"Intersex"-Veranstaltungen an Universitäten, die kosmetische "Genitalkorrekturen" an Kindern praktizieren - Aufruf zu praktischer Solidarität!

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"Klitorisamputationen an Kindern - Aufarbeitung tut Not!" Offener Brief an Uni ZH

Rundmail von Zwischengeschlecht.org vom 06.05.2012:

Liebe Studierende, Lehrende und weitere Interessierte

Aktuell finden und fanden erfreulicherweise an mehreren Unis Veranstaltungen statt mit dem Anspruch, kritisch über "Intersexualität" und die damit verbundenen andauernden Menschenrechtsverletzungen zu informieren (siehe unten Anhang 1). Dafür möchten wir uns bei allen Beteiligten ganz herzlich bedanken!

Leider ist es nun so, dass an all diesen Universitäten in deren Kinderkliniken und ggf. weiteren Akademischen Lehrkrankenhäusern unverändert medizinisch nicht notwendige "Genitalkorrekturen" an wehrlosen Kindern mit "atypischen Genitalien" praktiziert werden – trotz aller Proteste von Betroffenen in den letzten 20 Jahren gegen diese "westlichen Genitalverstümmelungen". Und trotz langjähriger Kritik auch von Menschenrechts-, FGM- und Ethik-Expert_innen. An vielen Unis geht diese unmenschliche Praxis inkl. "Klitorisamputationen" zudem historisch weit zurück, mancherorts bis ins "Dritte Reich" oder sogar bis ins 18. Jahrhundert. Und überall ist sowohl der aktuelle wie der historische Umfang kosmetischer "Genitalkorrekturen" an Kindern und Jugendlichen sowohl in Lehre wie Praxis nach wie vor unaufgearbeitet.

Und leider geht offenbar keine einzige dieser kritischen Veranstaltungen  – soweit sich das aus den Programmankündigungen ersehen lässt – konkret auf die aktuelle medizinische Praxis im eigenen Hause ein. Obwohl Betroffene wie auch solidarische Nicht-Zwitter seit Jahren anmahnen, dass eine "rein theoretische" bzw. akademische Beschäftigung mit diesem Thema ohne gleichzeitige praktische Solidarität mit dem Kampf der Betroffenen von kosmetischen Genitaloperationen im Kindesalter für die sofortige Beendigung dieser unmenschlichen Praxis unhaltbar ist und letztlich nur den VerstümmlerInnen in die Hände arbeitet (vgl. unten Anhang 2).

Aufarbeitung als praktische Solidarität – Unis Gießen und Marburg machen's vor

Als erste deutsche Uni beschloss die Philipps-Universität Marburg am 16. April 2012 auf Initiative des Autonomen FrauenLesbenReferates im AStA der Universität Marburg, eine öffentlich zugängliche Aufarbeitung von medizinisch nicht notwendigen Genitaloperationen an Kindern und Jugendlichen zu erarbeiten. Der Senat der Justus-Liebig-Universität wird am 6. Juni 2012 auf Initiative des Autonomen Schwulen-Trans*-Queer-Referates im AStA der JLU Gießen ebenfalls über einen entsprechenden Tagesordnungspunkt beraten. Beide Male unterstützte Zwischengeschlecht.org die Ausarbeitung der Anträge u.a. mit Recherchen zum aktuellen "Korrekturangebot" der beiden Unis.

Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org fordert alle Studierenden und Lehrenden auf, sich auch an ihrer Uni für eine Aufarbeitung kosmetischer "Genitalkorrekturen" an Kindern und Jugendlichen konkret einzusetzen! Die entsprechenden Anträge an den Senat der JLU Gießen und der PU Marburg stehen als Musteranträge zur freien Verfügung (Download siehe unten Anhang 3). Selbstverständlich ist Zwischengeschlecht.org auch bei der Ausarbeitung künftiger Anträge gerne mit Recherchen usw. behilflich.

Vielen Dank für eure praktische Unterstützung zur Durchsetzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit für alle Kinder!

Weiterleitung dieses Aufrufs ausdrücklich erwünscht!

Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org fordert ein Verbot von kosmetischen Genitaloperationen an Kindern und Jugendlichen sowie "Menschenrechte auch für Zwitter!".

Betroffene sollen später selber darüber entscheiden, ob sie Operationen wollen oder nicht, und wenn ja, welche.

Liebe Grüße

n e l l a
Daniela Truffer
Gründungsmitglied Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org

Mobile +41 (0) 76 398 06 50
presse_at_zwischengeschlecht.info

http://zwischengeschlecht.org
Regelmäßige Updates: http://zwischengeschlecht.info

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Chirurgische "Genitalkorrekturen" an Kindern: Typische Diagnosen und Eingriffe 

 
ANHANG 1:
Einige "Intersex"-Veranstaltungen an Universitäten, die kosmetische "Genitalkorrekturen" an Kindern und Jugendlichen praktizieren – offenbar ohne die Praxis im eigenen Hause konkret zu kritisieren

17.11.2010: J. W. Goethe-Universität Frankfurt (Cornelia Goethe Colloquien)

18.-20-01.2012: Technische Universität Dresden (Internationale & interdisziplinäre Konferenz "Transgender und Intersex in Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft")

08.05.-03.07.2012: Eberhard Karls Universität Tübingen (Studium Generale)

09.05.2012: Freie Universität Berlin (Human Rights Lectures 2012)

10.05.2012: Ruhr-Universität Bochum (Fachtagung "anders und gleich in NRW")

