Australien: Anhörung zu erzwungener Sterilisierung erwägt auch weitere Intersex-Verstümmelungen

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Zwischengeschlecht.org «Körperliche Unversehrtheit auch für Zwitter!» (Bild: NZZ Format/SF1)

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Der australische Senat (Oberhaus, vergleichbar mit dem deutschen Bundesrat und dem schweizer Ständerat) bzw. dessen "Komitee für öffentliche Angelegenheiten" führt aktuell eine >>> Befragung durch zum Thema "Unfreiwillige oder erzwungene Sterilisierung von Menschen mit Behinderungen in Australien".

Diese geht in Bezug auf Intersex-Menschen auch über "klassische Sterilisierungen" hinaus, wie der >>> Auftrag der Kommission ausdrücklich festhält:

2.   Gegenwärtige Praxis und Richtlinien im Zusammenhang unfreiwilliger oder erzwungener Sterilisierung von Intersex-Menschen, darunter:

(a) sexuelle Gesundheit und Fruchtbarkeit; und

(b) die Auswirkungen auf Intersex-Menschen

OII Australien (>>> eins / >>> zwei), die dortige AIS-Selbsthilfegruppe >>> AISSGA und die >>> National LGBTI Health Alliance haben alle sehr gute schriftliche Stellungnahmen eingereicht (die in PDF-Form heruntergeladen werden können). Weiter gibt's von >>> Morgan von OII ein sehr gutes Eingangsreferat zur Anhörung vom 28.03.2013.

Dafür von diesem Blog an alle Beteiligten ein ganz herzliches Danke! 

Meine 2 Cent: Endlich wird in Australien den GenitalabschneiderInnen öffentlich und konkret Paroli geboten! Und erst noch mit Bezug auf die Stellungnahme der Nationalen Ethikkommission (NEK-CNE) und den Report des UN-Sonderberichterstatters über Folter. Speziell bei Prof. Dr. Garry L. Warnes Machenschaften zur "Legalisierung" der Intersex-Genitalverstümmelungen in Australien (siehe unten) tut das dringend Not!

Einziger Wermutstropfen: Die wohl auch in Australien häufigsten kosmetischen Genitaloperationen an Kindern mit "atypischen" körperlichen Geschlechtsmerkmalen, sog. "Hypospadiekorrekturen", blieben bisher unerwähnt – obwohl sie genau gleich medizinisch nicht notwendig sind, und genau gleich zu verminderter sexueller Empfindungsfähigkeit und massiven und traumatisierenden Folgeschäden führen.

Bezeichnend auch, wie all die internationalen (LGBTQ-)Medien, die sonst bei jedem Personenstands-Pieps aus Australien "im Namen der Intersexuellen" sogleich in anhaltende Begeisterungsstürme ausbrechen, bei diesem wirklich wichtigen Thema, wo es für einmal konkret um die spezifischen Leiden und die zentralen Forderungen der Betroffenen geht, durch Abwesenheit und Schweigen glänzen ...

Nachfolgend einige Highlights der englischsprachigen Beiträge:

Die >>> 1. OII-Stellungnahme vom 15.02.2013 spricht nebst "klassischer" und "sekundärer" Sterilisierung u.a. explizit auch Klitorisamputationen und -Verkürzungen sowie Propagierung von medizinisch nicht notwendigen Kastrationen bei AIS durch Prof. Dr. Garry L. Warne, experimentelle pränatale Dexamethason-"Therapien" bei Verdacht auf AGS/CAH sowie Brustentfernungen bei Klinefelter/XXY an. Weiter führt sie prominent die Stellungnahme der Nationalen Ethikkommission (NEK-CNE) und den Report des UN-Sonderberichterstatters über Folter ins Feld.

Die >>> 2. OII-Stellungnahme vom 08.03.2013 nimmt u.a. zusätzlich Bezug auf ein aktuelles Grundsatzpapier des Gesundheitsministeriums des Staates Victoria vom Februar 2013 "Decision-making principles for the care of infants, children and adolescents with intersex conditions" (PDF). Dieses streicht (unter Bezug auf die NEK-CNE-Stellungnahme) die Unzulässigkeit von "psychosozialen" Begründungen für medizinisch nicht notwendige Genitaloperationen heraus, will jedoch andererseits mit einer widersprüchlichen Definition von "therapeutischen Eingriffen" wiederum den Eltern die alleinige Verfügungsgewalt über Kindergenitalien zuweisen bzw. familiengerichtliche Überprüfung mutwillig für nicht erforderlich erklären.

