"Es gibt keine Studie, die zu dem Ergebnis kommt, dass die Betroffenen selbst mit den Ergebnissen der operativen Korrekturen überwiegend zufrieden wären" - Deutscher Hebammenverband (DHV) (Klartext in Ethikrat-Sachverständigen-Stellungnahmen 2)
By seelenlos on Sunday, February 19 2012, 23:58 - Die anderen - Permalink
Im Vorfeld der Präsentation der Ethikrat-Stellungnahme nächsten Donnerstag 23.2.12 (Aktion von Zwischengeschlecht.org ab 09:30h) präsentiert dieser Blog einige Highlights aus den vom Ethikrat eingeholten, öffentlich zugänglichen "Stellungnahmen von Sachverständigen".
Diesmal nachfolgend einige relevante Ausschnitte aus der >>> Stellungnahme des Deutschen Hebammenverbandes (DHV) (pdf), die nicht nur den Finger auf die wunden Stellen der missachteten Rechte der verstümmelten Kinder legt, sondern darüberhinaus auch auf die Tricks, mit denen die Zwangsoperateure bei der Festsetzung ihrer "AWMF-Verstümmlerleitlinien" (Beispiel 1 / Beispiel 2) jegliche kritische Stimmen bequemerweise von vornherein ausgrenzen. Dafür dem Deutschen Hebammenverband (DHV) von diesem Blog ein ganz herzliches Dankeschön für seine mutigen Worte!
Der DHV unterstützt das Anliegen der Organisationen der Intersexuellen Menschen und der Politik bestehende Regelungen auf Veränderungsbedarf zu überprüfen. Unverständlich ist aus unserer Sicht jedoch die Dauer, mit der das Thema diskutiert wird, ohne dass zumindest übergangsweise Regelungen getroffen werden, die von den intersexuellen Menschen selbst als annehmbar anerkannt werden. [...]
Für die Eltern ist jede Abweichung vom Normalen mit Sorgen, Ängsten und Unsicherheiten verbunden. [...] Bei uneindeutigem Geschlecht des Kindes kommt jedoch ein starker sozialer Handlungsdruck hinzu, der eine Eiligkeit suggeriert, die aus medizinischer Sicht nur sehr selten gegeben ist. Die allermeisten Eltern stimmen daher chirurgischen geschlechtszuweisenden Eingriffen zu. Ohne jegliche Evidenz wird in Leitlinien eine operative Korrektur innerhalb der ersten 6 Lebensmonate des Kindes empfohlen. Wegen der scheinbar einfacheren Operationstechnik wird dem überwiegenden Teil der intersexuellen Menschen das weibliche Geschlecht zugewiesen. Rein optisch sind diese Operationen scheinbar erfolgreich.
Tatsächlich kann über Erfolg oder Misserfolg jedoch erst Jahre später durch die betroffenen Menschen selbst entschiedenen werden. [...]Es gibt keine Studie, die zu dem Ergebnis kommt, dass die Betroffenen selbst mit den Ergebnissen der operativen Korrekturen überwiegend zufrieden wären. Das bestehende Vorgehen wird allein durch einen medizinischen „Standard“ gerechtfertigt, der in Leitlinien seinen Ausdruck findet.
Aus Sicht des DHV macht dies nur deutlich, dass sich am bestehenden Verfahren zur Erstellung von Leitlinien grundsätzlich etwas ändern muss. Leitlinien werden meist von den Operateuren selbst erstellt, die damit das von ihnen favorisierte Verfahren als Standard festschreiben können. Dem DHV, als Beteiligtem an der Leitlinienerstellung „Neugeborenen-Screening auf angeborene Stoffwechselstörungen und Endokrinopathien“, war es zum Beispiel im Konsensverfahren bislang nicht möglich wesentliche Änderungen an dem Satz zur operativen Korrektur des Genitals bei Mädchen: „Zeitpunkt und Methode sind abhängig von Befund und Operateur.“ zu erreichen. Derzeitig umfassen die Möglichkeiten der operativen Korrektur Maßnahmen wie:- Entfernung von Ovarien/Hoden, mit der Folge, dass lebenslange, nebenwirkungsreiche Hormonersatztherapie notwendig ist
- Anlegen einer Neo-Vagina bei Säuglingen, mit der Folge traumatisierender Dehnungsprozeduren im Kindesalter
- Verkleinerung von Penis/Klitoris mit der Folge des Verlustes der sexuellen EmpfindungsfähigkeitDerartig weitreichende Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit und sexuelle Selbstbestimmung eines Menschen bedürfen einer individuellen sorgfältigen Abwägung. Wenn möglich können Entscheidungen dazu nur von den betroffenen Menschen selbst nach Erreichen der Geschlechtsreife getroffen werden.
Folgende Maßnahmen und Regelungen sind aus Sicht des DHV notwendig: [...]Sofortmaßnahmen
- Unverzügliches Aussetzen der derzeitigen operativen Praxis und Entwicklung eines neuen Handlungsalgorythmus unter ausführlichem Einbezug ethischer Aspekte
- Anerkennung der erfolgten Schädigung durch Versorgungsämter
- Übernahme der Kosten für Therapie (Psychotherapie, Hormonersatztherapie) durch gesetzliche Krankenkassen
- Verbot von Kastrationen vor Erreichen der Einwilligungsfähigkeit der Betroffenen
- Umfassender Schutz des ungeborenen intersexuellen Lebens
>>> ganze Stellungnahme des Deutschen Hebammenverbandes (DHV) (pdf)
>>> Chronologie Deutscher Ethikrat 2008-2013
>>> "Es wird weiter an den Genitalien von Kleinkindern geschnitten" - Eva Matt (1)
>>> Ethikratdiskurs: "Wie so oft wird um den heissen Brei herumgeredet"
>>> Genitalverstümmelungen in Kinderkliniken – eine Genealogie der Täter