16.09.: Genitalabschneider-Jahrestreffen, Buchpremiere Christiane Völling, Diskriminierung
"DGKJ 2010": 1. Demo Potsdam-Babelsberg, 16.9.10
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Offener Brief an die "DGKJ 2010" 18.09.2010
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"DGKJ 2010": Infoseite zu den Protesten
PRESSEMITTEILUNG von Zwischengeschlecht.org vom 16.9.2010:
Jeden Tag wird in Deutschland in einer Kinderklinik mindestens ein wehrloses Kind irreversibel genitalverstümmelt.
In Potsdam-Babelsberg versammeln sich ab heute 2 der 3 hauptsächlich verantwortlichen Genitalabschneider-Standesorganisationen: Die „Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin (DGKJ)“ sowie die „Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH)“. Deren fragwürdige Auffassung von Ethik war jüngst auch Thema am „Forum Bioethik“ des Deutschen Ethikrates.
Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org will bei den täglichen Genitalverstümmelungen nicht mehr länger tatenlos zusehen. Deshalb protestieren wir heute – gegen die GenitalabschneiderInnen und gegen die Untätigkeit von Politik und Justiz bei diesem fortdauernden Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Gleichentags präsentiert Christiane Völling, die berühmteste Intersexuelle Deutschlands, in [Düsseldorf] ihre druckfrische Lebensgeschichte.
Und in Berlin lädt die Antidiskriminierungsstelle zu einem weiteren Fachgespräch (auch über Zwitter).
„DGKJ 2010“:
Ethisch herausgeforderte Genitalverstümmler in Weiß
• Die organisierende „Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin (DGKJ)“ ist auch federführend bei der aktuell geltenden AWMF-Verstümmlerleitlinie 027/022 „Störungen der Geschlechtsentwicklung“.
Diese unter überlebenden Zwittern berüchtigte „Verstümmler-Leitlinie“ steht seit längerem auch bei weiteren Kreisen in der Kritik, u.a. weil sie ethische Empfehlungen missbraucht als Feigenblatt und Rechtfertigung zu menschenverachtenden Zwangseingriffen.
Und dadurch Vorschub leistet, dass vielfach „der informed consent aller Wahrscheinlichkeit nach Makulatur ist und letztendlich die Ethik nur noch als Freifahrtschein dazu dient, an die Eltern eine ohnehin feststehende Entscheidung abzudelegieren.“ (Claudia Wiesemann am „Forum Bioethik“ des Deutschen Ethikrates, 23.06.2010).
• Die mitorganisierende „Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH)“ führt dabei das Skalpell – sowie in Babelsberg zeitgleich mit der DGKJ ihre Jahrestagung durch (mit Preisverleihung).
(Die 3. Gruppe der medizynischen Hauptverantwortlichen, die EndokrinologInnenverbände APE und DGE, sind in Potsdam zwar anwesend, führen ihre Jahresversammlungen jedoch getrennt im November durch.)
Politiker als Mittäter
• Eröffnet wird der Genitalverstümmlerkongress in Potsdam hochoffiziell von Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) und dem Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg, Matthias Platzeck (SPD).
Die Zahl der bekannten MittäterInnen in Bund und Ländern sowie ihrer Lügen ist Legion. Jüngstes Beispiel:
• Der Berliner Senat behauptete betreffend Genitalverstümmelungen vor der eigenen Haustüre noch am 17.06.2010 schamlos:
„Dem Senat liegen keine Erkenntnisse über konkrete Fälle mit derartigen Eingriffen oder Therapien vor. Eine rechtliche Beurteilung ist somit nicht möglich.“ (Drucks. 16 / 14436, S. 2).
„Auch gibt es keine Erkenntnisse darüber, ob und welche Krankenhäuser in Berlin solche Behandlungen an Kindern vorgenommen haben.“ (Drucks. 16 / 14436, S. 1).
Tatsache bleibt, dass „solche Behandlungen an Kindern“ im Zuständigkeitsbereich des Berliner Senats z.B. in der Charité seit Jahr und Tag systematisch „vorgenommen“ werden.
„fundamentaler Verstoß gegen körperliche Unversehrtheit“
• Menschenrechtsorganisationen (u.a. Amnesty Deutschland, Terre des Femmes und das UN-Komitee CEDAW) kritisieren die Duldung der chirurgischen Genitalverstümmelungen u.a. als „schweres Verbrechen“.
Trotzdem werden auch in Deutschen Kinderkliniken weiterhin täglich wehrlose Kleinkinder irreversibel genitalverstümmelt. Wie lange noch?!
„schuldhaft in Selbstbestimmungsrecht verletzt“
2009 war es Christiane Völling als erster überhaupt gelungen, in Köln einen Chirurg für einen Zwangseingriff an einem Zwitter wenigstens zivilrechtlich vor die Justiz zu bringen. Mit Erfolg: Nach 2-jährigem „Zwitterprozess“ wurden ihr in 3. Instanz 100‘000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen.
• Laut OLG Köln hatte der Zwangsoperateur Christiane Völling „vor der Operation nicht hinreichend aufgeklärt und sie daher mangels wirksamer Einwilligung schuldhaft in ihrer Gesundheit und ihrem Selbstbestimmungsrecht verletzt“, und zwar „in ganz erheblichem Maße“ (5 U 51/08).
