Beitrag zu "Intersexualität" in X:enius auf Arte 21.2.11

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Schluss mit genitalen Zwangsoperationen!

Die Zwitter Medien Offensive™ geht weiter! 

Auf Arte wurde heute um 8:45 Uhr (mit Wiederholung um 17:35 Uhr) im Wissenschaftsmagazin X:enius eine Sendung zu "Intersexualität" ausgestrahlt, grösstenteils mit Ausschnitten aus der Doksendung "Tabu Intersexualität" auf Arte vom 8.10.2010, jedoch auch mit neuem Filmmaterial, u.a. Interviews mit Anja Kumst von Intersexuelle Menschen e.V. und Dr. med. Jörg Woweries.

Der Beitrag kann eine Woche lang auch nachträglich online geschaut werden:

http://videos.arte.tv/de/videos/x_enius-3713786.html

Kommentar:

leider mal wieder hauptsächlich vereinnahmung pur im namen von "gender", wobei anja kumst respektive intersexuelle menschen e.v. und dr. med. jörg woweries dazu fleissig schützenhilfe leisten (soweit nichts neues).

dazu zwei zum thema unpassend frischfröhliche moderatoren in berlin:

"hallo und herzlich willkommen in der multikultigloballiberalheterohomohiergehtalles-hauptstadt, herzlich willkommen aber auch in einer gesellschaft, die nur zwei geschlechter kennt: mann und frau. es gibt aber auch menschen, die sind weder eindeutig das eine noch das andere, sie haben ein bisschen von beiden: intersexuelle oder auch zwitter genannt."

die gleich eingangs klarstellen, beim thema "intersexualität" gehe es nicht etwa um das recht auf körperliche unversehrtheit und gegen genitalverstümmelung. sondern um den "kampf um die eigene identität" und "abschaffung des geschlechtseintrags", wobei als optischer hintergrund einmal mehr die üblichen antiken marmorplastiken zum einsatz kommen:

moderator: "einige französische ärzte sagen, eine lösung wäre, auf der geburtsurkunde nicht mehr männlich und weiblich zu schreiben. was denken sie da?"

woweries: "das ist absolut richtig. (...) man sollte den geschlechtseintrag weglassen. (...)"

so wird dann die ganze sendung hindurch fleissig über den "geschlechtseintrag" und "faktoren der geschlechtsidentität" schwadroniert. die eigentlich zentralen begriffe "menschenrechte", "körperliche unversehrtheit" oder "menschenrechtsverletzung" kommen dagegen während der ganzen sendung kein einziges mal zur sprache. stattdessen geht es stets nur um das "eine":

anja kumst: ich bin "weder mann noch frau - gefühlt."

moderator: "sie kämpfen mit ihrem verein, dass intersexualität endlich akzeptiert wird. was sollen wir in der gesellschaft ändern, ihrer meinung nach?"

kumst: "wir sollten vielleicht den geschlechtseintrag in der geburtsurkunde oder im familienbuch weglassen oder einen intersexuellen eintrag ermöglichen, damit diese kinder auch so erfasst werden können, dass man sie nicht hinoperieren wird zum mädchen oder zum jungen, je nachdem wie sie dann eingetragen werden, dass vielleicht die eltern nicht diese zwänge haben: ich muss jetzt mein kind einordnen, sondern dass sie ihr kind auch einmal kennenlernen dürfen."

glauben anja kumst respektive intersexuelle menschen e.v. und dr. med. jörg woweries allen ernstes, dass kosmetische genitaloperationen an kindern und jugendlichen aufhören werden, wenn der geschlechtseintrag abgeschafft oder zwangsweise ein dritter geschlechtseintrag für zwitter geschaffen würde? dass eltern, denen der äussere schein einer "normalen familie" offensichtlich näher steht als das recht ihrer kinder auf unversehrte genitalien und auf sexuelle empfindsamkeit, dass solche eltern dann plötzlich nicht mehr auf die medizyner hereinfallen würden, die ihnen "unauffällige kinder" versprechen? dass diese eltern dann nicht im gegenteil ihre kinder erst recht operieren lassen werden, um vor allem sich selbst die "schande" eines "dritten eintrages" zu ersparen?

jörg woweries beschreibt immerhin eindrücklich und drastisch die menschenrechtswidrigen kosmetischen genitaloperationen (die moderatoren schauen dabei unterdrückt entgeistert und irritiert):

moderatorin: sie gehören ja heute zu den wenigen ärzten, die nicht mehr sofort eine geschlechtszuweisende operation verordnen würden. wie kam es denn zu dieser wandlung?

woweries: ich habe immer gefragt: was wird aus diesen menschen, die frühzeitig operiert worden sind? und habe praktisch keine ergebnisse lesen können. und erst in den letzten jahren kamen zwei grosse studien raus, die mir gezeigt haben, dass die intersexuellen körperlich und psychisch sehr schwer leiden, dass 48% der patienten an suizid gedacht haben und 62% hatten schwere psychische probleme. und sie haben einen gewaltigen hass auf die ärzte, die das angerichtet haben.

moderator: wie muss man sich diese geschlechtskorrigierende operation an säuglingen überhaupt vorstellen?

