Genf > UN-Ausschuss gegen Folter befragt Österreich zu Intersex-Genitalverstümmelungen – Vertragsstaat streitet dreist 2x alles ab!
By seelenlos on Friday, November 13 2015, 17:07 - Forderungen - Permalink
Alex Jürgen (VIMÖ), Daniela Truffer, Markus Bauer (Zwischengeschlecht.org)
nach dem erfolgreichen NGO-Intersex-Briefing, Palais Wilson 11.11.2015
Dieser Blog berichtet live aus der 56. Sitzung des UN-Ausschusses gegen Folter (CAT): 7. Periodische Überprüfung von Österreich, Do 12.11. 10-13h und Fr 13.11. 15-18h!
Inkl. Transkript der österreichischen Antworten zu Intersex.
Transkript der Fragen folgt, nachdem die Videoaufzeichnungen via http://www.treatybodywebcast.org/category/webcast-archives/cat/ heruntergeladen werden können.
Livebericht 1. Sitzung Do 12.11.
Do 10:38h: Die Live-Übertragung auf treatybodywebcast.org läuft jetzt (kurz warten + runterscrollen)! (Bisher stellte sich erst die österreichische Delegation vor, aktuell stellt nun der Vorsitzende des Ausschusses gegen Folter erste Fragen u.a. zu Verjährungsfristen.)
Do 10:50h: Der Vorsitzende Claudio Grossman stellt Fragen zu Intersex! Erwähnt unser Briefing gestern, erwähnt Schaden durch schädliche Praktiken, sagt es gehe u.a. um sterilisierende Eingriffe sowie maskulinisierende und feminisierende OPs. Komitee war sehr beindruckt durch den Zeugenbericht von Alex Jürgen. Fragt, ob Österreich die Problematik bekannt sei? Ob es gesetzgeberische Maßnamen gebe? Was kann unternommen werden? YAY!! Nun sind wir gespannt auf die Antworten der Staatendelegation, höchstwahrscheinlich in der morgigen Sitzung.
Livebericht 2. Sitzung Fr 13.11.
Fr 14:58h: Die Live-Übertragung auf treatybodywebcast.org läuft. Heute erwarten wir die Antworten der österreichischen Staatendelegation u.a. zu Intersex und IGM-Praktiken (vgl. diesbezügliche Fragen des CAT-Vorsitzenden Claudio Grossman gestern 12.11.).
Fr 15:05h: Hon. Prof. Dr. Gerhard Aigner (Bundesministerium für Gesundheit – Leiter Sektion II: Recht und Gesundheitlicher Verbraucherschutz) beantwortet Fragen zur Gesundheisversorgung von Flüchtlingen, danach von Häftlingen.
Fr 15:13h: Nun geht's um Entlöhnung (Taschengeld) von Menschen in geschützen Einrichtungen, und um Gewaltaspekte im öffentlichen Gesundheitssystem.
Fr 15:21h: Jetzt kommt die Antwort zu Intersex! Es wird alles breit abgestritten ...
Nachfolgend das Transkript der vollständigen Intersex-Antwort von Hon. Prof. Dr. Gerhard Aigner (Bundesministerium für Gesundheit – Leiter Sektion II: Recht und Gesundheitlicher Verbraucherschutz) (TRIGGERWARNUNG!!!):
«Ein weiterer Themenkomplex hat sich mit geschilderten Einzelfällen zum Thema Intersex beschäftigt. Ich muss Ihnen mitteilen, dass meine Recherche im Ministerium nicht ergeben hat, dass uns diese auf Ebene des Ministeriums bekannt wären.
Es hat allerdings die Österreichische Fachgesellschaft der Kinder- und Jugendheilkundeärzte, also Fachärzte für Kinder- und Jugendheilkunde, im Jahr 2013 den Expertenstandpunkt(*) eingenommen, dass derartige Eingriffe im Kinder- und im Jugendalter, egal ob es Mädchen oder Knaben betrifft, nur mit äusserster Zurückhaltung zu beurteilen sind.
Solche Eingriffe aus kosmetischen oder ästhetischen Gründen sind selbstverständlich generell ausnahmslos überhaupt ausgeschlossen, kommt nicht in Frage, definitives No-Go.