(Letzteres wohl im Zusammenhang mit der bekannten Strategie Prof. Dr. Warnes, zuerst international zu jammern, in Australien müssten alle Intersex-OPs durchs Familiengericht genehmigt werden, und gleichzeitig durch selektives Anrufen des Familiengerichtes lediglich in ausgesuchten Fällen – die, wie von OII korrekt festgehalten, gar nicht die "üblichen" Genitalverstümmelungen betreffen – letztlich eine Gesetzesänderung herbeizuführen, um das Familiengericht bei "DSD"-Fällen künftig prinzipiell und absolut auszuschalten, vgl. dazu Warnes Vortrag u.a. am 3rd "EuroDSD"-Symposium, auf Deutsch abgedruckt in Schweizer/Richter-Appelt, oder am 6th World Congress on Family Law and Children's Rights 2013 in Sidney.)

Weiter nimmt die 2. OII-Stellungnahme kritisch Bezug auf die medizynerfreundliche Stellungnahme der Familienrichterin Diana Bryant (PDF), die sich offensichtlich am weiter gefassten Sterilisations-Begriff stört (wie ihn auch der UN-Sonderberichterstatter über Folter und die aktuelle Untersuchung durch die WHO verwenden), sondern lieber nur "klassische Sterilisationen" an "normalen Männern und Frauen" berücksichtigt haben möchte, und (in auffälliger Übereinstimmung mit Prof. Dr. Warnes Bestrebungen zur prinzipiellen Ausschaltung der Familiengerichte) sich schlicht weigert, die ethischen und menschenrechtlichen Probleme medizinisch nicht notwendiger, kosmetischer Genitaloperationen an betroffenen Kindern überhaupt in Erwägung zu ziehen.

Die >>> AISSGA-Stellungnahme unterstreicht die durch die medizinisch nicht notwendigen Eingriffe entstehenden Schäden:

  • Psychologische Probleme (Depression, Suizidgedanke, niedriges Selbstwertgefühl)
  • Verminderung der sexuellen Empfindungsfähigkeit und Freude
  • Narbenbildung
  • Abhängigkeit von pharmazeutischen Hormonpräparaten
  • Osteoporose
  • Soziale Stigmatisierung wegen der institutionalisierten Geheimhaltung bei Intersex-Angelegenheiten
  • Reduzierte reproduktive Freiheit betreffend künftiger Reproduktionstechnologien
  • Soziale Stigmatisierung wegen der institutionalisierten Geheimhaltung bei Intersex-Angelegenheiten

U.a. fordert AISSGA deshalb konkret ein "Moratorium von nicht-dringlichen medizinischen Eingriffen. Dies schliesst Gonadektomien [Kastrationen] an Intersex-Kindern und Klitorisreduktionen mit ein".

Das >>> Eingangsreferat von Morgan / OII zur Anhörung vom 28.03.2013 unterstreicht noch einmal das (auch vom UN-Sonderberichterstatter über Folter hervorgehobene) strukturelle Ungleichgewicht zwischen MeizynerInnen und JuristInnen gegenüber den Betroffenen, denunziert erneut die "Krebslüge" im Zusammenhang mit Intersex-Kastrationen sowie die Besterbungen von Prof. Dr. Garry L. Warne und der Familienrichterin Diana Bryant zur Umdefinierung von angeblich "therapeutischen" (obwohl medizinisch nicht notwendigen) Intersex-Genitalverstümmelungen und damit begründeten Ausschluss familienrichterlicher Begutachtung, zitiert aus der Stellungnahme der Nationalen Ethikkommission (NEK-CNE) und der Eingabe der US-Lobbyorganisation Advocates for Informed Choice (AIC) an den UN-Sonderberichterstatter über Folter, und hält erneut fest: "Die Behandlung von Intersex-Menschen ist eine Menschenrechtsfrage."

>>> Zwangsoperierte Zwitter über sich selbst und ihr Leben
>>> Kosmetische Genitaloperationen an Kindern: Typische Diagnosen und Eingriffe

>>> Intersex-Stellungnahme der Nationalen Ethikkommission (NEK-CNE)
>>> UN-Sonderberichterstatter über Folter verurteilt "genitale Zwangsoperationen"
 

Comments

1. On Sunday, April 7 2013, 03:51 by morgan

Hello, and thanks for bringing this to the attention of your readers! The Swiss document has been extremely useful to us, and I hope that this inquiry (and anti-discrimination and identity recognition changes also in progress here) will benefit people in Europe.

The Victorian Health Department framework protocol does not forbid psychosocial surgical intervention, it just raises the debate. The framework does, however, explicitly include "complex" hypospadias, noting that this is sometimes not defined as an intersex variation.