Offener Brief von Claudia Kreuzer an das Netzwerk Intersexualität
By nella on Tuesday, September 18 2007, 19:21 - Die Mediziner - Permalink
Querkreuzer (Claudia & Frances Kreuzer)
Trier den 4. September 2007
Sehr geehrte Damen,
sehr geehrte Herren des „Netzwerk Intersexualität“
Lassen Sie mich bei den letzten Minuten des letzten Treffens vor der Tür
beginnen.
Dort kündigte ich Frau Prof. Dr. med Thyen meinen baldigen Austritt aus dem
Netzwerk an. Ich denke das wird kein großer Verlust für mich wie auch für Sie,
möglicherweise jedoch Einer für die Betroffenen sein. Ich erlaube mir, mir
deshalb noch etwas Bedenkzeit für meinen Austritt zu lassen. Andere Betroffene
möchten noch vorher darüber mit mir sprechen.
Aber vielleicht brauche ich dies, nach den folgenden Worten, ja noch nicht
einmal mehr selbst zu tun.
Ich möchte Ihnen, im Vorfeld meiner anstehenden Entscheidung, noch ein paar sehr persönliche Zeilen aus meinem Erleben des Netzwerkes, der beteiligten Personen und des Themas unterbreiten.
Am Freitag Abend hatte ich wieder mal eine „freundschaftliche Diskussion“
mit Wissenschaftlern des Netzwerkes über die persönliche Anrede untereinander.
Das Ergebnis war, dass von Seiten der an der Diskussion beteiligten Mediziner
der Vorschlag kam „ ...dass es das einfachste wäre sich mit „Du“ und Vornamen
anzureden“.
Diese Diskussion hatte ich, wie gesagt, schon mehrfach mit verschiedenen
Personen des Netzwerks, aber „Sorry“, ich kann einfach nicht über meinen
Schatten springen und Sie, verehrte Damen und Herren mit „Du“ anreden. Obwohl
ich doch die überwiegende Zahl anderer Mediziner, die ich seit Jahren und
Jahrzehnten aus anderen Zusammenhängen kenne, „Duze“.
Vielleicht liegt dies an meiner frühen Kindheitsgeschichte, nehme ich doch
wahr, dass es Ihre beruflichen Vorgängergenerationen waren, die sich berufen
fühlten an mir und meinesgleichen Korrekturen vorzunehmen.
Wie dem auch immer sei, ich habe es bisher generell vermieden, mit Ausnahme von
Meinesgleichen, irgend jemanden im Netzwerk zu Duzen.
Mit gutem Grund, wie sich am Samstag, im Verlaufe des Vortrages von Frau Prof. Dr. med Thyen zu den Ergebnissen der Studie und während des Vortrages von Frances zeigte. Sie verzeihen mir Frau Prof. Thyen, ich habe ein ganz schlechtes Gefühl für die Betroffenen dabei. Aber davon später.
Was mich emotional am meisten aufregte war jedoch der Tumult der während des
Vortrages von Frances entstand.
Sie denken nun sicher das Falsche. Es war sicher weniger das Verhalten und die
Reaktionen von Herrn Prof. Dr. med. Westenfelder. Sie werden es kaum glauben,
ich schätze seine und Frau PD Dr. med. Kreges Fähigkeiten, hinsichtlich ihrer
Operationstechniken, sehr hoch ein. Das nicht zuletzt aufgrund der Vorträge von
Herrn Prof. Dr. med. Westenfelder und Frau PD Dr. med. Krege, zuletzt in
Hamburg mit einem glänzenden Vortrag. Für die, - die operiert werden wollen-,
sicher eine gute Wahl.
Zudem bin ich Herrn Prof. Dr. med. Westenfelder sogar ein wenig dankbar für
seine gezeigte Reaktion. Sie war überhaupt die erste öffentliche Reaktion eines
Mediziners aus dem Netzwerk auf Aktivitäten Betroffener. Den einzigen Vorwurf
den man ihm, wie aber auch allen übrigen Teilnehmern, machen könnte wäre der,
dass sich, in dem entstehenden Tumult und seinen ausufernden, aus unserer Sicht
unbegründeten, Spekulationen, niemand mehr dafür interessierte, warum wir die
Sammlung von Rechtsgrundlagen so schnell und kommentarlos abspulten.
Es ist halt immer – chronisch- sehr wenig Zeit für die Betroffenen, um die es
ja eigentlich geht. Es wäre für Sie und Ihre Arbeit im Hinblick auf die Studie
sicher interessant gewesen, die Konsequenzen dieser Rechtstexte, unser nicht
zum Zuge gekommenes Resümee, auf die soziale Lebenssituation und damit auf die
–zukünftige- „Zufriedenheit“ der Betroffenen, kennen zu lernen.
Aber das fand ja leider nicht mehr statt.
