IDAHIT* 2015: Lasst uns über Intersex-Vereinnahmung reden ...

Bild: Friedlicher Protest vor der Ethikrat-Pressekonferenz, Berlin 23.02.2012 

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Solidarität mit Zwittern statt Vereinnahmung

Zwischengeschlecht.org on FacebookZuerst die guten Nachrichten: Nachdem Leipzig 2013 voranging, Intersex nicht mehr bloß "mitzumeinen", sondern den Betroffenen gerecht zu werden einerseits mit dem neuen Akronym IDAHIT* und andrerseits mit inhaltlichen Veranstaltungen sowie mit der expliziten Forderung nach einem Verbot der andauernden Intersex-Genitalverstümmelungen, zogen 2014 Halle (Saale) und 2015 nun auch Jena nach! Danke!!

Trotzdem werden auch 2015 Intersexe allzuoft nur "mitgemeint" – oder gar schamlos von Dritten vereinnahmt! Wie so oft wird dabei Intersex primär als eine Frage von (Geschlechts-)Identität, Personenstand und Diskriminierung "verkauft", während gleichzeitig Intersex-Genitalverstümmelungen (IGM), das durch sie verursachte Leid und konkrete Maßnahmen zu ihrer schnellstmöglichen Beendigung einmal mehr unterschlagen, verharmlost, verniedlicht, auf die lange Bank geschoben und unter den Tisch gekehrt werden.

Ein besonders typischer Fall: Das "Fokuspapier 'The fundamental rights situation of intersex people'" der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA),
>>> Pressemitteilung FRA    >>> Focus paper (englisch, PDF)
das heute am "IDAHO-Forum 2015" in Montenegro vorgestellt wird:

  • Als einzige konkrete gesetzgeberische Maßnahme wird darin gefordert – 3x dürft ihr raten –, Personenstandsgesetze zu überarbeiten, sprich "Geschlechtsangaben in Ausweispapieren und Geburtsregistern" abzuschaffen oder auszusetzen, "um Intersexuelle [angeblich] besser zu schützen".
  • Kein Wort dagegen zum Thema Schäden und Beeinträchtigungen durch Intersex-Genitalverstümmelungen (IGM) – und statt konkreter, griffiger Forderungen zu ihrer Beendigung (wie sie z.B. CAT, NEK-CNE, CRC, WHO, UNICEF etc. auf Anraten Betroffener formulierten) einmal mehr bloß unverbindliches, verstümmlerInnenfreundliches Wischi-Waschi.

Um wessen Interessen und Prioritäten es in diesem angeblichen "Intersex-Fokuspapier" (für welches Intersex-Menschen und ihre Organisationen offensichtlich einmal mehr höchstens alibimäßig konsultiert wurden) tatsächlich geht, unterstreicht weiter, wie häufig welche Schlagworte im ganzen Text vorkommen (und welche eben nicht):

gender: 42
certificate/certification/registration (d.h. Geschl.eintrag in Geburtsurkunde): 33
discrimination/discriminated/discriminatory: 30
identity: 28
orientation (d.h. sexuelle Orientierung): 9

vs.

surgery (d.h. OPs): 14
integrity (d.h. Unversehrtheit): 8
[intersex] mutilation: 2

harm [done by IGM] (d.h. Schäden durch IGM): 0
sexual sensitivity/sensation (d.h. sexuelle Empfindungsfähigkeit): 0
trauma: 0

redress (d.h. Zugang zu Rechtsmitteln und Entschädigung): 0
statutes of limitation (d.h. Verjährungsfristen): 0
data collection (d.h. Datenerfassung): 0
monitoring: 0

Fazit: Intersex-Vereinnahmung – Bingo! Einmal mehr müssen Überlebende von Intersex-Genitalverstümmelungen am "IDAHO-Forum 2015" dazu herhalten, um (Gender-)Identitäts- und Personenstandspolitik auf ihrem Buckel zu betreiben – während gleichzeitig täglich weitere wehrlose Kinder irreversibel verstümmelt werden – wie lange noch?! Pfui!! Würde stattdessen zur Abwechslungmal den Vereinnahmer_innen was an ihren eigenen Genitalien ungefragt rumgeschnibbelt, hätten sie wohl ziemlich schnell ziemlich andere Prioritäten – wetten?!

PS: Dass es auch anders geht, zeigt das ebenfalls am "IDAHO-Forum 2015" vorgestellte, vom Menschenrechtskommissar des Europarates herausgegebene und von Silvan Agius verfasste "Issue Paper 'Human rights and intersex people'" >>> PDF-Downloadseite (englisch), das  (mit Ausnahme von "Verjährungsfristen" und "Monitoring") alle im FRA-"Fokuspapier" fehlenden Stichworte enthält, und auch sonst meist Klartext bringt. Danke!! (Ausnahmen: Leider wird im "Issue Paper" einmal mehr fälschlicherweise John Money als der "Erfinder" der systematischen IGM-Praktiken dargestellt, und bei der Kinderrechtskonvention – ausgerechnet – der betreffend IGM zentrale, auch vom UN-Kinderrechtsausschuss besonders hervorgehobene Art. 24 ("Schädliche Praktiken") unterschlagen – schade!)

>>> Zwitter und progressive LGBTs gegen Vereinnahmung
>>> Zwangsoperierte Zwitter über sich selbst und ihr Leben
>>> Intersex-Genitalverstümmelungen: Typische Diagnosen und Eingriffe
>>> IGM – eine Genealogie der TäterInnen

NGO Report an das UN-Kinderrechtskomitee
Belegt 17 gebräuchliche IGM-Formen und NS-Verbrechen in CH, D, A

Intersex Genital Mutilations
Human Rights Violations Of Children With Variations Of Sex Anatomy
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