Nach jüngeren juristischen Untersuchungen, die auch bereits die Situation von intersexuell Geborenen mit einbeziehen, ist die Operation, soweit sie nicht zur Lebensrettung erforderlich ist, bereits ein höchstpersönliches Gut, dass es also nicht ohne die Zustimmung der Betroffenen gemacht werden dürfte. [...]"

Dieser Blog sagt dafür Danke!  Ein vollständiges Transkript des Beitrags findet ihr hier.

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1. On Monday, July 4 2011, 14:52 by nella

DRadio Wissen, 28.5.11, 12:02h: "Rechtliche Aspekte der Intersexualität - Gespräch mit Konstanze Plett" - Autorin: Sonja Meschkat

Transkript

Moderatorin: Der Deutsche Ethikrat hat einen Onlinediskurs zum Thema Intersexualität begonnen. Ziel ist eine differenzierte Aufarbeitung der Situation intersexueller Menschen - so steht es auf der Homepage des Deutschen Ethikrates - also von Menschen, die per medizinischer Definition vom Geschlecht her nicht eindeutig bestimmt werden können. Im Deutschland werden pro Jahr zwischen 300 bis 400 intersexuelle Kinder geboren. Das sind allerdings Schätzungen, denn genaue Statistiken darüber gibt es nicht. Ärzte raten nach der Geburt oft zu einer Operation, weil diese Menschen in Deutschland in ihren beiden Geschlechtern nicht anerkannt werden. Es muss eindeutig sein, ob es sich um eine Frau oder um einen Mann handelt. Über die rechtliche Situation von Intersexuellen möchte ich gerne mit der Rechtsprofessorin Konstanze Plett von der Uni Bremen sprechen. Hallo Frau Plett.

Konstanze Plett: Ja, hallo Frau Meschkat.

Moderatorin: Frau Plett, ist es denn überhaupt rechtens, dass Mediziner intersexuelle Babies operieren?

Konstanze Plett: Ja, das ist eine ganz wichtige Frage. Von Verbänden intersexueller Menschen wird ja gefordert, dass es insgesamt verboten ist. Nach jüngeren juristischen Untersuchungen, die auch bereits die Situation von intersexuell Geborenen mit einbeziehen, ist die Operation, soweit sie nicht zur Lebensrettung erforderlich ist, bereits ein höchstpersönliches Gut, dass es also nicht ohne die Zustimmung der Betroffenen gemacht werden dürfte. Das ist aber jetzt die neuere Rechtsauslegung und da es noch kein Gerichtsurteil in diesen Sachen gibt, braucht es eine Weile, bis sich das als Auffassung durchgesetzt hat.

Moderatorin: Das heißt also bis dahin würden das erstmal nach wie vor die Eltern entscheiden, ob das Baby dann operiert wird oder nicht?

Konstanze Plett: Ja, in der Tat, also für Minderjährige haben die Eltern im Normalfall das elterliche Sorgerecht, das auch das Vertretungsrecht einschließt, das heißt, dass sie Zustimmung oder andere Rechtsgeschäfte mit Wirkung für und gegen ihre Kinder erklären können.

Moderatorin: Die Geburtsurkunde ist auch ein wichtiges rechtliches Dokument. Was steht dann da drin bei einem Intersexuellen, wo sich die Eltern nicht für eine Operation entschließen. Wird das dann erstmal offengehalten?

Konstanze Plett: Nein, das ist sogar gerade im letzten Jahr erst in einer Verwaltungsvorschrift festgelegt worden, dass nur männlich oder weiblich eingetragen werden darf in das Geburtenregister. Die Geburtsurkunde, also die Bescheinigung über das, was im Register steht, kann auf Antrag auch ohne Geschlechtseintrag ausgestellt werden, aber im Geburtenregister wird aktuell nur männlich oder weiblich festgehalten. Ich habe gehört, dass manche Standesbeamte oder -beamtinnen ja auch noch ein bisschen Zeit zugeben. Normalerweise muss das ja innerhalb der ersten Woche nach der Geburt festgelegt werden. Und die aktuelle Rechtslage ist, nur männlich oder weiblich ist zulässig.