Nach dem Stand der Wissenschaft, nach dem Stand der ärztlichen Wissenschaft soll vielmehr abgewartet werden, in welche Richtung sich Kinder und Jugendliche entwickeln und es ist nach dieser, nach diesem Standpunkt der Fachärztegesellschaft danach zu trachten, einen Eingriff, sofern der überhaupt wirklich notwendig wird, möglichst spät vorzunehmen, und bevor die Entscheidung in diese Richtung gefällt wird, nicht nur rein ärztliche Beurteilung vorzunehmen, sondern auch psychologische Aspekte in die fachliche Beurteilung einfliessen zu lassen, sprich die Beurteilung wirklich durch ein interdisziplinäres Team.
Die Fälle, die geschildert wurden, liegen nach meinem Eindruck eben einige Zeit bereits zurück.
Ergänzen darf ich, dass das Ärztegesetz Ärzte verpflichtet, eben den gesamten ärztlichen Beruf nach dem Stand der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung zum Wohl des Patienten auszuüben, was solche Eingriffe an Kindern wohl ebenso ausschliesst.
Nachdem es sich um schwere, nachhaltige Eingriffe handelt, müsste es jedenfalls nach einer Bestimmung im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch des Konsenses zwischen Minderjährigen und Eltern bzw. Obsorgeberechtigten handeln. Eltern können hier gegen den Willen des Minderjährigen nicht die Einwilligung erteilen.
Und sollte es Fälle geben, wo Kinder unter dem Einfluss der Eltern und Eltern im Konsens agieren, dann würde es hier, nachdem was ich zur Vorgehensweise nach dem Stand der Wissenschaft der Medizin [weiss], notwendig sein, dass ein Arzt, auch wenn ein Konsens zwischen Kind und Eltern vorliegt, er aber der Meinung ist, dieser Eingriff ist zu früh, dieser Eingriff dient nicht dem Kindeswohl, sich hier nicht auf den Konsens berufen [darf], sondern den Jugendwohlfahrtsträger anzurufen [hat], [worauf] hier dann die elterliche Entscheidung auf die Behördejugendwohlfahrt übergeht.»
Meine 2 Cent: Hoffentlich lässt sich der Ausschuss durch dieses oberdreiste Abstreiten nicht hinters Licht führen! Fortsetzung folgt ...
Fr 15:25h: Nun geht's um Gewalt in geschlossenen Einrichtungen ...
Fr 16:47h: Jetzt hakt der Vorsitzende Claudio Grossman nochmals wegen Intersex nach: Bei Hearings haben NGOs jedesmal auf das andauernde Leiden hingewiesen. Ob es wirklich eine Veränderung in der Medizin gäbe? Die Medizin scheine die Auswirkungen der Behandlungen noch nicht vollständig zu erfassen. Die Medizin habe eine nicht zu unterschätzende Autorität. Als Anregung: Gebe es keine Möglichkeit, die Medizin darauf hinzuweisen, dass solche Behandlungen weitgehende juristische Konsequenzen haben können?
Fr 17:54: Hon. Prof. Dr. Gerhard Aigner (Bundesministerium für Gesundheit – Leiter Sektion II: Recht und Gesundheitlicher Verbraucherschutz) holt zur 2. Intersex-Watsche aus ... (TRIGGERWARNUNG!!!):
«Ansonsten ist es im Bereich der Medizin, das geht weit über Psychiatrie und OPCAT hinaus, eigentlich österreichische Tradition, wo ich direkt auf Franz Witten und Maria Theresia zurückgreifen möchte, dass hohe medizinische Expertise durch die Floskel „Die Medizin und die Behandlung von Patienten hat den anerkannten Erkenntnissen der Medizin zu folgen“ eigentlich absolut dynamisch und synchron der Fortentwicklung dieser Naturwissenschaft folgt, wohingegen Gesetzgebung mit ihrer Behäbigkeit eigentlich immer nur dahinter herhinken könnte.
