D > Landtag Schleswig-Holstein ächtet Intersex-Genitalverstümmelungen – Konsequenzen für Uniklinik Lübeck?

Bild: Die "D$D-Zentrale des Bösen", Uniklinikum Schleswig-Holstein zu Lübeck, 22.05.2011

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STOP Intersex Genital Mutilation!Hipp, hipp! Es wird weiterhin enger für Intersex-GenitalverstümmlerInnen:

Am 17.11. überwies der Schleswig-Holsteinische Landtag einen >>> Antrag 18/4842(neu) "Rechte von trans- und intersexuellen Menschen stärken" (PDF) von SPD, Bündnis 90/ Die Grünen, FDP, Piraten und SSW – bei Enthaltung von CDU –, der auf S. 2 unmissverständlich fordert:

  • Sicherstellung, dass geschlechtszuweisende und -anpassende Operationen an minderjährigen intersexuellen Menschen ohne deren ausdrückliche Einwilligung nicht mehr durchgeführt werden.
  • Gewährleistung, dass intergeschlechtliche Jugendliche über die an ihnen vorgenommenen medizinischen Maßnahmen umfassend informiert werden und an der Wahl der Therapie beteiligt werden.

Weiter fordert der Antrag:

  • "Stärkung der Organisationen, die transsexuelle und intersexuelle Menschen beraten und ihre Interessen vertreten"
  • "Aufbau eines digitalen Vernetzungs- und Informationsportals (Wissensnetz)" für Betroffene und Angehörige
  • "Verbesserte Berücksichtigung der Belange intergeschlechtlicher und transsexueller Menschen bei der medizinischen Aus-und Fortbildung"

Dafür von diesem Blog ein ganz herzliches Dankeschön an Trans Alliance und alle, die das möglich machten!

Nun stellt sich die Frage, was Schleswig-Holstein konkret unternimmt, um Intersex-Genitalverstümmelungen namentlich im Universtitätsklinikum Schleswig-Holstein zu Lübeck und Kiel künftig wirksam zu verhindern?

Wie auch das Beispiel von Malta illustriert, reicht dazu eine bloße Absichtserklärung oder auch ein bloß formelles Verbot ohne konkrete Sanktionen leider nicht aus – vor allem, wenn (wie im Schleswig-Holsteinischen Landtag) gleichzeitig noch mehrheitlich behauptet wird, heute würde angeblich eh nicht mehr operiert ...

Nachfolgend die wichtigsten relevanten Voten aus dem >>> Plenarprotokoll der 133. Sitzung (PDF, S. 72-80) | Video-links. Dazu ist leider festzuhalten, dass die Mehrheit der Sprechenden Intersex-Genitalverstümmelungen entweder ganz außen vor ließ, oder falls nicht, sie mehrheitlich ausschließlich in der Vergangenheit ansiedelten:

Rasmus Andresen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

"Die Lage für viele Intersexuelle - Menschen mit nicht eindeutigen körperlichen Geschlechtsanlagen - ist noch komplizierter als die für Transsexuelle. Viele intersexuelle Kinder und Jugendliche leiden unter medizinischen Eingriffen in Form von geschlechtszuweisenden Operationen. Solche Operationen können schwere Körperverletzungen bedeuten und psychische Langzeitschäden auslösen. Wir fordern deshalb in unserem Antrag sehr deutlich, dass es solche massiv verletzenden Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung von jungen Menschen nicht ohne ihre ausdrückliche Einwilligung und nicht ohne umfassende Information geben darf.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP, PIRATEN und SSW)

Genitalverstümmelungen an Intersexuellen gehören darüber hinaus ganz verboten. Alles andere ist skandalös und muss geändert werden."

Katja Rathje-Hoffmann (CDU):

"In dem Antrag der Koalition geht es auch um die Rechte der intersexuellen Menschen, die genetisch beziehungsweise anatomisch nicht eindeutig dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zugeordnet werden können. Wir sprechen hier von Hermaphroditen oder umgangssprachlich auch Zwittern.