Moderatorin: Sie sind auch Diskussionsteilnehmerin beim Ethikrat, bei dieser Online-Diskussion zum Thema Intersexualität und Sie haben in einer Diskussionsrunde gesagt, dass intersexuell geborene Menschen auch ein Recht auf ihre je eigene sexuelle Identität haben. Woraus leiten Sie das ab?

Konstanze Plett: Das leite ich aus den Grundrechten ab, die in unserer Verfassung stehen. Die Rechtsprechung hat das allgemeine Persönlichkeitsrecht entwickelt, das heißt, dass jeder Mensch ein Recht auf seine je eigene Persönlichkeit hat und dieses ist mittlerweile auch gerade erst im Januar dieses Jahres durch das Bundesverfassungsgericht nochmal bestätigt worden, dass es auch das Recht auf sexuelle Identität und die Entwicklung derselben einschließt. Die Entscheidung ist im Zusammenhang mit dem Transsexuellengesetz ergangen, aber ist in der Begründung und in der Feststellung dieser spezifizierten Norm auch auf intersexuell Geborene anwendbar. Aber wie gesagt, dafür haben wir noch keine Gerichtsverfahren bisher gehabt.

Moderatorin: Bei den Recherchen zum Interview bin ich auch noch auf einen Aufsatz von Ihnen gestossen, der mit einem Zitat aus dem Preußischen Allgemeinen Landrecht aus dem Jahr 1794 beginnt, also schon ein paar Jahre her. In dem Gesetz stand es tatsächlich Intersexuellen frei, eben selbst bei Volljährigkeit zu entscheiden, was sie nun sein möchten. Wann wurde denn im Deutschen Recht diese Wahlmöglichkeit gestrichen?

Konstanze Plett: Das geschah gut 100 Jahre später, als das Bürgerliche Gesetzbuch Ende des 19. Jahrhunderts formuliert und verabschiedet wurde. Und der damalige Stand der Juristen, es waren in der Tat nur Juristen, die dieses Gesetz formuliert haben, war, dass Hermaphroditismus, wie es damals genannt wurde, beim Menschen oder echter Hermaphroditismus beim Menschen ohnehin nicht vorkomme, von daher jeder Mensch jedenfalls ein überwiegendes Geschlecht habe, das das entscheidende sei und dann auch das juristische sein sollte. Dieses wird aus heutiger Sicht auch schon als verkürzt angesehen, weil das ganz so eben auch damals nicht stimmte, aber das war die Meinung, die die Verfasser des Bürgerlichen Gesetzesbuches hatten und das hat sich dann so niedergeschlagen. Wobei noch eine Pointe ist, dass bis eben 2010 zwar Geschlecht schon immer in den Registern festgehalten werden sollte, aber es keine Rechtsnorm gab, die festlegte, dass nur männlich und weiblich zulässig sein sollte. Also es war die gesellschaftliche Anschauung, die sich dann in der Rechtswirklichkeit niederschlug, indem eben nur diese beiden Varianten eintragungsfähig waren oder als eintragungsfähig angesehen wurden.

Moderatorin: Wie wird denn im aktuellen Recht Intersexualität definiert?

Konstanze Plett: Also, eine Definition gibt es dafür ebensowenig wie für Geschlecht als solches. Auch männlich und weiblich sind Begriffe, die im Recht nicht definiert sind. Definiert sind im Familienrecht Mutter und Vater, aber Geschlecht und Intersexualität ist nicht definiert. Da verlässt sich dann das Recht auch ein Stückweit auf Auskünfte der Wissenschaften, von denen das Recht meint, dass sie es wissen müssten, also Medizin und Biologie. Aber das Rechtssystem wäre natürlich schon auch autonom, eigenes festzulegen und zu sagen: mittlerweile wissen wir, dass es Menschen gibt, die diese zwei Kategorien nicht so erfüllen, dass sie ausschließlich sich in einer aufhalten, und dass etwas anderes zulässig wäre.