Das gilt auch, das ist irgendwie angeklungen, Intersex-Transgender-Paradigmenwechsel, dass eben die Expertengruppe der Österreichischen Fachgesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendheilkunde(*) im Jahr 2013 sich dazu bekannt hat, dass derartige Eingriffe mit äusserster Zurückhaltung nur geschehen sollen und, wenn irgend geht, bis zu dem Zeitpunkt aufzuschieben sind, als die betroffene Person selbst eigentlich Klarheit hat, wie sie eigentlich gegen Ende der Pubertät von ihrer künftigen geschlechtlichen Orientierung Gebrauch machen möchte.
Dass Ärzte eine gewisse Autorität ausstrahlen, ist glaube ich nicht nur ein Faktum in Österreich mit unseren Ärzten, sondern ich glaube, dass bereits Fernsehsendungen zum Ausdruck bringen, weltweit eigentlich, welchen Einfluss und welche Bestimmung Ärzte ausüben. Auf der anderen Seite sprechen wir immer mehr vom selbstbestimmten Patienten. Also ich glaube, dass Patienten in einer aufgeklärten Welt schlussendlich auch durch Doktor Google beeinflusst mehr in der Lage sind, Ärzten die Stirn zu bieten und zu sagen, wo es ihrer Meinung nach mit ihrem Körper und ihrer Gesundheit langgeht. Dankeschön.»
Fr 18:00: Die Sitzung ist geschlossen.
(*) Anmerkung: Die Österreichischen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendheilkunde (ÖGKJ) verfügt über keine "Intersex-" oder "DSD-Leitlinien" – offensichtlich versucht Aigner hier die "ÖKGJ-Transgender-Leitlinie" a.k.a. "Positionspapier: Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit Störungen der Geschlechtsidentität (Geschlechtsdysphorie, "Transgender")" (die mit Intersex rein gar nix zu tun hat) als "Intersex-Leitlinie" verkaufen ...
Demgegenüber gibt es diverse Intersex-relevante Leitlinien u.a. vom "Arbeitskreis Kinderurologie der ÖGU" sowie einschlägige Fachpublikationen, die alle möglichst frühe unnötige GenitalOPs verschreiben (vgl. Schattenbericht PDF S. 8-9).
Meine 2 Cent: Während die Österreichische Delegation offenbar glaubt, den Ausschuss mit solch schamlosen Ausreden und Verdehungen zu beeindrucken, könnte am Ende eine böse Überraschung auf sie warten! Wenn der Ausschuss nach schamlosem Abstreiten der Staatenvertretung nochmals nachfragt, und es kommt erneut nur Ableugnen und Ausreden, führt dies in der Regel zu besonders starken "Abschließenden Bemerkungen" – für Österreich im Dezember fällig. Fortsetzung folgt ...
>>> Englische UN-Medienmitteilung zur Sitzung, erwähnt Intersex
>>> Französische UN-Medienmitteilung zur Sitzung, erwähnt Intersex
2015 NGO Report an UN-Ausschuss gegen Folter (CAT)
>>> Blacked Out English (PDF 2.75 MB) (ohne Medizyner-Fotos)
>>> Unredacted English (PDF 3.33 MB)
Compiled by:
Verein Intersexueller Menschen Österreich VIMÖ
Zwischengeschlecht.org / StopIGM.org
>>> CAT 2015 Thematischer Intersex-NGO-Bericht Dänemark | PDF
>>> CAT 2015 Thematischer Intersex-NGO-Bericht Hongkong + China | PDF
>>> CAT #56 untersucht IGM-Praktiken in Dänemark
>>> CAT #56 untersucht IGM-Praktiken in Hong Kong + China + Macau
Siehe auch:
- "Schädliche Praxis" und "Gewalt": UN-Kinderrechtsausschuss (CRC) verurteilt IGM
- "Unmenschliche Behandlung": UN-Ausschuss gegen Folter (CAT) verurteilt IGM
- UN-Menschenrechtsausschuss (HRCttee) untersucht IGM-Praktiken
- "Nur die Angst vor dem Richter wird meine Kollegen dazu bringen, ihre Praxis zu ändern"
- CAT 2011: Deutschland soll IGM-Praktiken untersuchen und Überlebende entschädigen
>>> Zwangsoperierte Zwitter über sich selbst und ihr Leben
>>> Intersex-Genitalverstümmelungen: Typische Diagnosen und Eingriffe
>>> IGM – eine Genealogie der TäterInnen