NS-Diagnose "Intersexuelle Konstitution" - Wilhelm Weibel: "Intersex-Typus (Mannweib, Schizoid)" (Lehrbuch Frauenheilkunde, Wien/Berlin 1944) - Paul Mathes, Robert Stigler, Hans Guggisberg, Fritz Lenz, Otto Flößner, Hans Naujoks, Walther Stoeckel u.v.a.m.

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“Der Intersex-Typus  ( M a n n w e i b ,  S c h i z o i d )  (Abb. 863) ist körperlich und psychisch ausgedrückt. Es kommen auch sexuelle Zwischenstufen vor, wobei feminine Zeichen nur schwach ausgebildet sind. Die Behaarung ist übermäßig und atypisch, die Züge sind männlich, die Stimme ist tief. Die Pubertät tritt verzögert auf, es besteht Frigidität und eine herabgesetzte Fruchtbarkeit bei Hypoplasie der Keimdrüsen und Hyperfunktion der Hypophyse, manchmal ein eunuchoider Hochwuchs, ferner Störungen in der Funktion der Thyreoidea. Häufig wird Dysmenorrhöe beobachtet”  (Quelle: Gelöschter Kommentar Nr. 129 von ETEKAR, 24.6.11)

Zwischengeschlecht.org «Körperliche Unversehrtheit auch für Zwitter!» (Bild: NZZ Format/SF1)Aufarbeitung tut not! Am 14.7.11 zensierte der Deutschen Ethikrat in seinem Online"diskurs" obigen mit Quellenanagebe belegten Hinweis auf den im "Lehrbuch der Frauenheilkunde" von Wilhelm Weibel (7. Aufl., Berlin/Wien 1944 S. 647f.) propagierten sog. "intersexuellen Konstitutionstypus":
 

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Der sog. "Intersexuelle Konstitutionstypus" war eine seit den 1920-er Jahren verbreitete "völkische Diagnose", welche (in Anlehnung an Richard Goldschmidt) Zwitter als "minderwertige Spezies" infolge von "Rassenvermischung" definierte, die angeblich in der "jüdischen Rasse" gehäuft auftrete.

Diese rassistische "Lehre" war auch der theoretische Hintergrund für die verbrecherischen "Experimente" an Zwittern in Auschwitz durch Josef Mengele (1911-1971).

Das Aufkommen der völkischen Diagnose "Intersexueller Konstitutionstypus" in den 1920ern in der Gynäkologie in Österreich als eigenständige "völkische Diagnose", 1924 erstmals publiziert vom österreichischen Gynäkologen Paul Mathes (1871-1923) und dem Schweizer Gynäkologen und Zwangssteriliserer Hans Guggisberg (1880-1977) ("Die Konstitutionstypen des Weibes, insbesondere der intersexuelle Typus", in: Josef Halban, Ludwig Seitz: Biologie und Pathologie des Weibes. Bd.3, 1924) war gleichzeitig die Einführung des Begriffs "Intersex" in die Humanmedizin. Diese rassistische Definition von "Intersex" als "entartet", "krankhaft" und "minderwertig" wurde in der Folge von zahlreichen prominenten NS-Medizinern und "Rassenhygienikern" bis in die 1950er-Jahre propagiert, und wirkt unterschwellig bis ins 21. Jahrhundert fort (vgl. z.B. "Wir wollen in Deutschland keine Mutanten züchten", 2003, "therapeutische" Spätabtreibungen bei "Intersex-Gefahr").

Weitere prominente völkische und NS-Propagandisten dieser rassistischen "Theorie" waren nebst den bereit erwähnten Wilhelm Weibel (Wien, Prag 1876-1945) (--> PDF S. 316 / S. 314 laut Seitennummerierung) und Josef Mengele u.a. der Namensgeber des "Intersexuellen Konstitutionstypus" Paul Mathes (Innsbruck, Wien, Graz 1871-1923), Robert Stigler (Steyr, Wien, Graz, Bern 1878-1975) (PDF 45.3 MB, Jg 1919-1920, S. 6-9, bes. S. 7, = S. 166-9 rsp. 167 Gesamt-PDF), Lothar Gottlieb Tirala (Wien, München 1866-1974), Fritz Lenz (München, Göttingen 1887-1976), Hans Günther (Freiburg i.Br. 1891-1968)  (--> PDF 44 MB S. 274f. / im Buch S. 272f.), Theodor Fritsch (Markkleeberg b. Leipzig 1852-1933) (--> PDF 226 MB S. 33, im Buch S. 31)  Hans Christian Naujoks (Marburg, Köln, Frankfurt a.M. 1892-1959), Arno Schickedanz (Berlin 1892-1945), Otto Herschan (Breslau/Wrocław *1895), Otto Flößner (Berlin 1895-1948) und Walther Stoeckel (Berlin 1871-1961).