Moderatorin: Was ist denn Ihre Meinung, müsste das per Recht definiert sein, was Intersexualität ist oder stehen die Intersexuellen dadurch, dass das gar nicht definiert ist, schlechter da, was die rechtliche Grundlage angeht?

Konstanze Plett: Also, sie stehen in der Tat im Augenblick schlechter da als die Menschen, die bewusst als zwischen den Geschlechtern lebend sich selber definieren, dass sie in den Papieren, in Ausweisen schon einem der Geschlechter zugeordnet sind, also im Grunde nicht so leben können, wie es ihrer Persönlichkeit, ihrer Identität entspricht. Das ist natürlich misslich. Diese Möglichkeit wäre sehr schnell zu ändern. Es hat nämlich bei der Beratung der vorhin erwähnten Verwaltungsvorschrift vom letzten Jahr einen Änderungsvorschlag gegeben, der leider nicht eingearbeitet worden ist, also im Ergebnis nachher keine Mehrheit gefunden hat, das Wörtchen "grundsätzlich" einzufügen. "Grundsätzlich" in der Rechtssprache bedeutet immer, begründete Ausnahmen sind zulässig. Und wenn ins Geburtenregister nur "grundsätzlich männlich oder weiblich" eingetragen werden müsste, hieße es, es kann auch eben offen bleiben oder, das wäre meine Forderung, dass auch Eintragungen möglich sein müssen, die beides ankreuzen. Und damit wäre denke ich schon eine Menge gewonnen. Aber selbst wenn beides nicht möglich ist, also dass die Entscheidung für das eine und wenn nicht das eine, dann das andere, und wenn nicht das andere, dann das eine, dass dieser Zwang rausgenommen wird. Ich glaube das würde schon etwas helfen. Das würde natürlich noch nicht bei den Operationen helfen. Da müsste der Gesetzgeber schon aktiv werden, weil aktuell ist es ja so, dass eben die Eltern auch für ihre Kinder entscheiden. Es gibt ein Instrument im Recht, das Vorsorge trifft zum Schutze der Kinder, wenn Eltern ihre Pflichten vernachlässigen, dann kann ihnen die elterliche Sorge ganz oder zum Teil entzogen werden. Aber das ist hierfür ein zu scharfes Instrument. Man kann ja nicht sagen, die Eltern, die Operationen zustimmen, vernachlässigen ihre Kinder. Sie tun es ja sozusagen im besten Wissen und Wollen, aber das da Zeit reinkommt. Das ist ja auch bei der Anhörung Anfang dieses Monats von einer Mutter gefordert worden und mittlerweile wird ja auch schon von Ärzten eingeräumt, dass diese Operationen wie beispielsweise Klitorisreduktion oder Anlegung einer künstlichen Vagina nicht zur Lebensrettung erforderlich sind. Also dass da Zeit reinkommt, innerhalb der die Eltern sich informieren können - ja.

Moderatorin: Wo dann das Kind vielleicht später auch selber entscheiden kann, ob es Frau oder Mann werden will.

Konstanze Plett: Ja, genau, also das ist sozusagen, also wie gesagt, Ihre erste Frage war ja ist es rechtens, also die heutige Rechtsauffassung, die von einigen vertreten wird und ich teile sie und ich glaube auch die wird sich à la longue durchsetzen. Aber um das zu beschleunigen, also dass Selbstbestimmung da der Kinder auch, also auch Minderjähriger, gefragt ist. Und damit man aber nicht bis Achtzehn warten muss, müsste da ein Verfahren installiert werden, das dieses überwacht, dass also das Selbstbestimmungsrecht der Kinder gewahrt wird.

Moderatorin: Frau Plett, ich danke Ihnen für das Gespräch. Konstanze Plett ist Rechtsprofessorin an der Uni Bremen und hat hier in DRadio Wissen über, ja, die rechtlichen Grundlagen von Intersexuellen gesprochen. Intersexualität - das Tagesthema in DRadio Wissen.