Artikel über Intersexuelle in DAS MAGAZIN
By nella on Saturday, September 15 2007, 02:30 - Die Medien - Permalink
In der Ausgabe Nr. 36/2007 der Samstagsbeilage DAS MAGAZIN unter dem Titel Die Frau, die nie ein Mann war vom 8.9.2007 ist ein Artikel von Christoph Keller über das Leben der Intersexuellen Laura Armani erschienen.
HIER FRISCH VON DER LEBER WEG EINIGE GEDANKEN:
Obwohl Laura Armani in anderen Publikationen als transsexuell beschrieben wird und sich selbst auch als solche bezeichnet – bei Google findet man gerade mal einen Eintrag zu „Laura + Armani + Intersex“, eben denjenigen zu diesem Artikel – ist sie offensichtlich intersexuell. (Nachtrag: Wenn denn die im Artikel erwähnten Fotos eines intersexuellen Genitals (Mikropenis und Leistenhoden) wirklich von Frau Armani stammen. Nirgends erwähnt werden zudem Operationen oder Untersuchungen in der Kindheit, etwas, was sozusagen jede(r) von uns über sich ergehen lassen musste. Frau Armanis Intesexualität muss diversen Ärzten entgangen sein. Wenn's stimmt: Gott sei Dank!)
Leider trägt sie mit ihren Aussagen dazu bei, dass die geneigte Leserin und der geneigte Leser (die im Durchschnitt über Intersexualität überhaupt nichts wissen) verwirrt sind, wenn sie beispielsweise sagt, dass sie „schon von Geburt an transsexuell (sei) mit einem schon immer femininen und grazilen Körperbau, aber mit leider einem äusseren massiv unterentwickelten und nicht funktionellen männlichen Genitale mit Leistenhoden seit der Kindheit“. Sie beschreibt einen intersexuellen Körper und setzt ihn mit transsexuell gleich. Andernorts ist von „transsexuellen Leiden“ die Rede, zugleich hat es noch detailliertere Beschreibung des intersexuellen Körpers. Eine Medizinerin, die ‚transsexuell’ und ‚intersexuell’ in einem Atemzug nennt, stimmt nachdenklich.
Wieso bezeichnet Frau Armani sich in den Medien als transsexuell, wo sie doch als Ärztin den Unterschied kennen sollte? Benutzt sie 'transsexuell' aufgrund ihres Erlebens, wie es beispielsweise auch Homosexuelle gibt, die sich als 'psychisch intersexuell' bezeichnen? Ist Frau Armani genetisch männlich (XY-Chromosomen) oder genetisch weiblich (XX-Chromosomen)? Was war bei ihr die Ursache der Intersexualität? Androgenresistenz? Enzymdefekt?
Und: "sie schafften es, zwei Kinder zu zeugen, die einzige Lösung waren artifizielle Hilfsmittel". Was sind das für "artifizielle Hilfsmittel"? Sind Intersexuelle zeugungsfähig?
Der Laie wird hier wohl kaum den Durchblick kriegen.
Immerhin spricht der Titel des Artikels Klartext und bringt den Unterschied zwischen Intersexualität und Transsexualität auf den Punkt: „Die Frau, die nie ein Mann war“ ist intersexuell geboren. Wäre von einer Transsexuellen die Rede, müsste der Titel heissen: Die Frau, die ein Mann war. Aber ob der Laie diesen Unterschied bemerken und diesem „nie“ die ihm zustehende Bedeutung zukommen lassen wird?
Es ist verständlich, dass Frau Armani sich als transsexuell bezeichnet, weil ihr Werdegang demjenigen eines Transsexuellen ähnelt. Auch handelt es sich bei der Geschlechtszuweisung von intersexuellen Kindern genau genommen um eine Zwangstranssexualisierung: ein intersexueller Mensch wird OHNE SEINE PERSÖNLICHE ZUSTIMMUNG entweder dem weiblichen (in den meisten Fällen) oder dem männlichen Geschlecht zugewiesen.
