CCPR120 > UN-Menschenrechtsausschuss (HRCttee) verurteilt Intersex-Genitalverstümmelungen (IGM) in der Schweiz

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'STOP Intersex Genital Mutilation!' - UNHRC Geneva 20.10.2012

2017: UN-Menschenrechtsausschuss verurteilt IGM in der Schweiz als Genitalverstümmelung, Folter und nicht-eingewilligte medizinische Experimente! (CCPR/C/CHE/CO/4, paras 24-25)
Für die vollständigen Intersex-Empfehlungen auf Deutsch siehe unten "Vierte UN-Rüge für IGM in der Schweiz!" (UPDATE August 2017).

Chronologie CCPR Schweiz 2014-2017

'Human Rights For Hermaphrodites, Too!' - 2015 CRPD NGO Report

2014: Aufgrund eines ersten >>> Thematischen Intersex NGO-Berichts (PDF 1.66 MB, englisch) von Zwischengeschlecht.org  / StopIGM.org, Intersex.ch und SI Selbsthilfe Intersexualität untersucht der UN-Menschenrechtsausschuss (HRCttee) als UN-Kontrollorgan zur Umsetzung des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (CCPR) zum allerersten Mal Menschenrechtsverletzungen an Intersex-Menschen. In seiner List of Issues Prior to Reporting (LoIPR) ruft der Ausschuss nun die Schweiz dazu auf, Zahlen zu Intersex-Genitalverstümmelungen (IGM) offenzulegen (CCPR/C/CHE/QPR/4, siehe unten).

Der Schweizer Staatenbericht zur Beantwortung der Fragen in der LoIPR ist auf November 2015 fällig.

Zwischengeschlecht.org begrüßt aufs Herzlichste die Fragen des HRCttee zu Intersex in der LoIPR und erwartet die weitere Staatenüberprüfung der Schweiz mit großen Interesse.

Wie auch die bahnbrechenden diesjährigen verbindlichen Empfehlungen des UN-Kinderrechtsausschusses (CRC), des Ausschusses gegen Folter (CAT) und des Behindertenrechtsausschusses (CRPD) ist dies ein weiterer wichtiger Sieg der Intersex-Bewegung – und Zwischengeschlecht.org war einmal mehr an vorderster Front dabei! Fortsetzung folgt ...

(Wie der UN-Menschenrechtsmechanismus der Periodischen Überprüfung von Vertragsstaaten funktioniert: Vertragsstaaten als Unterzeichnerinnen von UN-Konventionen müssen sich einer regelmäßigen, periodischen Überprüfung ihner Verpflichtungen aufgrund jeder ratifizierten Konvention unterziehen. Im neuen sog. "Vereinfachten Berichtsverfahren" ("Simplified Reporting Procedure"), das für die oben erwähnte CCPR-Überprüfung der Schweiz zum Zug kommt, übermittelt das zuständige UN-Kontrollorgan dem Vertragsstaat zu Beginn eine sog. "List of Issues Prior to Reporting (LoIPR)" (etwa: "Liste offener Fragen vor der Berichterstattung"); aufgrund der darin enthaltenen Fragen erstellt der Vertragssatat dann seinen periodischen Bericht, worauf direkt Staatenüberprüfung während der Session des Kontrollausschusses folgt; anschließend veröffentlcht der Ausschuss die sog. "Abschließende Bemerkungen", welche bindende Empfelungen an den Vetragsstaat beinhalten. Beim althergebrachten sog. "ordentlichen Verfahren" reicht der Vertragsstaat zu Beginn einen periodischen Bericht ein, darauf folgt eine "Liste offener Fragen" ("List of Issues (LoI)") des Kontrollausschusses, gefolgt von den Antworten des Vertragssaates auf die LoI, worauf die Staatenüberprüfung während der Session und danach die Abschließenden Bemerkungen erfolgen. An verschiedenen Stellen des Verfahrens können NGOs oder Zivilgesellschaftliche Organisationen (CSOs) dem zuständigen UN-Organ ihrerseits berichten (sog. Schattenberichte). Jeder Vertragsstaat muss etwa alle 5-7 Jahre eine periodische Überprüfung für jede ratifzierte Konvention durchlaufen.)