Weitere aus dem Ethikrat-"Diskurs" herauszensierte NS-Quellen zu "Intersex" betreffen u.a. Ausführungen zur Eheunfähigkeit (Luise Kimm: “Über Pseudohermaphroditismus masculinus und die Indikationsstellung für die operative Bildung einer künstlichen Vagina”, 1935), Überlegungen zu Häufung von "Intersexualität" unter Juden durch "Bastardisierung und Rassenkreuzung" (Otto Flößner: Rassenphysiologie, in: Johannes Schottky (Hrsg.): "Rasse und Krankheit", 1937, S. 42) und die "biologische Minderwertigkeit" von Hermaphroditen (Hans Christian Naujoks, "Über echte Zwitterbildung beim Menschen und ihre Beeinflussung", 1934).

Wilhelm Weibel (Mitte) 1917 als "Lieblingsschüler"
des Wiener Gynäkologen Ernst Wertheim
(links).

Eine historische Aufarbeitung der medizinischen Verbrechen an Zwittern steht in allen deutschsprachigen Ländern nach wie vor aus – sowohl für die NS-Zeit wie auch für die Zeit nach 1950, als die systematischen Genitalverstümmelungen an Kleinkindern überhand nahmen. Obwohl es mittlerweile Ansätze zu einer Aufarbeitung gibt (z.B. in Österreich Überlegungen zur Rückgängigmachung von Straßenbenennungen, etwa bei Robert Stigler in Steyr und Wilhelm Weibel in Wien), und praktisch alle oben Erwähnten eigentlich längst als Nazigrößen, NS-Medizyner und Rassenhygieniker öffentlich bekannt sind, ist ihre Rolle in den systematischen medizinischen Verbrechen an Intersexen bis heute in der Öffentlichkeit kein Thema.

Aktuelle akademische Publikationen aus der Geschlechterforschung, die sich (auch) mit dem Schicksal von "Intersexuellen" im "3. Reich" beschäftigen, behaupten regelmäßig, es hätte unter den Nazis angeblich keine Verfolgung von Zwittern gegeben, und verweisen dabei darauf, es liessen sich keine spezifischen NS-"Zwittergesetze" oder -Erlasse nachweisen (vgl. z.B. die preisekrönte Dissertation von Angela Kolbe: "Intersexualität, Zweigeschlechtlichkeit und Verfassungsrecht"; vgl. weiter den vollständigen Mangel an konkreten Erkenntnissen zu "Inter*geschichte" im Workshop „Lebenssituationen und Repressionen von [...] Intersexuellen im Nationalsozialismus“ der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld vom 01.02.2013).

Der Mensch oben auf dem Bild bei Weibel hat zudem offenbar eine etwa handbreite frische Operationsnarbe vom Bauchnabel abwärts, wie sie für auch nach dem 2. Welltkrieg verbreitete "chirurgische Explorationen" zur Feststellung der Gonaden (Eierstöcke, Bauchhoden und/oder Mischgewebe) typisch ist.

Intersex: Ohne Aufarbeitung, Keine Aussöhnung

Welches typische Los Intersex-Menschen, die von prominenten NS-Medizynern als von vornherein "schizoide Abartige" und "Untermenschen" klassifiziert wurden, in Nazi-Deutschland und -Österreich sonst noch drohte – 3x dürft ihr raten!

Kommt noch dazu, dass auch Weibels Handbuch noch 1947 diesbezüglich inhaltlich unverändert neu aufgelegt wurde ...

Intersex Genital Mutilations
Human Rights Violations Of Children With Variations Of Sex Anatomy

2014 NGO Report an das UN-Kinderrechtekomitee (CRC) (englisch)
Belegt 17 gebräuchliche IGM-Formen und NS-Verbrechen in CH, D, A
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>>> Innsbruck 6.–10. Mai 2014: Intersex-Info + Proteste vs. "25th ESPU" + Med. Uni
>>> IGM in Österreich (1): Wien, Linz, Innsbruck

>>> Intersexe "biologische minderwertig" (Prof. Dr. Hans Christian Naujoks, 1934)

>>>
Dokumentation der Zensur auf dem Ethikrat-Online-"Diskurs" 
>>> IGMs: Typische Diagnosen und Eingriffe
>>> IGM – eine Genealogie der TäterInnen
>>>
150 Jahre Menschenversuche ohne Ethik und Gewissen