13.05.2012: Friedrich-Schiller-Universität Jena (IDAHOT* Jena 2012)

15.05.2012: Universität Hamburg (Queere Hochschultage)

28.06.2012: J. W. Goethe-Universität Frankfurt (AFLR Inhaltecafé)

ANHANG 2:
Kritik von Betroffenen und solidarischen Nicht-Zwittern an "rein akademischer" Behandlung des Themas ohne gleichzeitige praktische Solidarität im Kampf gegen uneingewilligte "Genitalkorrekturen"

Ausführliche bibliographische Angaben und ggf. Downloadlinks sowie weitere Texte:
https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2009/08/23/Zwitter-und-progressive-LGBTs-gegen-Vereinnahmung

Emi Koyama / Lisa Weasel:

"Von der sozialen Konstruktion zu sozialer Gerechtigkeit. Wie wir unsere Lehre zu Intersex verändern." (2002)

"Die Ergebnisse dieser Pilotstudie bestätigten unsere Vermutung, dass Intersex hauptsächlich als Forschungsobjekt verstanden wird, um den Begriff der Zweigeschlechtlichkeit (und des Sexismus, sowie der Homophobie) zu dekonstruieren, und nicht als ein Thema gesehen wird, das in der realen Welt Implikationen für reale Leute hat."

"Auch wenn die Lehrenden die besten Absichten hegen, untergraben fehlendes Bewusstsein für und die fehlende Beachtung der Realitäten von Intersexuellen die adäquate Darstellung des Themas. Dabei werden unbeabsichtigt die Nicht-Sichtbarkeit und die Objektivierung der Intersexuellen perpetuiert."

Georg Klauda:
"Über die Verstümmelung von Hermaphroditen" a.k.a. "Fürsorgliche Belagerung" (2002)

"Dass sich gerade [Transsexuelle sowie Lesben und Schwule] dieses Themas annehmen, liegt an einem Überschuss von Projektion. [...] Sie sehen nicht, dass die ungefragte Adoption von Hermaphroditen durch die Lesben-, Schwulen- und Trans[sexuell]enbewegung einer Überrumpelung und Kolonialisierung gleichkommt und moralisch unzulässig ist, weil sie das eigentliche Anliegen von Menschen mit medizinischer Gewalterfahrung überdeckt."

"Wir werden uns deshalb daran gewöhnen müssen, Hermaphroditen nicht als Angehörige einer Minderheit anzusprechen, sondern, ihrer eigenen Einschätzung gemäß, als medizinische Folteropfer."

Gabriele Dietze:

"Schnittpunkte. Gender Studies und Hermaphroditismus" (2006)

"Ohne sich der Quelle bewusst zu sein oder darauf zu reflektieren, 'umarmte' die zweite amerikanische Frauenbewegung den nützlichen Begriff Gender und begründete mit ihm den Ursprung einer neuen wissenschaftlichen Spezies (Disziplin), die Gender Studies."

"Vonnöten ist allerdings nicht nur ein Bewusstsein der Gender Studies gegenüber der Real-Existenz von Intersexualität und den traumatisierenden Effekten des gegenwärtigen Gender Normalisierungsregimes, sondern es ist ebenso zentral, die Genealogie der Kategorie Gender erneut zu durchschreiten und die Geschichte ihrer Operationalisierung mit der Tatsache zu konfrontieren, dass sie sozusagen in ihrer Ursprungsszene schon 'operativ' war."

Joke Janssen:
"Theoretisch intersexuell. Wie intersexuelle Menschen zwischen den Zeilen bleiben." (2006/2009)

"Die politischen Forderungen nach körperlicher Selbstbestimmung einer breit angelegten Medizinkritik oder einer Kritik der Zweigeschlechtlichkeit, welche die Individuen nicht aus dem Fokus verliert, finden sich ich den von mir gewählten gendertheoretischen Texten nicht wieder. Im Gegenteil lässt sich durchaus sagen, dass Intersexualität nur als abstrakt bleibende Widerlegung des Prinzips Zweigeschlechtlichkeit Eingang in die von mir kritisierten Texte findet."

"Eine theoretische Behandlung von Intersexualität, welche die Forderungen von Aktivist_innen nicht mitdenkt, schafft eine textuelle Wirklichkeit, in der eine «Gruppe» eine andere repräsentieren kann und Individuen bestimmte Kriterien erfüllen müssen, um an Diskursen teilnehmen zu können."

ANHANG 3:
Download Senatsanträge und Dekanatsanfrage Gießen, Marburg und FFM

Senatsantrag und Dekanatsanfrage Gießen:
https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2012/04/25/Senat-JLU-Stellungnahme-kosmetische-Genitaloperationen

Senatsantrag Marburg:
https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2012/04/12/Senat-der-Philipps-Universitat-Marburg-Stellungnahme-Genitaloperationen

Senatsantrag FFM:
https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2012/11/14/LIVEBLOG-Senatssitzung-zu-kosmetischen-Genitaloperationen-an-der-Goethe-Uni-FFM-14-11-12-ab-14h

Nachtrag Marburg und Gießen: Leider wurden die bewilligten Anträge schlussendlich schubladisiert und entgegen der Absichtserklärungen der Uni-Verantwortlichen keine Aufarbeitung unternommen. PFUI!!

Nachtrag 2015: Kinderspital Zürich startet Aufarbeitung von Intersex-Klitorisamputationen

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