Aber der Tumult hatte auch, zumindest für mich, eine positive Erkenntnis,
die an zwei, drei Stellen des Tumultes, - deutlich hörbar- von Medizinern des
Netzwerks geäußert wurde:
Das war sinngemäß jener Satz: „... wir sollten doch nicht die wenigen Mediziner
die auf unserer Seite seien und sich um uns bemühten mit solchen Sachen
verschrecken..., ...dann ginge nachher gar nichts mehr!“ Vor etwa zwei, drei
Jahren hat mir ein Mediziner, auf meinen Film mit Arte hin, ein ähnliches E-
Mail geschickt, in welchem er behauptete, dass solche Aktivitäten der
Betroffenen in der Öffentlichkeit letztlich nur dafür sorgten, dass die
Abtreibungsraten intersexueller Kinder in die Höhe gingen......
Ich fasse die Inhalte beider Äußerungen als Drohung gegen das Leben und die
Gesundheit von mir und meinesgleichen auf. Ich kann aus meiner zutiefst
empfundenen Achtung vor dem Leben nur hoffen, dass sich, für die Medizin, die
Mediziner und die Betroffenen, Äußerungen dieser Qualität nicht eines Tages
gegen Sie selbst wenden.
Niemand von Seiten der Ärzteschaft und auch sonst Niemand hat das Recht uns mit
möglichem Hilfe- und damit Behandlungsentzug zu drohen.
Nicht wir haben diese Situation geschaffen in der wir uns befinden, sondern die
Medizin hat dies, in maßloser Selbstüberschätzung, verursacht.
Sie und diese Gesellschaft haben daher, für jeden Einzelnen von uns,
- die Verpflichtung-
alles Erdenkliche zu tun, damit die Behandlungsfehler der Vergangenheit in der
Zukunft keine Fortsetzung finden und die bereits von Fehlbehandlung Betroffenen
die erforderliche Hilfe bekommen.
Es kann nicht sein, dass ein „Netzwerk- IS“ unter der Überschrift „Betroffenen
helfen zu wollen“, im letzten Jahr des monetär- staatlich geförderten Bestehens
dieses Netzwerkes, zu dem Schluss kommt, dass sich bisher so gut wie keine
Erwachsenen- Mediziner an der Problembehebung beteiligen.
Ich darf, in aller Bescheidenheit und sicher im Namen aller Betroffenen die
u.A. hoffnungsvoll an Ihrer Studie teilnahmen, Sie, meine Damen und Herrn
Wissenschaftler des „Netzwerkes- IS“ fragen:
Welche Probleme haben Sie hinsichtlich der Therapien von erwachsenen
Intersexuellen erkannt und welche medizinischen Lösungen haben Sie dafür?
Ich bin mir sicher, dass ich darauf keine Antwort erhalten werde.
Das Einzige was sich sicher durch die bloße Existenz des Netzwerkes geändert
hat, ist dass es erwiesen ist, dass die Verträglichkeit einer
Hormonersatztherapie mit Testosteronen für XY- chromosomale IS erheblich
verträglicher ist als eine Östrogentherapie. Und das ist zudem noch eine
Erkenntnis die, die Betroffenen, ohne Zugriff auf „große“ millionenschwere
Analysegeräte zu haben, selbst erarbeitet haben. Und sogar noch Einiges darüber
hinaus.
Das lehrt uns Betroffene zudem, dass der „Erfolg“ nicht immer von der „Größe“
und dem „Vorhandensein“ des „Gerätes“ abhängig ist.
Sie dürfen also weiter gespannt sein.
Täuschen Sie sich jedoch nicht, dass wir so blauäugig sind und den Spruch „...
wir wissen über IS zu wenig...“, für „bare Münze“ nehmen. Ich glaube, dass das
was wir allenthalben als „neu“ „ zum Besten“ gaben, bei Ihnen schon längst
bekannt ist.
Und ich persönlich befürchte, nach den Offenbarungen von Frau Prof. Thyen
hinsichtlich der Modalitäten zur Auswertung der Studiendaten, dass wir auch
dort wieder Interpretationen ausgeliefert sein werden.
Übrigens, so ganz nebenbei, Ihre Zahlen der Studie, wiedersprechen ganz
eklatant den dem Zahlenwerk das der Bundestag neulich unter Bezugnahme auf das
„Netzwerk-IS“ und Sie Frau Prof. Thyen veröffentlichte.
Ich stellte in diesem Bericht zudem fest, dass ich offensichtlich zur Gruppe
derer gehöre die wohl medizingeschlechtzuweisungskonform sind.
War doch da die Rede von Betroffenen, die sich –sogar- mit eigenen Beiträgen am
„Netzwerk-IS“ beteiligen und den –Anderen- „offensichtlich eine kleine
Minderheit Unzufriedener“ die sich beschweren. So habe ich meine Bemühungen und
die anderer Betroffener im Netzwerk bisher aber nicht aufgefasst.
Hätt` man mich doch mal gefragt!
Ich denke an dieser Stelle, dass ich mich nicht weiter, z.B. über Diagnosen der
„kompletten testikulären Feminisierung“ und deren Behandlung mit
Androgenrezeptorblockern o.ä. auslassen muss, um die Behandlungsqualität und
damit die Gründe der Unzufriedenheit zu dokumentieren.