Seither scheiterten wiederum alle Versuche, einen Zwangsoperateur vor Gericht zu bringen, stets am selben Knackpunkt – Verjährung.
„westliche Form der Genitalverstümmelung“
Bezeichnenderweise blieben in Deutschland in der aktuellen Debatte um den Gesetzesentwurf zur Einführung eines eigenen Straftatbestandes „weibliche Genitalverstümmelung“ (inkl. adäquater Anpassung der Verjährung) die chirurgischen Verstümmelungen an Zwittern bisher stets sorgsam ausgeklammert.
• International anerkannte ExpertInnen zum Thema weibliche Genitalverstümmelung (FGM), darunter Hanny Lightfoot-Klein, Marion Hulverscheidt und Fana Asefaw, sowie die Rechtsprofessorin Konstanze Plett stützen demgegenüber die Klagen überlebender Zwitter, die Zwangsoperationen seien die „westliche Form der Genitalverstümmelung“, und ihre mutwillige Tabuisierung und Ausblendung der in der politischen Debatte ein typisches Beispiel rassistisch motivierter Doppelmoral.
Proteste + Infoveranstaltung Potsdam-Babelsberg/Berlin
16.+18.09.
Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org protestiert anlässlich der „DGKJ 2010“ vor Ort in Potsdam-Babelsberg – gegen die täglichen Verstümmelungen und gegen die Untätigkeit von Justiz und Politik:
--> Bewilligter friedlicher Protest während der Medizyner-Pressekonferenz zur Eröffnung der „DGKJ 2010“ am Do 16.09.2010 von 12:30-15:30 Uhr.
--> Ebensolche Mahnwache während der parallel stattfindenden Jahresversammlungen von DGKJ und DGKCH am Sa 18.09.2010 von 15:30 bis 18:30 Uhr.
--> Informationsveranstaltung zu den Protesten
Berlin: Do 16.9. 20h @ TRISTEZA
Weitere Veranstaltungen Do 16.09.2010
Am Eröffnungstag der „DGKJ 2010“ sind zusätzlich folgende Veranstaltungen angekündigt:
1) [Düsseldorf]: Buchpremiere von Christiane Völling
Christiane Völling, die als erster (und immer noch einziger) Zwitter ihren
ehemaligen Chirurgen vor Gericht brachte und auch noch gegen ihn gewann, liest
in [Düsseldorf]
aus ihrem Buch „Ich war Mann und Frau. Mein Leben als
Intersexuelle“, mit anschliessendem Gespräch und Diskussion. Ebenfalls
anwesend: Buch-Co-Autorin Britta Dombrowe, die soeben einem
Dok-Film zum Thema fertigstellte (Erstausstrahlung: ARTE 08.10.2010, 21.45
Uhr).
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Frauenbuchladen „Buch am Dreieck“, 19:30 Uhr.
2) Berlin: Fachgespräch der Antidiskriminierungsstelle des Bundes
(ADS)
Zeitgleich zum ersten Protest in Potsdam findet eines der immer wieder
beliebten „Fachgespräche“
statt, an denen die Genitalverstümmelungen an Zwittern jeweils (auch) irgendwie
"(mit)gemeint" sind, diesmal in einem Workshop Nr. 6
„Geschlechtsausdruck, geschlechtliche Identität, Zwei-Geschlechter-Ordnung:
Diskriminierung von Trans*, Inter* und schwul-lesbisch-bi lebenden
Menschen“.
--> Anmeldung und Programm: http://www.ads-fachtagung.de/
Der Deutsche Dachverband der Selbsthilfegruppen, Intersexuelle Menschen e.V. wird dort eine schriftliche Note „Diskriminierungen im Leben von intersexuellen Menschen“ übergeben.
Ob sich daraus eine konkrete Praxis gegen die GenitalabschneiderInnen entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Zumindest bisher dienten solche Veranstaltungen letztlich bloß als Feigenblatt, wenn verantwortliche PolitikerInnen sich später öffentlich herauslügen wollen, eigentlich würden sie im Gegenteil etwas für die Menschenrechte der Zwitter tun:
Bezeichnenderweise waren mehrere der am aktuellen „Fachgespräch“ Beteiligten bereits an einer ähnlichen Veranstaltung des Berliner Senats vom November 2004 mit von der Partie – auf welche vom heutigen Berliner Senat nach bewährtem Muster in der oben bereits erwähnten Drucksache 16/14436 vom 17.06.2010 auf S. 2 abschließend „verwiesen wird“ ...
Der Kampf geht weiter ...
Solange die GenitalabschneiderInnen und ihre HelfershelferInnen sich unverändert in Sicherheit wiegen können, verjährungshalber für ihre an Kleinkindern begangenen medizinischen Verbrechen von vornherein nicht strafrechtlich belangt werden zu können, werden sie kaum je freiwillig mit den für sie lukrativen Verstümmelungen aufhören.
Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org fordert ein Verbot von kosmetischen Genitaloperationen an Kindern und „Menschenrechte auch für Zwitter!“.
Published on Thursday, September 16 2010 by nella