Von der Frauenbewegung lernen (1)

"Vom Nutzen unseres Ärgers" - Audre Lorde

Als schwarze Feministin war Audre Lorde (Biographie) öfters damit konfrontiert, von ihren weissen Mitstreiterinnen marginalisiert und 'mitgemeint' zu werden. Statt die Faust im Sack zu machen, verstand sie es, ihren daraus resultierenden Ärger konstruktiv umzusetzen und veränderte dadurch die Frauenbewegung.  Ihre starke Rede von 1981 (auf Deutsch in Gigi 11) zählt zu Recht "zum Wichtigsten, was je über Rassismus und Sexismus gesagt wurde". Ein Ausschnitt:

Ärger ist eine angemessene Reaktion auf rassistische Einstellungen, genauso wie ausgesprochene Wut, wenn die daraus resultierenden Handlungen sich nicht ändern. Die Frauen unter euch, die den Ärger Farbiger Frauen mehr fürchten als ihre eigenen unhinterfragten rassistischen Haltungen, frage ich: Ist unser Ärger wirklich bedrohlicher als der Frauenhaß, der alle Bereiche unseres Lebens überschattet? [...]

Nicht der Ärger anderer Frauen wird uns zerstören, sondern unsere Weigerung, anzuhalten, auf seinen Rhythmus zu hören, in ihn einzutauchen, um aus ihm zu lernen, über seine Erscheinungsformen hinaus zu seiner Substanz vorzudringen und uns diesen Ärger als wichtige Quelle unseres Stärker- und Mächtigerwerdens zu erschließen.

Ich kann meinen Ärger nicht verbergen, um euch Schuldgefühle, Verletztheit oder ärgerliche Gegenreaktionen zu ersparen, denn damit würden all unsere Bemühungen herabgesetzt und trivialisiert. Schuldgefühle sind keine Antwort auf Ärger - sie sind eine Antwort auf unser eigenes Handeln oder Nichthandeln. Führen sie zur Veränderung, so können sie nützlich sein, da sie dann keine Schuldgefühle mehr sind, sondern beginnendes Wissen. Doch allzu oft sind Schuldgefühle nur ein anderer Ausdruck für Impotenz, für eine Verteidigungshaltung, an der jegliche Kommunikationen zerbricht. Sie werden zum Kunstgriff, um die eigene Ignoranz zu schützen, um die Dinge so zu lassen, wie sie sind; sie werden zum äußersten Schutzschild gegen jegliche Veränderung.


Auch andere Stellen in dieser Rede sind mir wie aus dem Herzen gesprochen. Und ein gutes Beispiel, wie wir Zwitter von früheren Befreiungsbewegungen, von ihren Erfahrungen und Strategien lernen könnten.


>>> Die ganze Rede als PDF-Download (1.4 MB). Die ganze Gigi-Nummer 11 ist übrigens noch für Euro 2,50 + 0.85 Porto lieferbar (nur noch wenige Hefte) und enthält weitere interessante Beiträge von Michel Reiter und über Del LaGrace Volcano.

Siehe auch:
- Stockholm under Water 
- Warum Nicht-Biozwitter allesamt privilegiert sind 
- Warum nicht alle Bio-Zwitter gleich nicht-privilegiert sind
- Genitalverstümmelungen an Zwittern als "Nebenwiderspruch" des Zweigeschlechtersystems? (Von der Frauenbewegung lernen 2)