Bundestags-Anträge "Grundrechte von intersexuellen Menschen wahren" - Revolution bei den Grünen und die Linke!

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Nachtrag 22.3.: Die Linke hatte gleichentags einen >>> praktisch gleichlautenden Antrag (17/12859, PDF) eingereicht. Auch hier allen Beteiligten ein ganz herzliches Danke! 

>>> Pressemitteilung zum Thema von Zwischengeschlecht.org vom 21.03.2013 

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Lange redeten die Grünen zwar im Bundestag immer mal wieder über "Intersexuelle", missachteten dabei aber stets das zentrale Anliegen der Betroffenen nach Beendigung der Genitalverstümmelungen, sondern betrieben hauptsächlich Personenstands- und LGBT-Politik auf Kosten der Zwangsoperierten und waren sich noch nicht mal zu schade, sich dabei sprachlich mit den TäterInnen in ein Boot zu setzen (was dieser Blog seit Jahren auch immer wieder deutlich kritisierte).

Umso mehr freut es, nun feststellen zu dürfen: Mit dem gestern eingereichten >>> Antrag "Grundrechte von intersexuellen Menschen wahren" (Drucks. 17/12851, PDF) hat sich das jetzt endlich grundsätzlich geändert, und ist das vorherige unrühmliche Verhalten nun hoffentlich endgültig Vergangenheit! Dafür allen Beteiligten ein ganz herzliches Danke!

So verweist der Antrag z.B. im ersten Abschnitt ausdrücklich auch auf die Stellungnahme der Nationalen Ethikkommission (NEK-CNE), und hält im 2. Abschnitt in entsprechender Reihenfolge klar fest:

"Im Besonderen wurden und werden intersexuelle Menschen in ihrem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, auf Selbstbestimmung und Nicht-Diskriminierung verletzt, weshalb sie in diesen Rechten und ihrem Anspruch auf Anerkennung unterstützt und bestärkt werden müssen."

Und fordert im letzten Abschnitt unter I.:

"Der Deutsche Bundestag sieht und erkennt erlittenes Unrecht und Leid an, das intersexuellen Menschen widerfahren ist und bedauert dies zutiefst."

In den konkreten Forderungen unter II. lautet der erste Punkt folgerichtig:

  • sicherzustellen, dass geschlechtszuweisende und –anpassende Operationen an minderjährigen Intersexuellen Menschen vor deren Einwilligungsfähigkeit grundsätzlich verboten werden. Dabei muss gewährleistet sein, dass eine alleinige Einwilligung der Eltern in irreversible geschlechtszuweisende Operationen ihres minderjährigen Kindes - außer in lebensbedrohlichen Notfällen - nicht zu lässig ist. Bei einer medizinischen Indikation muss diese von einem qualifizierten interdisziplinären Kompetenzzentrum zur Diagnostik und Behandlung bestätigt werden

Weitere wichtigste Punkte betreffen Übernahme therapeutischer Kosten bei Verstümmelten, Gewährleistung des Zugangs zu Krankenakten, nachträglich unbürokratische Änderung des Geschlechtseintrags für erwachsene Betroffene, Aufarbeitung des begangenen Unrechts, und eine künftige Abkehr von der medizynischen Täterforschung, stattdessen Einbezug der Betroffenen und von Gesellschafts- und Kulturwissenschaften:

  • dafür Sorge zu tragen, dass intersexuellen Menschen, die in ihrer Kindheit operiert worden sind, die Kosten für daraus resultierende Hormonbehandlung sowie – falls notwendig - psychotherapeutische Unterstützung von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden

  • bei den Ländern darauf hinzuwirken, dass die Fristen für die Aufbewahrung der Krankenakten bei Operationen im Genitalbereich auf mindestens 40 Jahre ab Volljährigkeit verlängert werden und intersexuellen Menschen ein ungehinderter Zugang zu ihren Krankenakten gewährleistet wird

  • dafür Sorge zu tragen, dass intersexuelle Menschen eine vereinfachte Änderungsmöglichkeit der Vornamen sowie der ursprünglich durch ihre Eltern vorgenommenen Geschlechtskategorisierung erhalten, wenn diese nicht mehr mit der eigenen Geschlechtsidentität übereinstimmt; dabei muss ein effektives Offenbarungsverbot gewährleistet werden

  • eine Forschungsstudie im Auftrag zu geben, die das an intersexuellen Menschen begangene Unrecht dokumentiert und dem Bundestag einen Bericht bis zum 31.12. 2015 vorzulegen

  • weitere wissenschaftliche Forschungen zum Thema Intersexualität mit einem interdisziplinären Ansatz unter Beteiligung von Kultur-, Gesellschaftswissenschaften sowie der Betroffenenverbände zu fördern

Damit werden endlich zentrale Forderungen der Betroffenen konkret angegangen, welche Überlebende schon seit 20 Jahren öffentlich formulieren, und die u.a. Daniela "Nella" Truffer im Namen von Zwischengeschlecht.org 2010 und 2011 auch beim Deutschen Ethikrat deponiert hatte (eins / zwei), und die 2012 auch in die Stellungnahme der Nationalen Ethikkommission (NEK-CNE) einflossen.

Damit liegt der Ball erstmal beim Bundestag und den anderen Parteien. Bleibt zu hoffen, dass endlich eine breite grundsätzliche Diskussion in Gang kommt, die auch weitere wichtige Punkte berücksichtigt, z.B.

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