2014: In seiner List of Issues Prior to Reporting (LoIPR) thematisierte der UN-Menschenrechtsausschuss (HRCttee) zum allerersten Mal IGM-Praktiken, unter Verweis auf  Art. 7 (Verhütung von Folter und nicht-eingewillligte medizinische Experimente) und Art. 24 (Kinderschutz) des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (CCPR) (schon vor den 2015er Beschlüssen des UN-Kinderrechtsausschusses (CRC) und des Ausschusses gegen Folter (CAT)). Nachfolgend eine inoffizielle deutsche Übersetzung des relevanten Abschnittes:

Un-Menschenrechtsausschuss:
Liste offener Fragen vor dem vierten periodischen Bericht der Schweiz

(25 November 2014, CCPR/C/CHE/QPR/4, Abs. 21, S. 5 >>> Download)

Kinderrechte (Art. 7 und 24)

[...]

22.  Bitte nehmen Sie Stellung zu den Berichten über frühzeitige Operationen und weitere mediznische Behandlungen an Intersex-Kindern. Bitte geben Sie Zahlen an betreffend Intersex-Kindern, die während des Berichtzeitraums geschlechtszuweisenden Eingriffen unterworfen wurden.

2016: Der verspätet eingereichte Staatenbericht der Schweiz (CCPR/C/CHE/4, para 188) beantwortete die LOIPR-Frage zu Intersex wie folgt (inoffizielle Übersetzung):

Beantwortung der Fragen in Absatz 22

188. Chirurgische Eingriffe wurden auf politischer Ebene sowohl vom Parlament und vom Bundesrat als auch von der Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin in der Stellungnahme Nr. 20/2012 zum Umgang mit Varianten in der Geschlechtsentwicklung und ethischen Fragen zur Intersexualität angeprangert. Der Bundesrat ist im Begriff, auf die Stellungnahme der Kommission zu antworten. Die aktuelle Situation war auch Gegenstand einer offiziellen Mitteilung des Bundesamtes für den Personenstand vom 1. Februar 2014. In der Schweiz werden für ein bis drei Kinder pro Geburtsjahr medizinische Massnahmen [von der IV] übernommen.

Juni 2017: Ein zweiter >>> Thematischer Intersex NGO-Bericht (für die Session) (PDF 809 kb, englisch) von Zwischengeschlecht.org  / StopIGM.org, Intersex.ch und SI Selbsthilfe Intersexualität belegt mit neuen Beweisen, dass alle gängigen IGM-Formen nach wie vor in der Schweiz praktiziert werden (S. 7-11), bezahlt von der IV, und widerlegt so die nirgends substantiierten Behauptungen der Schweizer Regierung, heute würde angeblicht nicht mehr operiert oder höchstens noch "drei Kinder pro Geburtsjahr" (S. 15-16). Der Bericht zeigt auf, wie ohne ein explizites (strafrechtliches) Verbots inkl. angepassten (verlängerter/aufgehobener) Verjährungsfristen bis heute Überlebende von IGM im Kleinkindesalter vom Rechtszugang ausgeschlossen bleiben (S. 14-15), wie das Kinderspital Zürich in Zusammenarbeit mit der Universität Zürich, dem Schweizerischen Nationalfonds und dem Staatsarchiv des Kanton Zürichs eine "Aufarbeitung" historischer Praxis dazu benutzten, die meisten IGM-Akten des Kispi zu vernichten (S. 16). Dies alles in krasser Verletzung der unabdingbaren Schutzpflichten unter dem UN-Zivilpakt CCPR (S. 11-14).

Juli 2017: An einer Anhörung des UN-Menschenrechtsausschusses mit NGOs in Genf bezeugte Daniela Truffer (StopIGM.org) als IGM-Überlebende die verheerenden Folgen von nicht-eingewilligten Genitaloperationen etc. an Intersex-Kindern sowie die Jahr für Jahr immer wieder abgespulten, ewig-gleichen Ausreden der TäterInnen – vom Bundesrat bis hinunter in die Universitäten und Kinderkliniken, inkl. Aktenvernichtung im Kispi Zürich. >>> ganzes Statement (englisch) 

UN-CCPR 120th Session @ Palais Wilson, Geneva 03.07.2017, 14:55h: Bald geht's los ...
Vorne links: CCPR Experte Hr. Christof Heyns, der die 1. Frage zu Intersex stellte.
Hinten rechts (gleich vor dem Podiums): Hr. Yuval Shany, der die 2. Frage stellte.