Bis in die 60er-Jahre wurde bei Kindern mit nicht eindeutig bestimmbarem Geschlecht bereits bei Neugeborenen eine genitalangleichende Operation durchgeführt. Diese Eingriffe fanden meist ohne hinreichende Aufklärung der Eltern über die damit verbundenen Risiken und später notwendigen Folgebehandlungen statt. Dies stand gravierend im Widerspruch zur Bedeutung dieser OP als irreversiblen Eingriff in den Kernbereich der persönlichen Identität und der körperlichen Unversehrtheit.

Durch diese von den Eltern festgelegte Geschlechterzugehörigkeit der intersexuellen Kinder wurde als Folgeerscheinung hoher Druck auf die Kinder ausgeübt, sich dem äußeren Geschlecht entsprechend zu verhalten. Auch wurde häufig den Kindern der Grund für die vielen medizinischen Untersuchungen verschwiegen - aus Schamgründen."

Wolfgang Baasch (SPD):

[sprach Intersex-Genitalverstümmelungen nicht an, sonder lediglich pauschal "Gewalterfahrungen aufgrund sexueller Orientierung" ...]

Dr. Heiner Garg (FDP):

[sprach Intersex-Genitalverstümmelungen nicht an, sondern lediglich pauschal "dass wir endlich Menschenrechte herstellen müssen" ...]

Torge Schmidt (PIRATEN):

"Genauso darf es nicht sein, dass ohne Einwilligung geschlechtszuweisende oder -anpassende Operationen an minderjährigen intersexuellen Menschen stattfinden."

Flemming Meyer (SSW [Südschleswigscher Wählerverband]):

"Da ist es wenig überraschend, dass intersexuelle Kinder noch bis vor Kurzem ohne ihre Einwilligung operiert wurden, um ihnen Entscheidungen abzunehmen. Ärzte und Eltern meinten, im Interesse der Kinder zu handeln. Damit wurde ihnen aber großes Leid angetan."

Kristin Alheit, Ministerin für Soziales, Gesundheit, Wissenschaft und Gleichstellung (SPD):

[sprach Intersex-Genitalverstümmelungen nicht an, sondern verwies lediglich pauschal auf den "sehr umfangreichen Bericht" des "Bundesgleichstellungsministerium[s]" – gemeint ist damit wohl der in Sachen IGM sehr unzulängliche IMAG-Bericht des Familienministeriums ...]

>>> Intersex-Genitalverstümmelungen: Typische Diagnosen und Eingriffe
>>> Zwangsoperierte Zwitter über sich selbst und ihr Leben
>>> IGM – eine Genealogie der TäterInnen

Siehe auch:
- UNO zum Intersex Awareness Day: "Schädliche medizinische Praktiken beenden"
"Schädliche Praxis" und "Gewalt": UN-Kinderrechtsausschuss (CRC) verurteilt IGM
- "Unmenschliche Behandlung": UN-Ausschuss gegen Folter (CAT) verurteilt IGM
- UN-Menschenrechtsausschuss (HRCttee) untersucht IGM-Praktiken
- "Nur die Angst vor dem Richter wird meine Kollegen dazu bringen, ihre Praxis zu ändern" 
- UN-Behindertenrechtsausschuss (CRPD) kritisiert IGM-Straflosigkeit in Deutschland
- CAT 2011: Deutschland soll IGM-Praktiken untersuchen und Überlebende entschädigen

Input von Daniela Truffer zum "Fachtag Intersex"
  • IGM Überlebende – Danielas Geschichte
  • Historischer Überblick:
     "Zwitter gab es schon immer – IGM nicht!"
  • Was ist Intersex?  • Was sind IGM-Praktiken?
  • IGM in Hannover  • Kritik von Betroffenen  • u.a.m.
>>> PDF-Download (5.53 MB)