06.02.2012: Null Toleranz gegen Genitalverstümmelung – außer vor der eigenen Türe?

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Pressemitteilung von Zwischengeschlecht.org vom 06.02.2012:

STOP Genitalverstümmelung in Kinderkliniken!

Genau vor einem Jahr protestierte die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org zum 4. Mal in Folge vor einer Kinderklinik, in der regelmäßig "kosmetische Genitaloperationen" an Kindern mit "atypischen" körperlichen Geschlechtsmerkmalen praktiziert werden.

Zum heutigen "Internationalen Tag gegen (weibliche) Genitalverstümmelung" ruft Zwischengeschlecht.org Politik und Öffentlichkeit dazu auf, bei diesen systematischen Menschenrechtsverletzungen vor der eigenen Haustüre nicht mehr länger wegzuschauen!

Jeden Tag wird in Deutschland in einer Kinderklinik mindestens ein wehrloses Kind irreversibel genitalverstümmelt.

Die Mediziner nennen es beschönigend "korrigierende und angleichende Eingriffe" – Betroffene prangern die uneingewilligten und irreversiblen Operationen seit bald 20 Jahren an als fundamentalen Verstoß gegen ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit und als "westliche Form der Genitalverstümmelung". Eine Einschätzung, die mittlerweile auch von ExpertInnen betreffend weibliche Genitalverstümmelung bekräftigt wird, ebenso von Ländersektionen von Terre des Femmes und Amnesty International.
 
Hätten Sie's gewusst?

Betreffend der "weiblichen" bzw. "afrikanischen" Genitalverstümmelung monieren Betroffenen- und Lobbyorganisationen zu Recht, dass von offiziellen Stellen zu viel schön geredet und gleichzeitig kaum Konkretes zum Schutz gefährdeter Mädchen im eigenen Land unternommen wird.

Bisher gänzlich ausgeklammert wurde in der öffentlichen Debatte über die "afrikanischen Verstümmelungen" dagegen, dass

a) auch Kinder mit "atypischen" Genitalien der "weiblichen" Genitalverstümmelung in Afrika zum Opfer fallen >>> mehr

b) Klitorisamputationen bei Mädchen in der westlichen Medizin seit dem 19. Jahrhundert als "Heilmittel" für vielerlei "Diagnosen" bis ins 20. Jahrhundert verbreitet waren und sind – über 1945 hinaus und in modifizierter Form bis heute jedoch nur bei "Mädchen" mit "zu großer Klitoris" oder sonstwie "fehlgebildetem Genitale" >>> mehr

c) in westlichen Kinderkliniken Kinder mit "atypischen" Genitalien bis auf den heutigen Tag zu 90% meist mehrfach irreversiblen kosmetischen Genitaloperationen unterworfen werden, ohne medizinische Notwendigkeit, ohne Evidenz und ohne ihre Einwilligung >>> mehr
 
Betroffene fordern Gerechtigkeit!

Überlebende von Genitalverstümmelungen in westlichen Kinderkliniken beklagen seit über 15 Jahren die vorherrschende Doppelmoral, dass einerseits Genitalverstümmelungen in Afrika als "barbarisch" gebrandmarkt und zu Recht verurteilt werden, während gleichzeitig die chirurgischen Genitalverstümmelungen an wehrlosen Kindern mit "atypischen" Genitalien vor der eigenen Haustüre ausgeblendet und öffentlich geleugnet werden – etwa vom Berliner Senat (Drucks. 16/144436) oder vom Bremer Staatsrat Hermann Schulte-Sasse (Landtag Bremen, 23.02.2011).

Eine Kritik, die mehr und mehr auch von ExpertInnen öffentlich geteilt wird, etwa von der Juristin Konstanze Plett (Amnesty Journal 03/08) oder dem Publizisten Andreas Nentwich (Editorial Sonntag / Leben & Glauben, Nr. 36/2010).
 
Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org fordert ein Verbot von kosmetischen Genitaloperationen an Kindern und Jugendlichen sowie "Menschenrechte auch für Zwitter!".

Betroffene sollen später selber darüber entscheiden, ob sie Operationen wollen oder nicht, und wenn ja, welche.
 
Freundliche Grüße

n e l l a
Daniela Truffer
Gründungsmitglied Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org

Mobile +41 (0) 76 398 06 50
presse_at_zwischengeschlecht.info

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Nachtrag: Maedchenmannschaft.net und Queerdenker.ch berichteten über unseren Aufruf. Oliver Tolmein verwies in einem Tweet auf die Pressemitteilung von Gesundheitsminister Bahr "Null Toleranz bei Genitalverstümmelung" und konstatierte trocken: "OPs an Intersexuellen interessieren aber nicht". Danke! 

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