3.-4. Juli 2017: An seiner 120. Session befragt der UN-Menschenrechtsausschuss die Schweiz, auch zu Intersex und IGM. Die Schweiz schwurbelte etwas von "gehen davon aus heute keine unnötigen Operationen mehr" und bog dann schnel ab in Richtung "Personenstand", "Personenstandseintrag", "Änderung des Personensatnandseintrags" ... Als der Ausschuss am 2. Tag nachhakte inkl. betreffend psychosoziale Unterstützung, Rehabilitation und Rechtszugang für IGM-Überlebende, schwurbelte die Schweiz noch etwas weiter, liess die erstgenannten Fragen kurzerhand aus und antwortete auf die letzte "uns ist nichts bekannt". >>> vollständiges Transkript  und Video (englisch) 

Vierte UN-Rüge für IGM in der Schweiz!

UPDATE August 2017: Der UN-Menschenrechtsausschuss verurteilt IGM in der Schweiz als Genitalverstümmelung, Folter und nicht-eingewilligte medizinische Experimente (CCPR/C/CHE/CO/4, paras 24-25) – und spricht mehrere verbindliche Empfehlungen aus (inoffizielle deutsche Übersetzung):

Intersex-Menschen

24.   Der Ausschuss nimmt Kenntnis von den Arbeiten der Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin und von der Presseerklärung des Bundesrates vom 6. Juli 2016. Sie ist jedoch nach wie vor besorgt darüber, dass die Durchführung chirurgischer Eingriffe an Intersex-Kindern, die körperliches und geistiges Leid verursachen, immer noch nicht strikt geregelt ist. Sie möchte auch ihre Besorgnis darüber zum Ausdruck bringen, dass die Durchführung von Operationen ohne Einwilligung bisher noch zu keiner Untersuchung, Sanktion oder Wiedergutmachung geführt hat (Art. 3, 7, 24 und 26).

25.   Der Vertragsstaat soll: a) alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass kein Kind einer unnötigen Operation zur Zuordnung des Geschlechts unterzogen wird; b) dafür sorgen, dass die Krankenakten zugänglich sind und dass Untersuchungen in Fällen eingeleitet werden, in denen Intersex-Menschen ohne ihre wirksame Zustimmung einer Behandlung oder einem chirurgischen Eingriff unterzogen werden; und c) dafür sorgen, dass psychologische Hilfe und Wiedergutmachung, einschliesslich Entschädigung, für Opfer unnötiger chirurgischer Eingriffe gewährleistet werden.

>>> Zwangsoperierte Zwitter über sich selbst und ihr Leben
>>> Intersex-Genitalverstümmelungen: Typische Diagnosen und Eingriffe
>>> Intersex-Genitalverstümmler – eine Genealogie der TäterInnen

Siehe auch:
- "Nur die Angst vor dem Richter wird meine Kollegen dazu bringen, ihre Praxis zu ändern" 
- "Schädliche medizinische Praxis": UNO, COE, ACHPR, IACHR verurteilen IGM 
- 38 UN Rügen für Intersex-Genitalverstümmelungen
"Schädliche Praxis" und "Gewalt": UN-Kinderrechtsausschuss (CRC) verurteilt IGM
- "Unmenschliche Behandlung": UN-Ausschuss gegen Folter (CAT) verurteilt IGM
- "Schädliche Praxis" zum Zweiten: UN-Frauenrechtsausschuss (CEDAW) verurteilt IGM
- UN-Menschenrechtsausschuss (HRCttee/CCPR) verurteilt IGM-Praktiken
- UN-Behindertenrechtsausschuss (CRPD) verurteilt IGM-Straflosigkeit in Deutschland

Kosmetische Klitorisamputationen an Kindern im Kispi Zürich und Insel Bern, z.B. Andrea Prader, Max Grob, Marcel Bettex, von Zwischengeschlecht.org

"KOSMETISCHE KLITORISAMPUTATIONEN AN INTERSEX-KINDERN IN ZÜRICH UND BERN"
Dokumentation mit Belegen aus Publikationen aus dem Kispi Zürich und Insel Bern [OHNE OP / Genitalbilder].

 >>> Download Folien (PDF, 700 KB)

Input von Daniela Truffer zum "Fachtag Intersex"
  • IGM Überlebende – Danielas Geschichte
  • Historischer Überblick:
     "Zwitter gab es schon immer – IGM nicht!"
  • Was ist Intersex?  • Was sind IGM-Praktiken?
  • IGM in Hannover  • Kritik von Betroffenen  • u.a.m.
>>> PDF-Download (5.53 MB)