Dennoch ist es etwas ganz anderes, intersexuell zu sein. Das Hauptmerkmal habe ich oben erläutert: uns hat niemand gefragt, ob wir zu einer ‚Frau’ oder einem ‚Mann’ gemacht werden wollen. Über unsere Körper wurde bestimmt, ohne uns zu fragen.
Was Herr Prof. Mullis sagt, ist bezeichnend für die Situation, die auch heute noch herrscht:
Zwar sei das 'dritte Geschlecht' immer noch Utopie, aber "immerhin" "wächst unter den Ärzten die Bereitschaft, ein unbestimmtes Geschlecht auch einmal sein zu lassen, wenn es sich medizinisch vertreten lässt" ... „auch einmal sein zu lassen“ - das erinnert mich irgendwie an meine Kindheit, als ich vor dem Mittagessen auch schon mal etwas Süsses naschen durfte, obwohl es sonst verboten war. Glücklich also diejenigen, bei denen die Mediziner grosszügigerweise ein Auge zudrücken und die "auch einmal" mit einem unoperierten Genital alt werden dürfen! Das ist dann wie ein Sechser im Lotto – und wohl auch entsprechend selten.
Bei diesem Tempo im Umdenken werden noch viele Intersexuelle 'daran glauben' müssen. Dabei wäre es doch so einfach: Geschlechtszuweisende Operationen dürfen nur im Einverständnis der intersexuellen Person durchgeführt werden! Es geht um Menschenrechte, um Kinderrechte: das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit, auf Selbstbestimmung und Würde.
Ärzte haben nur die Macht, die ihnen zugestanden wird. Ich appelliere an die Eltern! Durch geschlechtsangleichende Operationen soll das Kind davor geschützt werden, sozial ausgegrenzt zu werden und unglücklich zu sein. Aber gerade durch diese Operationen wird dieses Gefühl umso grösser! Ich habe es am eigenen Leib erfahren. Ich kann mich noch so gut an diese grosse Angst erinnern, die in mir war, ein grosses, schwarzes, kaltes Loch, eine Art Vakuum, und ich dachte: ich darf diese Angst nicht zeigen, ich darf nicht schreien und weinen, wenn ich das tue, dann klappt meine Mutter vollends zusammen.
Es ist nicht einfach, ein intersexuelles Kind grosszuziehen bis zu dem Moment, wo es selber entscheiden kann. Aber der Mensch geht nicht an der Wahrheit zugrunde, sondern weil sie ihm vorenthalten wird.
Fortsetzung:Eine transsexuelle Medizinerin, ein homosexueller Moderator und ein Psychologe vom Mars (Teil 1)
Laura Armani - intersexuell oder transsexuell? (Teil 2)
Helma Katrin Alter – transsexuell oder intersexuell?
Comments
Leserbrief zum Magazin-Artikel auf intersex.ch:
http://intersex.ch/publikationen.ph...
Ich fand den Artikel sehr verwirrend. Die ganze Geschichte bleibt sehr diffuse und es drängt sich der Gedanke auf, dass Frau Armani selbst nicht so recht weiß, was eigentlich mir ihr los ist, immerhin scheint sie doch selbst Ärztin zu sein und das führt doch zu einer erheblichen Diskrepanz ihrer Aussagen gegenüber ihrem wahrscheinlichen medizinischen Fachwissen. Liegt der Grund für die verwirrende Darstellung der Fakten womäglich beim Journalisten, der unreflektiert und unwissend eine kleine Sensationsgeschichte verfasst hat?
Ich habe das Gefühl, dass die verwirrende Darstellung der Fakten eher daher rührt, dass Frau Armani sich als transsexuell versteht, obwohl sie intersexuell ist. Bei Google finden sich etliche Einträge "Laura Armani" + "transsexuell", aber nur einen einzigen mit "Laura Armani" + "intersexuell", denjenigen des Magazin-Artikels. Mal ganz provokativ gesagt: transsexuell ist hip, intersexuell ist abartig (vgl. dazu Michels Eintrag im Hermaphroditforum: http://65694.rapidforum.com/topic=1... zu einem Artikel über Laura Armani in Der Bund vom 31. März 2007). Es muss ja etwas bedeuten, dass Frau Armani sich bisher als Transsexuelle in Medien präsentieren liess. Dass sie erst vor Kurzem von ihrer Intersexualität erfahren hat, ist wohl eher unwahrscheinlich, als Ärztin sollte sie ja eigentlich den Unterschied kennen.