woweries: ganz primitiv gesagt: abschneiden kann man immer. und wenn sie sich das ergebnis ankucken, sind 90% aller intersexuellen mit einem weiblichen konstruierten genitale versehen. es gibt eine gruppe, die haben eine klitoris, die ist penisgross und haben keine ausgeprägte scheide. die werden im alter von drei, vier monaten oder als kleinkinder im alter von ein bis zwei jahren operiert. die klitoris kann man abschneiden. man riskiert natürlich, dass sehr viel sensibilität weggenommen wird. die scheide kann man rekonstruieren. aber wie sieht es anschliessend aus? jedes loch, wenn sie zum beispiel ein loch ins ohr stechen, wächst es wieder zu. man muss also diese scheide offenhalten. ich benutze den ausdruck hier sehr ungerne, aber die scheide muss benutzt werden, schon bei kleinkindern. man führt dann stahlstifte in steigender grösse ein, in mehrwöchigen abständen werden die stahlstifte eigentlich eingeführt, damit es nicht wieder zuwächst.

die zwischengeschlechtliche/betroffene anja kumst erwähnt dagegen genitaloperationen und deren folgen gar nicht erst konkret, geschweige denn die selbst erlittenen.

schon fast tröstlich: die medizyner pierre mouriquand und olaf hiort ("eurodsd") brillieren wiederholt mit ihren selbstgerechten und menschenverachtenden aussagen. ist doch schön, wenn sie vor laufender kamera einmal mehr zugeben, dass sie die erhaltung der sexuellen empfindsamkeit nach einer genitaloperation nicht garantieren können.

bleibt zu hoffen, dass solche aussagen wenigstens diejenigen eltern, die wirklich das beste für ihr kind wollen, womöglich davon abhalten werden, ihr kind genitalverstümmeln zu lassen.

nella

>>> 150 Jahre Menschenversuche ohne Ethik und Gewissen

Siehe auch:
- Zwangsoperierte Zwitter über sich selbst und ihr Leben
- Instrumentalisierung von Zwittern: Kritik aus 2002 (Georg Klauda)
- "Tabu Intersexualität", Arte 8.10.10
- Genitaloperationen: "Freifahrtschein, an die Eltern eine ohnehin schon feststehende Entscheidung abzudelegieren" - Claudia Wiesemann, Forum Bioethik 23.6.10

Comments

1. On Sunday, February 27 2011, 06:56 by claudia

>>dass kosmetische genitaloperationen an kindern und jugendlichen aufhören werden, wenn der geschlechtseintrag abgeschafft oder zwangsweise ein dritter geschlechtseintrag für zwitter geschaffen würde?<<

Zum “3. Geschlechtseintrag” habe ich mich ja schon mehrfach geäussert.
Wie immer man die Grenzen zwischen “männlich/zwittrig/weiblich” festlegen wollte: Es würde immer ein Teil ausgeschlossen, dessen Schutzlosigkeit dann gesetzlich festgelegt wäre. Ein gefährlicher Unfug, und ich kann nicht verstehen, warum Manche das gut finden.

Eine Liberalisierung der Personenstandsgesetzgebung dahin, dass man bei der Geburt kein amtliches Geschlecht festlegt, halte ich aber für eine Voraussetzung für ein Verbot von geschlechtsfestlegenden Eingriffen bei Kindern. Man kann nicht das Eine wollen und das Andere ablehnen. Es geht dabei nicht nur um Glaubwürdigkeit, sondern zwei sich ergänzende Gesetzesänderungen wären rechtlich plausibler und ausserdem für alle Kinder vorteilhaft.

2. On Sunday, February 27 2011, 20:04 by nella

@claudia: kann es sein, dass deine persönlichen wünsche dir den blick auf das realpolitische ganze erschweren?

- wieso ist die abschaffung des geschlechtseintrages eine "voraussetzung für ein verbot von geschlechtsfestlegenden eingriffen bei kindern"?

genauso könnte man behaupten, dass man als voraussetzung für ein verbot der weiblichen genitalverstümmelung zuerst den geschlechtseintrag abschaffen müsste. wie die erfolgreichen aktuellen politischen vorstösse gegen die weibliche genitalverstümmelung belegen, ist das gegenteil der fall. körperliche unversehrtheit heisst das zauberwort.

- wieso kann man nicht "das eine wollen und das andere ablehnen"?
- wieso soll man dann "unglaubwürdig" sein?

man kann sehr wohl, und es ist erst noch das einzig realpolitisch sinnvolle. siehe zum beispiel weibliche genitalverstümmelung oben und unseren erfolgreichen vorstoss im kantonsparlament luzern, wo sich zum allerersten mal überhaupt vertreterinnen aus allen parteien für die körperliche unversehrtheit auch von zwittern einsetzten.

- wieso wären "zwei sich ergänzende gesetzesänderungen" "rechtlich plausibler und ausserdem für alle kinder vorteilhaft"?

faktisch ergänzen sich die beiden forderungen nicht, sondern es ist stets so, dass die körperliche unversehrtheit der zwitter in geiselhaft genommen wird zwecks abschaffung des geschlechtseintrags (siehe auch deine formulierung von "voraussetzung" oben). und sogar wenn sie sich "ergänzen" würden, wäre eine zusammenlegung realpolitisch immer noch nicht sinnvoll. weil sich die nein-stimmen der gegner aufaddieren, ist es realpolitisch am sinnvollsten, politische anliegen möglichst häppchenweise durchzubringen ("salamitaktik").

beispiel: wenn beim verbot der weiblichen genitalverstümmelung gleichzeitig auch die kosmetischen genitaloperationen an zwittern und die beschneidung von knaben hineingenommen worden wären, hätte die vorlage politisch keine chance. erst recht, wenn noch die abschaffung des geschlechtseintrages daran geknüpft würde.