Vielleicht erklärt das aber u.A. auch, die gegenüber den Unmündigen erheblich
geringeren Teilnehmerzahlen an Erwachsenen bei Ihrer Studie. Vielleicht ist es
aber auch gerade der große Überhang der Unmündigen, der den, möglicherweise
erwünschten, Spielraum der Interpretation der Studie erweitert.
Aus meiner Sicht sind es,
neben den teilweise katastrophalen Therapiefolgen,
der begründeten Angst vor möglichen Behandlungsnachteilen,
der durch die Medizin suggerierten Angst vor sozialer Ausgrenzung,
dem Bewusstsein wider besseres medizinisches Wissen zum Hormon- Junkie gemacht
worden zu sein,
und der Erkenntnis der Ohnmacht gegenüber dem Kollektiv der Medizin,
die in eine physische und psychische Resignation mündet, die dafür sorgt, dass
erwachsene Betroffene alles was mit Medizin zu tun hat möglichst meiden.
Auch Ihre Studie.
Aus meiner Gesprächserfahrung glauben viele Betroffene Ihnen daher auch
einfach nicht, dass Sie was ändern wollen. Was hat sich denn für die
erwachsenen Betroffenen seit „Netzwerk-IS“ welches sich nun bereits seinem
letzten Existenz- Jahr nähert geändert? Das Netzwerk war wirklich vielleicht
mal eine Chance, aber die wurde aus meiner Sicht vertan.
Lassen Sie mich Ihnen, kurz vor Schluss, in diesem Zusammenhang noch eine
Begebenheit mitteilen:
So habe ich mit einer Mutter mit IS- Kind, nach ihrer Teilnahme an der Studie,
ein Telefonat geführt, bei welchem Sie mir ganz stolz und in dieser Reihenfolge
berichtete, dass es ihr doch wohl ganz gut gelungen sei zu vermitteln, dass der
behandelnde Arzt Ihres Kindes gut sei und es dem Kind dementsprechend auch gut
ginge.
Ich bin jetzt etwas müde und möchte auch, um Ihre kostbare „klinische Zeit“ nicht über Gebühr in Anspruch zu nehmen, zum Schluss kommen.
Wissen Sie, egal welche Inhalte oder Fakten wir, als Betroffene, Ihnen, als
Mediziner, unterbreiten würden, alles wäre als ein Affront gegen Sie und Ihre
Tätigkeit an uns auslegbar.
Und wissen Sie was, solange die Medizin sich Ihre selbstgeschaffenen virtuellen
Realitäten in den Rang eines Naturgesetztes erhebt, wird es dem Grunde nach
auch für uns oder andere Menschen die auf die Hilfe der Medizin angewiesen
sind, unüberwindbar immer so bleiben.
Die Medizin hat sicher vielen Menschen sehr viel Leid erspart und gelindert,
aber daraus lässt sich nicht der ultimative Anspruch der therapeutischen
Unfehlbarkeit ableiten.
Bei uns liegt es daran, dass die Medizin sich, bereits meist am ersten Tag
unseres Lebens, über unsere Rechte, die Gesetze und die Natur hinweg setzt und
damit diesen Widerspruch in unsere physische und psychische Existenz
implementiert.
Das wird z.B. auch sicher nicht dadurch geheilt, dass man IS in TS umdeklariert
und damit eine medizinisch falsch getroffene Entscheidung, wiederum zu Lasten
der Betroffenen, nun als psychische Erkrankung (so das BSG) verkauft. Oder dass
man sogar ein Recht auf „Nichtwissen“ u.a.m. bemüht um die Betroffenen in die
Fremdentscheidung zu zwingen.
Wir sind die Karnickel eines Freilandversuches. Nicht mehr und nicht
weniger.
Wir sind, wenn nötig, das schmückende Beiwerk, auf das die staatlichen Mittel
sprudeln.
Nicht mehr und nicht weniger
Unsere Existenz ist überflüssig, wenn das Ergebnis bekannt ist.
Nicht mehr und nicht weniger
Ist das Ergebnis bekannt, müssen die Karnickel selbst sehen, wie es
weitergeht.
War halt ein Versuch und wir sind nur Kollateralschäden .............
Nicht mehr und nicht weniger
Ich wünsche mir an dieser Stelle, dass der Hinduismus oder Buddhismus mit
seinen Theorien über die, aus den im Vorleben resultierende Qualität der
folgenden Wiedergeburt, zutrifft.
Vielleicht finden Sie dann, wenn Sie es mal selbst erlebt haben, auch die
Erleuchtung.
So wie bisher geht es jedenfalls nicht.
Mit freundlichen Grüßen
Claudia Kreuzer
Ein maßlos enttäuschtes Karnickel
Siehe auch:
-
Netzwerk Intersexualität und wir Intersexuellen - Mitsprache geht
anders
- Offener
Brief von Lucie Veith an das Netzwerk Intersexualität