Warum also diesen Artikel über Intersexualität? Der Autor hat sich mehrmals mit Intersexualität auseinandergesetzt und wollte einfach einen Artikel über Intersexualität schreiben. Und Frau Armani wollte, dass ein weiterer Artikel über sie erscheint. Die konkreten Fakten über Intersexualität kommen vom Autor, die wichtigsten Informationen werden geliefert (nicht zuletzt der Link auf intersex.ch). Frau Armani, als quasi lebendes Beispiel, lässt sich jedoch irgendwie nicht 'integrieren', verweigert sich gewissermassen, so mein Gefühl. Deshalb wohl dieses Diffuse.
Vielleicht wäre es Frau Armani auch lieber gewesen, wenn der Autor das mit dem intersexuell nicht so betont oder ganz weggelassen hätte? Vielleicht haben die beiden eine Art Kompromiss geschlossen? Ich schreibe einen Artikel über dich, aber es muss was über Intersexualität drin stehen. Fragen über Fragen.
Der Autor hätte das ja beispielsweise auch thematisieren können, dass Frau Armani sich als transsexuell bezeichnet, obwohl sie intersexuell ist. Aber das hätte wohl auch die Bereitschaft von Frau Armani vorausgesetzt. Und die war wohl eher nicht vorhanden. Im Endeffekt ist meiner Ansicht nach ein Artikel entstanden, den nur 'Insider' verstehen, weil sie aus eigener Erfahrung wissen, was intersexuell und transsexuell unterscheidet. Dass Intersexualität nicht zu 'heterosexuell', 'bisexuell', 'homosexuell' und 'transsexuell' dazugereiht werden kann, weil Intersexualität eine biologische Zweigeschlechtlichkeit bezeichnet, und nicht eine sexuelle Vorliebe, wird durch diesen Artikel nicht geklärt.
Nella
Ich sehe Laura Armani als eindeutig transsexuellen Menschen an, da sie als "Er" eigene Kinder gezeugt und großgezogen hat.
Frances Kreuzer
Laura Armani ist ein wunderbare tolle Frau, eine super Aerztin und wer sie kennt wird keinen Moment lang nur einen Zweifel haben darüber, dass sie eine Frau ist und immer schon war. Nur wer schon in der Familie gezwungen wird als Mann aufzuwachsen, wird irgenwann trotz Intersexualität zur Transsexuellen, weil sie die Identität von der vom Vater auferzwungenen Männerrolle zum immer gefühlten Geschlecht der Frau wechseln musste. Die Tatsache dass Laura Armani intersexuell war wurde vom Vater verheimlicht, da dies nicht in sein Familienbild und nicht in seine politische Karriere passte. Alles nur kein Aufsehen erregen... Deshalb gab es keine Arztbesuche, kein Turnuntericht, kein Schwimmen ect. Alles was in irgend einer Weise die Wahrheit hätte ans Tageslicht bringen können wurde verhindert.
Wir haben Mitgeführl für die Frauen im Fernen Osten die sich verschleiern müssen und unterdrückt werden. Aber wie steht es mit den Menschen die hier unter uns nicht sein dürfen wer und wie sie sind? Was ist das für eine Welt in der Schein über Sein geht?
Alle die es noch immer nicht glauben: Laura Armani ist, bleibt und war immer zweifellos schon eine wahrhaft echte Frau, Intersexualität, Transexualtiät hin oder her! All jene die dies in Ihrer Familie nicht wahrhaben wollten sind zu bedauern, Sie haben es verpasst eine wundervolle Person kennen zu lernen.
"Wäre von einer Transsexuellen die Rede, müsste der Titel heissen: Die Frau, die ein Mann war."
Nein.